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struktive und daher ragen sie auf dem Gebiete des Romans viel
stärker hervor als in der Lyrik, die ja die treueste Beichte eines
Gefühlsmenschen ist; in der Literatur, in welcher einer George
Sand, einer George Eliot nicht nur ernste Schülerinnen, sondern
sogar gefährliche Rivalinnen erwachsen sind, in der gibt es keine
Dichterinnen, die mit einer Annette von Droste-Hülshoff oder
Elisabeth Barrett-Browning Ähnlichkeiten aufwiesen, geschweige
denn sich messen könnten.

In den letzten sechzig Jahren gibt es schon für das cechische
Schrifttum eine feste gesellschaftliche Grundlage, und zwar in der
jungen Bürgerschaft, die sich immer wieder durch Zufluß neuer
Kräfte aus dem Bauernsta.nde und aus der Arbeiterschaft
verjüngt und sich mit Schul- und Beamtenintelligenz mischt. Es ist
eine gesunde, frische unternehmungslustige Schicht; an Leben und
Realität hängend, lehnt sie mißtrauisch jegliche Metaphysik l.!nd
Mystik ab, legt zwar Neigung zum Kritischen an den Tag, läßt
sich aber nicht bereitwillig auf spekulative Gebiete ein; in ihrem
Demokratismus, der ein aufrichtiger Ausdruck ihrer Herkunft aus
dem Volke ist, und mit ihrem mehr sozial gefärbten Liberalismus,
beachtet sie herzlich wenig das Königreich Gottes auf Erden, das
die Vorfahren gesucht haben, läßt ihre ganze Sorge dem Ausbau
und der Festigung der jungen Republik angedeihen. Diese
verursacht aber mit ihren zahlkräftigen Minderheiten, aber auch mit
ihrem cechoslovakischen Dualismus sogar den begabtesten unter
den führenden Staatsmännern mehr Schwierigkeiten, als sich wohl
der Optimismus des Harrens und Sehnens je träumen ließ, der
freilich durch die unerwartet große Ausdehnung und weitgehendste
Unabhängigkeit des Staatsganzen übertroffen worden ist. In
Übereinstimmung mit diesen Lebensbedingungen ist die zeitgenössische
cechische Literatur vom Geiste des Vitalismus durchweht, von
der Wirklichkeits zuversicht erfüllt und steht dem Naturalismus
näher als der Romantik - dies alles erscheint aber von den im
Westen gebräuchlichen Dichtungsformen mit sorgloser
Gleichgültigkeit gegenüber der Tradition bestimmt, welche aber trotzdem hier
und da in starkem Strom aus der geistigen U nterwelt desVolkes
hervorbricht, um seine edelsten und eigenartigen Kräfte freizumachen.

Ein gebildeter Ausländer, der zu wiederholten Malen bemerkt
hat, wie Politiker, Historiker und Philologen das cechische Volk
zur slavischen Gemeinschaft rechnen, fühlt sich zur Frage
gedrängt, ob das cechische Schrifttum jene Werte auch wirklich
beinhalte, derentwegen sich die bedeutendsten von den slavischen