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buch. . Des Dichters Altar ist seinem unglücklichen Volke
geweiht, dem er sein Leben lang treu und edel gedient hat; doch
sein eigenes Leid, sein eigener Schmerz, die der Dichter als
Sühneopfer dem zürnenden Gotte bringt, erinnern ihn stets an
den, der sich am Kreuze für die ganze Menschheit geopfert hat.
Wie in der allerletzten Periode Heines, so vollzieht sich auch bei
Neruda ein seltsamerProzeß: die ererbten und urwüchsigen
Persönlichkeitselemente , welche durch einen wirkungsvollen
philosophischen und litterarischen Kultureinfluß ge~ilgt wurden,
treten auf dem Sterbebette recht stark hervor. Nur so läßt es
sich erklären, daß in diesem Buche, welches man als die
Passionsblume der cechischen Poesie bezeichnen könnte, der frühere
Kosmopolit und Liberale zum beredten Sprecher eigentümlicher
Rassenmystik wurde.

Nerudas Bedeutung wurde erst einige Jahre nach seinem
Tode allgemein anerkannt und hinreichend gewürdigt, und in
demselben Grade, wie die Begeisterung für Halek erlischt, wächst
die Bewunderung für Nerudas Wesen und Dichtung. Besonders
die jüngere Generation verehrt in Neruda ihren großen Ahnherrn
und Vorgänger und sucht in zahlreichen Essays ihrer bedeutendsten
Kritiker den Kern seiner komplizierten Persönlichkeit zu erfassen.
Das Ausland dagegen, dem der gute Europäer Neruda freundlich
gegenüberstand, hat zu ihm bisher kein intimes Verhältnis
gefunden.

Mit Halek und Neruda ist ihr treuer Freund und poetischer
Mitwerber A d 0 lf He y d u k (geb. 1835), der sie um lange
Jahrzehnte überlebt hat und seinen hellen Blick und jugendlich frischen
Sinn bis ins hohe Alter sich zu wahren wußte, mehr als in einer
Beziehung verwandt. Auch für ihn, als er in den fünfziger
Jahren lyrisch debütierte, bildete jene düstere, herbe
Sentimentalität, die für Haleks und Nerudas Anfänge so bezeichnend ist,
den poetischen Ausgangspunkt; auch ihm behagten am meisten
jene schlichte knappe Liederform und jene anmutigen kleinen
Stimmungsbilder aus der Natur, wie sie Neruda und Halek mit
Vorliebe und Meisterschaft behandelten; wie diese, mischte auch
Heyduk gern reine, leicht improvisierte Lyrik in grübelnde
Reflexion. Doch er ist im Grunde ein zärtlicher und
empfindsamer Gefühlsmensch, ein einfaches und naives Gemüt; ein
begeisterter, ein glücklicher Improvisator und ein lieblicher Spät-