- 296 allerliebsten , altmodischen Puppen aus der Prager Biedermeierzeit ; ein köstlicher Humor lagert über diesen frischen Novelletten, die ich am liebsten mit G. Kellers realistischer Kleinkunst vergleichen möchte. Und diesem nipphaften Meisterwerke, wo sich Neruda als ein Miniaturmaler ersten Ranges gezeigt hat, folgt bald ein Versbu~h , das durchaus monumental und erhaben wirkt, indem es philosophische Tiefe mit der entzückendsten Poesie vereinigt. Ich meine seine »Pisne kosmicke« (»Kosmische Lieder«, 1878, deutsch von Pawikowski 1880 und in der Anthologie von E. Albert), für die selbst in der Weltlitteratur schwer ein Gegenstück gefunden werden dürfte. Wissenschaftliche Erkenntnis, die von einem eingehenden Studium der Astronomie und Kosmologie Zeugnis ablegt, bildet den absolut sicheren Grundstein dieses philosophisch reflektierenden Buches, wo sich der originelle Grübler und sachkundige Naturphilosoph zum begeisterten Lyriker und liebenswürdigen Humoristen paart. Der Denker, für dessen Betrachtungen auch das Sonnensystem zu eng ist, verachtet da den naiven Geozentrismus, mit dem sich die Poesie sonst zufriedenstellt , der Humorist findet dagegen in den oft verblüffenden Analogien mit dem Menschenleben immer neue Anregungen zu Scherzen und komischen Wendungen. So wechselt in dieser reifen Sammlung oft das drollig Groteske mit dem erhabensten Hymnus, das ausgelassenste Capriccio mit tief empfundener melancholischer Meditation. Durch strengeStileinheit und durchweg volkstümliches Gepräge zeichnet sich Nerudas nächstes Buch, seine »Ballady a romance« (»Balladen und R~anzen« 1883, deutsch von A. Holzer, dann auch in der Albertschen Anthologie), aus. Der Dichter, den sein modern raffiniertes Gemüt quälte und drückte, wollte in diesem liebenswürdigen Buche von sich selbst ausruhen und fand, in der ganz primitiven Anschauungsweise der volkstümlichen Ballade oder Legende einen ruhigen, willkommenen Zufluchtsort. So verkleidete er sein ganzes Büchlein, das von einer zarten, schlichten Menschenliebe durchwärmt ist, in ein archaistisches Kostüm, so daß man bei der Lektüre manchmal an die bunt bemalten Statuetten aus Eichen- und Lindenholz mit ihrem süßen Ausdruck und ihrer koketten Anmut denken muß, wie sie das 15. Jahrhundert liebte.