- 272 witzigen Plauderton , der statt einer ruhig objektiver und einheitlicher Schilderung vielmehr farbensatte , impressionistische Bilder gibt. Von Nerudas kleinen humoristischen Skizzen, die einen grofsen Teil seiner Feuilletonistik bilden, führt nur ein Schritt zu seiner eigentlichen novellistischen Kunst. Auf den Spaziergängen in seinem geliebten Prag, auf seinen weiten Reisen begegnete er verschiedenen drollig originellen oder komisch bizarren Figürchen, die durch ihr Äufseres, durch ihr wunderliches Gebahren, durch ihre auffallenden Gesten seine Aufmerksamkeit auf sich lenkten und seine Neugierde reizten. Neruda liefs sich mit ihnen in Gespräche ein, erfuhr ihre Schicksale oder doch eine bezeichnende Anekdote aus ihrem Munde, wurde mit ihrer Umgebung ganz vertraut. Dann zeichnete er solche Figuren und Figürchen Zug für Zug nach dem' Modelle, wobei entweder stilles Mitleid oder spöttisches Lächeln um seinen Mund spielte. So entstanden seine realistischen Genrebilder, in denen nicht nur eine einzelne Figur oder eine einzelne Anekdote, sondern auch das ganze soziale Milieu, die ganze lokale und Zeit - Atmosphäre meisterhaft getroffen sind. In seinen, mit Recht berühmten »J{leinseitner Geschichten" (1878, deutsch von ]. ]urenka 1885), dIe gar-manclfes' "vergilbte Blatt jugendlicher Erinnerungen ans Licht ziehen, zeigt sich seine realistische Beobachtungsgabe am schärfsten. Hier zeichnet er groteske und alberne Kleinbürger aus dem adeligen Prager Viertel, wo sich in dem verträumten Schatten von grofsartigen Kirchen und Barokpalästen winzige, zierliche bürgerliche Häuser drängen; durch eine unterhaltende, zumeist an die Anekdote grenzende Handlung, beleuchtet Neruda ihre Eigenart; tausende von kleinen, dekorativen Einzelheiten, die Neruda charakteristisch neu zu beleben weifs, umranken diese allerliebsten , altmodischen Puppen aus der Prager Biedermeierzeit ; ein köstlicher Humor lagert über diesen frischen Novelletten, die ich am liebsten mit G. Kellers realistischer Kleinkunst vergleichen möchte. Und diesem nipphaften Meisterwerke, wo sich Neruda als ein Miniaturmaler ersten Ranges gezeigt hat, folgt bald ein Versbuch, das durchaus monumental und erhaben wirkt, indem es philosophische Tiefe mit der entzückendsten Poesie vereinigt. Ich meine seine '>Kosmischen Lieder« (1878, deutsch von Pawi-