- 277 Während es Adolf Heyduk gegönnt war, ein langes, fruchtbares Leben in beschaulicher Einsamkeit zu genieCsen und erst in späten Jahren seine reifsten Früchte zu pflücken, muCsten zwei von seinen gleichaltrigen poetischen Mitbewerbern allzufrüh ihr torsoartiges Lebenswerk verlassen. Es waren die bei den reichbegabten Lyriker Rudolf Mayer und Vaclav Solc, deren dünne Bändchen das edelste Streben nach neuem poetischen Gehalte bezeugen. Der ältere von ihnen, Rudolf Mayer (1837-1865), verschied in seinem 28. Jahre, bald nachdem er seine juristischen Studien abgeschlossen hatte j die Schwindsucht raffte ihn dahin. Es war ein zarter, sensitiver Melancholiker, dessen groCse, tiefe Augen in das Jenseits gerichtet waren, und der mit der Nacht, mit dem Halbdunkel, mit dem Traume und mit der Sehnsucht vertrauter war als mit der Sonne, dem Licht und mit der alltäglichen Wirklichkeit. Seine Lieder und Sonette, die ungemein melodisch und weich klingen, stehen noch unter dem einseitigen Einflusse der Byronschen Dichtung j doch Mayer kennt nur die schwermütige, düster melancholische Note seines heifsgeliebten Meisters j Byrons titanenhafter Trotz, seine ätzende" Kritik der menschlichen Gesellschaft, sein stolzer Sarkasmus sind ihm dagegen durchaus fremd. Aber Mayer versuchte sich auch auf anderen, selbständigeren Bahnen, wenn noch oft unsicher; er neigt sich mitleidig und liebevoll zu den bedrückten Proletariern j er interessiert sich für die sozialen Konflikte des Arbeiters und des Arbeitgebers und findet für ähnliche, damals noch hypermoderne Stoffe einen schwungvollen poetischen Ausdruck, der in seiner wortreichen Rhetorik und seinem humanen Liberalismus oft an Freiligrath erinnert. Kräftiger und vielseitiger als Mayer war allerdings der jüngere Vaclav Solc (1838-1871); aber die psychologischen Feinheiten, welche bei Mayer so bezaubernd wirken, darf man von diesem verbummelten Bauernsohn und verirrten Bohemien nicht erwarten. Goethes strenges und gerechtes Urteil über Günther, dessen Schicksale Sole durchleben muCste, trifft auch bei Sole wörtlich zu: er konnte sich nicht zähmen, und so zerrann ihm sein Leben wie sein Dichten. Seine Begabung war urwüchsig und dabei doch ungemein reich: er beherrschte sowohl das einfache volkstümliche Lied als auch die beredte Ode: er war zu-