- 303 zugänglich gewesen war. Die Forderungen, welche die neue Schule an die Prosa stellte, lauteten dagegen: Modernes Leben! Fortschrittliche Tendenzen! Streben nach Einheit der Kunst und der Wirklichkeit! Freie Lebensanschauung ! Soziale Kunst! Energisches Eingreifen in die Tageskämpfe ! Schöne Tat! Da jedoch keiner der Vorgänger diesem Programm, das durchweg von dem Jungen Deutschland übernommen war, entsprach, mußte man sich zuerst mit fremden Vorbildern bequemen. Neben den jungdeutschen Prosaikern, die man eifrig, aber kunstlos nachahmte, übte vorzüglich George Sand einen ungeheuren Einfluß aus. Als sie in Böhmen allerlei Dokumente zu ihrem Roman )Consuelo« und ~Der Gräfin von Rudolstadt« sammelte, lernte sie einen geistreichen und feingebildeten Kunstkenner und Kritiker, den berühmten Arzt J. R. Cejka kennen; dieser wurde nicht nur zu ihrem Begleiter, sondern dann auch zu ihrem Apostel in Böhmen. Seine Freundin Bozena Nemcova wußte er zwar nicht zu bewegen, die Bahnen George Sands zu betreten; bald fand er aber in den zwei Schwestern Rott, die später als Karolina Svetla und Sofie Podlipska in der Litteratur bekannt wurden, treue Anhängerinnen und Schülerinnen seiner berühmten französischen Freundin. Die Jugend von Karolina Svetla (1830-1899) wurde von einem doppelten mächtigen Einfluß bestimmt, dem des Prager Milieus und dem der böhmischen nationalen Wiedergeburt. Johanka Rottova, wie sie mit ihrem bürgerlichen Mädchennamen hieß, stammte aus einer angesehenen, altertümlichen Familie, die in einer originellen Ufergasse der malerischen Prager Altstadt ansässig war und treu an den Traditionen der halbdeutschen bigotten Bürgerschaft hing. So lernte K. Svetla ein ganz anderes Prag als z. B. Neruda kennen: das stolze, düstere, historische Prag mit der ganzen Tragik der Gegenreformation sowie mit den romanhaft verwickelten Familienverhältnissen der vermögenden und sittenlosen Bourgeoisie und Kaufmannswelt. In dieser Umgebung, an der die moderne Zeit spurlos vorübergegangen war, schuf sich das interessante junge Mädchen mit den tiefernsten Augen ihr eigenes, ganz romantisch gefärbtes Bild von dem Ideengehalt der nationalen Wiedergeburt: es war für sie vielmehr eine religiös-soziale Bewegung, die mit all diesen ungesunden und fremdartigen Verhältnissen in Prag aufräumen