böhmischen Dorffurianten, Rlois Jirasek die ostböhmischen Bauern, Gabriela Preissona und die
Brüder Rlois und Vilem mrslik die wein- und liebeslustigen Slowaken; die Totalität des
Volkslebens hat eigentlich keiner oon ihnen erfa~t. Sie fanden unter den Schauspielern des
nationaltheaters oorzügliche Darsteller, denen gleichfalls ihre Jugenderinnerungen eine nortreffliche
Vorschule darboten: neben dem Komiker oon Gottes Gnaden Jindrich mosna, dessen ~iguren
beialler strengen Tatsächlichkeit ein gesteigertes (ebensgefühl innewohnt, will ich noch den kernigen,
oft übertreibenden Josef Smaka, den schlichten und männlichen Jakub Voita Slukon und die
derbe und kräftige 'rrau marie Hübnerooa nennen.

nur einer unter diesen oollkstümlichen Realisten ragt über das mittelma~; es ist der
älteste oon allen, (adislan Stroupeznicky. 'krhältnismä~ig spät hat er sich zu seiner Eigenart
durchgerungen, nachdem er oerfehlte historische Tragödien und oberflächlich archaisierende
(ustspiele geschrieben hat, die allerdings oon seiner sorgfältigen Handhabung des intim!'n Details
und der satten Zeitfarbe zeugen. Doch erst die Rückkehr zum südböhmischen Heimatsboden
bedeutete seinen ersten Sieg: seine Volksszenen haben ein leidenschaftliches Tempo, seine
~igürchen sind sicher und lebendig gezeichnet, sein Dialog ist bewegt und dramatisch, sein Humor
ist kernig und frisch. Doch dies genügte dem ernsten, oerschlossenen Stroupeznicky keineswegs,
er träumte oom modernen Sozialdrams mit einem bedeutenden Helden und belebten
massenszenen, worin die eigentümliche, unheimliche Grö~e unserer gährenden Zeit zum Rusdruck käme.
nur ein posthumes, keineswegs ausgeglichenes Werk oerwirklicht diese schönen Träume, doch
es beweist zu Genüge, was unsere Bühne in dem zweiundoierzigjährigen Stroupdnicky nerloren hatte.

Das (osungswort der jüngeren Dramatiker lautete nun: modernes Sozialdrama. man
begnügte sich nicht mehr mit flei~igem Rusarbeiten non einzelnen ~iguren, mit genrehafter Ruswahl
der interessanten Spezialfälle, mit behaglichem Kleben an der Oberfläche des (ebens. Viel mehr
suchten die Dramatiker den sozialen und ethischen Zusammenhang aller Geschehnisse
aufzuzeigen, gesellschaftliche Gesel]e zu ergründen, allgemein gültige Thesen zu demonstrieren. Russische
und deutsche Realisten waren darin ihre (ehrer, mit denen sie Rbneigung gegen theatralische
Effekte, gegen stilisierte Sprache, gegen jedes synthetische \7erfahren teilten. Es sind trübe und
trostlose (ebensbilder, die ~. X. Sooboda und m. 11. Simacek in ihren bürgerlichen Dramen
aufrollen: lebensunfdhige ~amilien des mittelstandes gehen zu Grunde; Väter mifjoerstehen ihre
Söhne und entzweien sich mit ihnen auf immer; gebrochene Existenzen hassen das (eben und
fliehen oor ihm; ehrliche Versuche, die ldhmende (ast der Verhältnisse wegzuwerfen, oerlaufen
in Sand; jede Sinntslust wird zum ~Iuche; kein Hoffnungsstrahl beleuchtet diese schreckliche
Gebundenheit dieses Daseins. Doch auch diese schwerfälligen Realisten gtben meistenteil nur
Zustandsmalerei anstatt der dramatischen Rktion, sie entwickeln ihre Charaktere nicht, sit
bemühen sich oergebens, die Handlung bis zur tragischen Katastrophe zu steigern: das heifje
dramatische Blut zirkulierte weder in den Rdern des Stimmungslyrikers Sooboda, noch des
analytischen Romandirhters Simacek.

Und doch bleiben einzelne ihrer Stücke ganz unnergefjlich, da sie der feinsten
dramatischen Künstlerin in Böhmen !rau Hana Koapilooa Gelegenheit gegeben haben, ihr reiches und
subtiles Talent zu entfalten. noch jel]t, drei Jahre nach ihrem frühzeitigen Tode, sehen wir
ihre zarte Erscheinung, wie sit die alltaglichste Tragik mit einem wehmütigen Zauber umwebt,
wie sie die (eidensgeschichte des modernen Weibes ins monumentale übersel]t, wie sie in ihrem
sthnsüchtigen Blicke und ihrem stillen (dcheln ihre Träume oon der Rettung aus der
Rlltaglichkeit in das Reich der befreienden Schönheit oerrät.

nur wenige konnten dem ~uge dieser denkenden Künstlerin folgen, die in ihrer Rrt
den alltäglichen, anti dramatischen Realismus überwunden hat. Diese Wandlung des künstlerischen
Geschmackes an der Jahrhundertswende machte sich auf unserer Bühne auch in den neuerungen

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