- 333 Während so die patriotischen und panslawistischen Tendenzpoeten ihre Anregungen größtenteils nur von der Tagespolitik empfingen, konnten die historischen Romandichter und Novellisten manchen Vorteil aus der üppig aufgeblühten geschichtlichen Spezialforschung ziehen. Palacky, welcher im Jahre 1876 sein monumentales Lebenswerk geschlossen hatte, durfte auf eine beträchtliche Reihe von Nachfolgern und Schülern blicken. Der bedeutendste unter ihnen war sein ehemaliger Freund und Mitarbeiter, später aber sein Antipode, der Prager Universitätsprofessor Vaclav Vladivoj Tomek (1818-1905). Tomek war kein weitblickender synthetischer Denker, der die Geschichte philosophisch auffassen und psychologisch erklären mochte; im Gegenteil, er, der ursprünglich ein Jurist war, ist immer nur ein äußerst gründlicher Quellenkritiker , ein streng objektiver Forscher geblieben, für den der bedenkliche historische 'Vahlspruch »quae non sunt in actis, non sunt in mundo« völlige Geltung hatte. Niemals hat er versucht, die böhmische politische Geschichte, mit der er sich vorzugsweise beschäftigte, in pragmatischem Zusammenhang mit der westeuropäischen Entwicklung zu bringen; niemals war er bestrebt, unter der bunten Oberfläche der äußeren historischen Vorgänge die leitenden Ideen zu suchen; auch ihm genügte es, allerdings in einem anderen Sinne als Ranke, einfach darzutun, wie die Dinge eigentlich gewesen seien. Dabei entwickelte er sich, allerdings nach der jugendlichen Periode des liberalen Freidenkertums, zu einem strengen Konservativen und einem treuen, kirchlich gesinnten Katholiken, für den jede Empörung gegen die kirchliche Obrigkeit - auch die hussitische Bewegung und die Bruderunität - ein Greuel war; und nicht umsonst hat die Wiener Regierung in ihm und in seinem Freunde, dem späteren Unterrichtsminister J 0 s e f J ire Ci e k (1825--1888), einem fleißigen litterarhistorischen Sammler und gelehrten Bibliographen des älteren Schrifttums, ihre Vertrauensmänner gesucht. Doch war Tomek, dessen Temperament das eines trockenen und ordnungsliebenden Pedanten war, ein Held der unermüdlichen Arbeit. Er hat die Geschichte der Prager Universität geschrieben, eine eigenartige Biographie des Zizka verfaßt, vorbildliche Monographien aus der Geschichte seiner nordwestböhmischen Heimat geschaffen, der österreichischen Staatsgeschichte neue Bahnen gewiesen, aber sein Haupt-