- 318 zu jahr, obzwar Vrchlicky schon vor einigen jahren betont hatte, sein Zenith sei bereits überschritten, so wirft er mit einer fast fieberhaften Hast, mit einer nimmermüden Arbeitslust ein Werk nach dem anderen auf den Markt und füllt fast täglich seine künstlich geschliffenen und üppig geschmückten Becher mit jungem, unausgegorenem Wein, ohne sich überhaupt darum zu bekümmern, ob die dankbaren und freundlich gesinnten Gäste sich zu seinem reichen, poetischen Gastmahle einstellen werden. Bald ist es rein intime Lyrik und philosophische Reflexion, bald rhapsodische, bald fest gegliederte Epik, bald eine historische jambentragödie oder im Gegensatz zu ihr ein leichtgeschürztes Lustspiel, heute ein dickes Buchdrama, morgen ein zart hingehauchtes Proverb - seit Lope de Vega hat die europäische Dichtung kein ähnliches Beispiel von Produktivität aufzuweisen *). Vrchlickys Erstlingswerk :tAus der Tiefe« (1875), das sich teilweise noch an einheimische Vorbilder anschtiefst und in seinem tiefen Pessimismus den Einflufs des damaligen Lieblingsdichters Vrchlickys, G. Leopardis, verrät, enthält noch reine LyriJc; doch bald drängt sich auch in seine lyrischen Bücher das kontemplative Element, das einen grübelnden, meditativen Kopf, einen kühnen Gedankenpoeten zeigt, welchem aber einheitliche Weltanschauung, systematische Denkungsart fehlt. Zuerst herrscht in diesen Sammlungen - ich nenne nur die bedeutendsten »Geist und Welt« (1878), :tSymphonien« (1878), :tSphinx« (1883), :tDas Erbe des Tantalos« (1887), »Leben und Tod« (1893), :.Die Sonnenflecken« (1897) - ein düsterer Pessimismus, ein herber Skeptizismus, der sich mit den verschiedensten fatalistischen Chimären und materialistischen Hypothesen abquält; dann aber entscheidet sich der Poet für den beglückenden Glauben an den endgültigen Sieg des menschlichen Geistes über die lebenslose Materie, der Kulturmenschheit über das Barbarentum, der Humanität über Gewalt und Egoismus, der Freiheit über Tyrannei und Knechtschaft. Dem Leser scheint es, als ob diese *) Eine mustergültige Übersetzung und zugleich eine vorzügliche Auswahl aus Vrchlickys Gedichten hat der deutschböhmische Dichter Friedrich Adler in der Reclamschen Universalbibliothek geliefert, eine andere Anthologie hat Edmund Grün, Leipzig 1886, herausgegeben; in der öfters angeführten »Neueren Poesie aus Böhmen«, Wien 1892; hat E. Albert Vrchlicky und seiner Schule einen ganzen Band gewidmet.