329 gründet; die gesamte Nation war äuIserst stolz auf ihre eigenartige Volkskultur. Mit dieser ethnographischen Bewegung geht das litterarische Interesse für das Volksleben ganz parallel; ja man darf behaupten, dars sich der litterarische Realismus von der ethnographischen Kleinmalerei nur ganz allmählich freimachen konnte. Nirgends fand diese Bewegung einen so dankbaren Boden wie in Mähren, einem zwar rückständigen, doch desto besser erhaltenen Lande. Während nur in Westböhmen die malerischen alten Volkstrachten getragen wurden, haben die verschiedensten mährischen und slowakischen Volksstämme noch die ganze farbenreiche Pracht ihrer schönen Kostüme beibehalten. Der Einflurs der Stadt und der Schule konnte hier weder die Eigentümlichkeiten der' Mundarten noch die originellen Sitten verwischen und der Quickborn des Volksliedes, der in Böhmen längst beinahe versiegt war, rauschte hier in seiner jugendlichsten Kraft und frischesten Schönheit. Es fehlte auch keineswegs an gelehrten Forschern, welche diese günstigen Bedingungen für das wissenschaftliche Studium der Volkskunde zu schätzen und auszunutzen wursten. Der hervorragendste von ihnen war Fra n t i se k Bar tos (1837-1906), ein typischer mährischer Gelehrter, der ganz abseits von der' Prager wissenschaftlichen Organisation eine eigene Partei für sich bildete. Frantisek Bartos, ein Gymnasialdirektor in Brünn, wandelte getreu in Susils Spuren; auch für ihn war das Volkslied der eigentliche Ausgangspunkt der ganzen Lebensarbeit. Doch das Volkslied interessierte ihn nicht bloIs als das poetische Erzeugnis der Volksseele, sondern er beobachtete es zugleich vom Standpunkte eines geübten Dialektologen und stellte dabei durchdringende ethnographische Untersuchungen auf. So gesellen sich zu seiner umfangreichen Sammlung der mährischen Volkslieder, wobei zugleich auch die volkstümlichen Melodien berücksichtigt werden, zwei groIse dialektologische Werke, die Mährens gesamtes mundartliches Material enthalten:; zahlreiche, ungemein frisch und kundig gehaltene Abhandlungen aus der mährischen Volkskunde treten hinzu. Eine durchaus originelle Persönlichkeit, die auch ihre Schrullen und bizarre Einfälle hat, spricht aus diesem Werke. Bartos war eine wunderliche Kreuzung von Pedanterie und von kindlicher Naivetät, von philologischem Ge-