- 388 - von welchem aus sie imstande wären, ihre U mgebungen zu beurteilen. So verfielen sie allzu oft in langweiligste Trivialität, in nüchternste Genremalerei , in alberne kleinstädtische Klatschsucht; anstatt das Typische zu erfassen, verkleinerten und verwässerten sie die bunte Fülle des Daseins. Sehr betriebsam sind die Chronisten des kleinstädtischen Lebens in Böhmen. Sie stellen treu und minutiös das beschränkte Glück der Kleinstädter, ihre amüsante Albernheit, ihre kleine Lust und kleine Qual in humoristischen Novellen und satirischen Romanen dar. Sie geben eine ausführliche Chronik der Gemeindewahlen, der Vereinsmeierei, der politischen Ränke; sie lauschen aufmerksam an den Stammtischen in gemütlichen Bierstuben und bei Kaffeekränzchen ; sie interessieren sich für den albernen Klatsch über Taufen und Heiratsangelegenheiten , über die Fallissements der Vorschußkassen und der Fabriken, kurz, sie identifizieren sich mit dem vergnügten Völkchen, das sie stets mit Freundlichkeit und Nachsicht behandeln. Doch einen großen Meister der humoristischen Kleinkunst, der den liebenswürdigen Albernheiten dieser böhmischen Schildbürger Unsterblichkeit verleihen könnte, haben diese Seldwylaner noch nicht gefunden. Die kleinstädtischen Erzähler von heute wollen nur anmutige und lustige Unterhaltungslekture bieten, doch ein jeder tut es in eigenartiger Weise. Der ehemalige Apotheker Fra n t i s e k Herites (geb. 1851), der in dem umfänglichen Herbarium der menschlichen Charaktere und Verkehrtheiten gut Bescheid weiß, schildert mit wehmütigem Humor und mitleidigem Lächeln die erbärmliche Enge und tiefe Misere der Kleinstadt. Der frühere Volksschullehrer V ac1a v Stech (geb. 1859), der den verlogenen und unredlichen Kleinstadtpolitikern vergnügt, ja ausgelassen mit dem Bakel seiner übermütigen Satire Prügel erteilt, tut es mit niedriger Komik und mit marktschreierischem Pathos und überträgt diese fragwürdigen Mittel auch in das Gebiet des Lustspiels. Der vierschrötige, auf die Dauer unverdauliche Bauer aus der Elbeebene Kar e 1 Leg e r (geb. 1859), der auch äußerst weitschweifige fade Epen verfertigt hat, aber eine leichte, frische Prosa schreibt, bedient sich einer herben, unbarmherzigen Satire. Das Prager Genrebild, das seit Neruda brach lag, hat der typische Kleinstädter der cechischen Litteratur zu neuem Leben geweckt und zugleich aus dem Spießbürgertum eine ganze