- 315 Verhältnis zur gesamten romanischen und germanischen Dichtkunst sowie seine poetischen Übersetzungen. Von den ersten Anfängen seiner litterarischen Tätigkeit an, die mit der Gründung der Zeitschrift »Lumir« zusammenfallen, zeigt sich Vrchlicky zugleich als schöpferischer Poet und Übersetzer, origineller Dichter und Essayist,' poetischer Improvisator und gelehrter Anempfinder; diese Verbindung ist in einer eigenartigen Doppelseitigkeit seines dichterischen Wesens begründet. Vrchlicky verdankt seine Dichtkunst halb einer unmittelbaren Inspiration durch Natur und Leben, einer ungemein zarten Sensibilität, die auch auf die feinsten Impulse der den Dichter angehenden Wirklichkeit reagiert und sie in den zartesten Abtönungen und verborgensten Halbtönen nachklingen läfst; halb aber i!fi Vrchlicky ein komplizierter, sehr gelehrter, an umfassenden Reisen und an allen Litteraturen des westlichen Europa gebildeter Geist. zu dem die Geschichte mit tausend Zungen spricht, und der sich von den verschiedensten Kulturen zu dichterischem Schaffen anregen läfst, wobei nicht nur fremde Stoffe, sondern auch fremde Kunstformen in sein Werk übergehen. In der Zeit, als das cechische Schrifttum fast ausschliefslich von der deutschen Litteratur befruchtet ward, trat Vrchlicky als Vermittler der romanischen, vorzugsweise französischer und italienischer Dichtung auf, Mit den modernen Franzosen hat er seine Übersetzertätigkeit eröffnet; eine groIse, vielseitige Anthologie der französischen Lyrik aus dem 19. Jahrhunderte (1877), der dann einige 'Nachträge folgten, zeigte ihn bereits auf der Höhe seiner Übersetzungskunst, und hier entwirft V rchlicky schon sein poetisches Programm: der Gipfel der französischen Poesie ist für ihn Victor Hugo, dem selbst die entschieden echteren Lyriker Musset und Vigny weichen müssen; aufser ihm kommen noch einige Parnassiens in Betracht, hauptsächlich Theodore Banville, Sully Prudhomme, Leconte de Lisle, viel weniger schon die beiden Begründer der neuen Lyrik in Frankreich, Charles Baudelaire und Paul Verlaine. Von Victor Hugo, den Vrchlicky in drei vorzüglich informierenden Anthologien dem cechischen Publikum vorgeführt hat, hat er am meisten empfangen: die geniale Rhetorik, die poetische Polychromie, die grandios pompöse Rhythmik, den grofsartigen Gedanken einer kolossalen Epopöe der