- 339 Sie geben eine ausführliche Chronik der Gemeindewahlen, der Vereinsmeierei, der politischen Ränke; sie lauschen aufmerksam an den Stammtischen in gemütlichen Bierstuben und bei Kaffeekränzchen ; sie interessieren sich für den albernsten Klatsch über Taufen und Heiratsangelegenheiten, über die Fallissements der VorschuIskassen und der Fabriken, kurz, sie identifizieren sich mit dem vergnügten Völkchen, das sie stets mit Freundlichkeit und Nachsicht behandeln. Doch einen groIsen Meister der humoristischen Kleinkunst, der den liebenswürdigen Albernheiten dieser böhmischen Schildbürger Unsterblichkeit verleihen könnte, haben diese Seldwylaner noch nicht gefunden. Die kleinstädtischen Erzähler von heute wollen nur anmutige und lustige Unterhaltungslektüre bieten, doch ein jeder tut es in eigenartiger Weise. Der ehemalige Apotheker Fra n t i s e k Herites (geb. 1851), der in dem umfänglichen Herbarium der menschlichen Charaktere und Verkehrtheiten gut 'Bescheid weHs, schildert mit wehmütigem Humor und mitleidigem Lächeln die erbärmliche Enge und tiefe Misere der Kleinstadt. Der Volksschullehrer Va c I a v S tee h (geb. 1859), der den verlogenen und • unredlichen Kleinstadtspolitikern vergnügt, ja ausgelassen mit dem Bake! seiner übermütigen Satire Prügel erteilt, tut es mit niedriger Komik und mit marktschreierischem Pathos. Der vierschrötige, auf die Dauer ganz unverdauliche Bauer aus der Elbeebene Karel Leger (geb. 1859), der auch äuIserst weitschweifige fade Epep verfef"tigt hat, aber eine leichte, frische Prosa schreibt, bedient sich einer herben, unbarmherzigen Satire. Das Prager Genrebild, das seit Neruda brach lag, hat der typische Kleins~ädter der cechischen Litteratur zum neuen Leben geweckt und zugleich aus dem SpieIsbürgertum eine ganze humoristische We!tanschauung gebildet. Es ist I g n At Her rmann (geb. 1854), ein Self-made-man, der es von einern Ladenburschen zum Mitredakteur der )Narodni Listy" gebracht hat. Herrmann v.erliebte sich förmlich in eine eigentümliche Klasse der Prager Bevölkerung: in Droschkenkutscher und Hökerinnen, gutmütige Trunkenbolde und hungernde Diurnisten, v«:rkommene Kleinhändler und reich gewordene Handwerker, miIsmutige Junggesellen und klatschsüchtige Vetteln, vergnügte Pflastertreter und berüchtigte Vagabunden aus dem Podskalakenviertel in Prag. Herrman hat ihre Bewegungen, ihren Witz, ihr Jargon beobachtet 22*