314 Zeyer ist also ein vollblütiger Romantiker, der aber in die Zeit der realistischen Kunst, der sozialen Reformen, der materialistischen Philosophie, des religiösen Indifferentismus verschlagen wurde. Sein Farbenreichtum, sein Exotismus, seine berauschende üppigkeit der Bilder verbinden ihn mit den französischen Romantikern; mit den englischen Präraffaeliten teilt er jedoch seinen keuschen, menschenscheuen Spiritualismus, seine mystische Religiosität, seine morbide Gotik - nur so konnten die Neuromantiker in Böhmen, die dem Realisten und Naturalisten später folgten, in Zeyer ihren wahlverwandten Vorgänger erblicken. Für Zeyer ist erst mit seinem Tode 1901 die Ruhmeszeit gekommen; heute, wo er der modernen Litteratur wieder nichts mehr zu sagen hat, wird er wenigstens als Lieblingsschriftsteller gefühlvoller Damen und der schwärmerischen Jugend gefeiert. Der Renaissancedichter Ja r 0 s I a v V r chI i c k Y (eigentlich Emil Frida, geb. 1853) bildet einen ausgesprochenen Gegensatz zu dem gotischen Spezialisten Zeyer. Wie in einem geistigen Brennpunkte durchschneiden sich in seinem immensen poetischen Werke alle Ideen und Lebensformen der modernen Menschheit, wie sie sich seit der Renaissancezeit im westlichen Europa entwickelt haben. Mit den Augen der modernen Geschichtsphilosophie betrachtet Vrchlicky das groIse historische Weltdrama ; als tiefgebildeter und freisinniger Sohn des 19. Jahrhunderts stellt er sich zum Mittelalter wie ein begeisterter Humanist, der jedoch die Fühlung mit seiner Zeit nie verliert, klammert er sich sehnsüchtig und leidenschaftlich an die erhabene Schönheit und freie Moral der antiken Welt und während sein grüblerischer Januskopf mit einem Gesichte rückwärts gewendet ist, blickt das andere, deutend und hoffend zugleich, der dämmernden Zukunft entgegen. Vrchlickys Lebenswerk, das mit seinen mehr als hundert Bänden noch nicht abgeschlossen ist, gleicht dem mystischen Labyrinth; die äuCserst schwierige und dabei verlockende Aufgabe, durch systematische Anordnung, planmäCsige Gruppierung, organische Vergleichung den Faden der Ariadne dem bisher ganz ratlosen Leser in die Hand zu legen, harrt noch immer der Kritik und der Litteraturgeschichte , die bisher kaum die dürftigsten Vorarbeiten dazu erledigt hat. Dabei dürfen zwei wichtige Umstände nie auCser acht gelassen werden: Vrchlickys