- 360 Und so erschien im Jahre 1893, wo bereits Masaryk und H. G. Schauer ähnliche Töne angeschlagen haben, Machars stürmisches, leidenschaftliches Buch »T ristium Vindobona«, dessen Muse HaIs und Verzweiflung war. Der seither in Wien lebende Poet nimmt hier Stellung zu dem Problem der Nationalität, das er vorerst aus dem erstickendem Qualme patriotischer Deklamation, aus der ungesunden Atmosphäre des starren Historismus loslösen muLs: er singt hier von zorn erfülltem Schmerze über die nichtige Gegenwart, von endloser Verzweiflung über den sklavischen Charakter seines Volkes, von den Erniedrigungen der einst so glorreichen Nation durch fremde Bedrücker, aber auch von erlösender Hoffnung an bessere Lebensmöglichkeiten, von krampfhaft sich anklammerndem Glauben an das RassenbewuLstsein des Volkes. Mit dieser politischen Lyrik, wo anstatt salbungsvoller Begeisterung und optimistischen Idealismus der alten patriotischen Schule bitterer Ernst, verblutende Verzweiflung, strenger Skeptizismus das Wort führen, hat Machar den jüngeren Dichtern neue Wege gewiesen. Sein bedeutendster Jünger auf diesem Gebiete, der geheimnisvolle pseudonyme Pet r Be z ru c, der wie ein wilder Rhapsode mit Walt Whitmanscher Wucht das verzweifelte Elend seines aussterbenden aus Tagelöhnern und Berghauern zusammengesetzten schlesischen Stammes in grell aufflammende Verse zu bannen wuLste, erschütterte durch seine an Zahl ganz spärlichen Gedichte die ganze Nation. Später stürzte sich Machars politisches Lied, zu dem sich auch sein groteskes satirisches Epos über die jungcechische Politik »Die Streiter Gottes» (1897) gesellt, in die sozialistische Propaganda und den politischen Parteikampf , wo er treu und überzeugt an Masaryks Seite steht; seine Poesie wurde dabei leidenschaftlicher, positiver, aktueller, jedoch auch einseitiger, persönlicher, ungerechter sowie trockener und farbloser. In der gleichen Zeit, da Machar als politischer Lyriker auf· getreten ist, offenbarte er sich auch als Gesellschaftskritiker. Den alten Feministen, den ewigen Erotiker aus der Heineschen Schule verriet der Hang zur Frauenfrage, in welcher Machar aber keineswegs den schroffen männerfeindlichen Standpunkt seiner Freundin, der begeisterten Frauenrechtlerin Frau Bozena Vikova Kuneticka, einnimmt, sondern das heutige Weib in seinem sozialen Elend, in seinem geistigen Schmerze, in seiner Verlassen-