- 308 künstlerischen Individualität, eine fast unbegrenzte Fähigkeit der absoluten Anpassung an verschiedene Kunst- und Kulturepochen, ein ganz kongeniales Verständnis für entfernte, oft geradezu exotische Geschichtsperioden und ihr geistiges Leben. Viele von diesen Dichtern verfügen über eine staunenswerte Gelehrsamkeit, besonders auch über eine universale Litteraturkenntnis, und so schöpfen sie ihre poetische Inspiration oft lieber aus der Litteratur, denn aus dem Leben. Mit ihnen berühren sich auch Historiker und Ästhetiker von Fach, die fein, elegant, glänzend schreiben; auch bildende Künstler stellen sich nun in das intimste Verhältnis zur Litteratur. Wiederum ist es eine Zeitschrift, mit dem bereits historisch gewordenen Namen »Lumin getauft, um die sich diese kosmopolitische Schule versammelt. Als im Jahre 1873 Neruda, ein vorzüglicher Redakteur:, dem es immer nur an Abonnenten gefehlt hatte, dies Blatt mit Hälek gründete, vereinigte er darin seine Altersgenossen und die jüngeren Litteraten ; besonders verstand er es, das Feuilleton der Zeitschrift, das aus kleinen Skizzen und abgerundeten Essays zusammengesetzt war, immer durch neue, sehr originelle Beiträge zu beleben. Eine besondere Aufmerksamkeit widmete Neruda auch den poetischen Übersetzungen, für die er gleichzeitig eine gediegene Bibliothek, die »Poesie svetov,h (d. h. » Weltpoesie) gegründet hat, wo bald der junge V rchlicky seine ersten Lorbeeren als Übersetzer eroberte. Wahre Bedeutung gewann der »Lumir« jedoch erst, als neue Männer in die Redaktion eintraten, neben Svatopluk Cech der junge Ästhetiker Otakar Hostinsky, neben dem geistreichen jungcechischen Journalisten Servac Heller der feinsinnige Begründer der modernen historischen Methode in Böhmen, Jaroslav Goll. Als dann nach vier Jahren J. V. Sladek in der Redaktion allein blieb, hat die Zeitschrift, welche noch heute. allerdings unter anderer Leitung, erscheint, ihre Richtung beibehalten: die beiden gröfsten Poeten der kosmopolitischen Schule, Jaroslav Vrchlicky und Julius Zeyer, die im »Lumir« bereits im Jahre 1873 debutierten, traten hier ein volles Vierteljahrhundert lang als Fahnenträger der ganzen Gruppe auf. Für die beiden Gelehrten, Goll und Hostinsky, war die Beteiligung an der Redaktion des »Lumirc nur eine kurze Episode; bald wurden sie durch ihre Fachstudien ganz abseits von der