- 285 seine strenge, unbarmherzige Moral, sein schonungsloses Pflichtgefühl, aber auch seine kleinstädtische Beschränktheit, sein kleinliches Haften an allen hergebrachten Gewohnheiten, seine philiströsen Vorurteile. Smilovsky war ja selbst eine Verkörperung der cechischen Kleinstadt; in einem nordböhmischen Städtchen war er geboren und erzogen, in einer Kleinstadt unterhalb des Böhmerwaldes hat er als Professor gewirkt, in einer ostböhmischen Stadt hat er sein Leben beschlossen. Und so war er gewiIs berufen, diese Kleinwelt in ihrer liebenswürdigen Albernheit und in ihrer schlichten Anmut darzustellen. Die altmodischen Gestalten der Kleinstadt, denen er auch die verborgensten Schwingungen der Seele abgelauscht hat, grüfsen uns in seinen Novellen, von denen ich nur den vorzüglichen )Grützhändler Kleophasf( (1875) nennen will, so lebendig als kaum bei einem anderen zeitgenössischen Novellisten; malerische Häuser mit bizarren Barockgiebeln, altertümlichem Geräte, abgenutzten kolossalen Möbeln winken uns einladend zu, und endlich eröffnet der Dichter vor unseren Augen eine zarte, duftige Erinnerungsperspektive aus seiner glücklichen Knabenzeit , von der er besonders in seinen »Losen Kapiteln" (1873 - 1881) mit liebenswürdigem und schalkhaftem Humor erzählt. Doch dieses stimmungsvolle Bild soluns nicht lange ergötzen; Smilovsky erinnert sich plötzlich seines pädagogischen Amtes, dessen er nicht nur als Gymnasiallehrer und Schulinspektor, sondern auch als Schriftsteller pflicbtgetreu waltete, und ermüdet uns durch den ödesten Schulmeisterton, durch eine didaktische Moral, die in einem wunderlich überladenen, sich an die volkstümliche Gnomik anlehnenden Stile vorgetragen wird, derart, dafs wir dann seine unsagbar weitschweifigen Bücher verstimmt und enttäuscht aus der Hand legen. Konnte man in der cechischen Lyrik und Novellistik der 60. und 70. Jahre tatsächlich von einer organischen Entwicklungslinie sprechen und die gesamten Erscheinungen in einen einheitlichen Rahmen einfügen, so wäre Ähnliches in der Geschichte der cechischen dramatischen Litteratur doch allzu gewagt. Alle Voraussetzungen eines organischen Wachstums fehlten der cechischen szenischen Kunst: man besafs keine dramatische Tradition, keine grofse litterarische Bühne, kein dramatisch