- 369 Bildungspoeten, welche manchmal an den »Münchener Dichterkreis« um Geibel erinnern, in geschichtlichen Stoffen, Erinnerungen und Stimmungen schwelgten, begeisterte sich Bohdan Kaminsky (eigentlich Karel Busek, geb. 1859) ausschließlich für die Gegenwart. Der feuilletonistisch veranlagte Pflastertreter, welcher in seiner Jugend schwungvolle Verse über die unheilbare Melancholie seines vereinsamten Herzens und über den ihm zuteil gewordenen Kainsstempel des unverstandenen Poeten zu schreiben pflegte, wollte das alltägliche Leben Prags der Poesie erobern; aber er besaß weder Geschmack noch Darstellungskraft genug, um diese der Coppeeschen Kunstpraxis entnommene Aufgabe zu lösen. Eine ausgesprochene Gegenströmung gegen die poetischen Grundsätze Vrchlickys meldete sich gleichzeitig aus Mähren: bodenständige Heimatlitteratur, innige Fühlung mit dem Volke, gründliches Studium der Wirklichkeit, strenge Sprachreinheit wurde gepredigt und enger Anschluß an die russische Poesie den Dichtern anempfohlen. Kundige Kritiker, gelehrte Philologen, kluge Zeitungsmänner förderten diese Bewegung; es mangelte ihnen jedoch ein richtiger Dichter. Der beste unter ihnen, der als Übersetzer Puschkins und Lermontows und als Kunstkenner mit Recht geschätzte Fra n ti s e k Tab 0 r s k y (geb. 1858) ist in der Poesie ein trockener, nüchterner, manchmal platter Kopf, der die graue Alltäglichkeit zwar gut schildert, aber keine eigentliche lyrische Begabung besitzt. Erst in den neunziger Jahren traten unter Vrchlickys Epigonen auch Lyriker auf, deren poetische Technik einen wirklichen Fortschritt bedeutet. Ihre halberotischen, halbdekorativen Gedichte, welche sie in dünnen Heftehen herauszugeben pflegten, zeugten von eingehendem Studium der modernsten Franzosen, welche in Baudelaire ihren Vorgänger und in Verlaine ihren Meister verehren, von einer strengeren poetischen Ökonomie, von einem vorzüglichen Sinn für die feinsten Nuancen der Sprache und die leisesten Halbtöne der Versmusik. Sie zeigten eher Vorliebe für die Gothik als für die Renaissance, für eckige kirchliche Kunst als für üppige Freskomalerei in Rubenscher Art, für weltscheue Mystik als für lebensfrohen Pantheismus; man kann sie geradezu als Vorboten der späteren Schule der cechischen Dekadenten bezeichnen. Drei von ihnen dürfen auch ]akubec-Novak, Cechlsche Lltteratur. 24