- 293 Wortes sind, wurzeln noch in der älteren patriotischen Pathetik; doch sie wirken dadurch modern, daß sie sozial gefärbt sind. Was er dagegen in seinen kleinen, zart oder burschikos hingehauchten Liedern und Reimen darbringt, das zeigt schon einen echten, gereiften Künstler. Seine heiße, instinktive Liebe zu der schlichten, aber edelherzigen Mutter, sein schüchternes Verhältnis zu der Natur, seine Sehnsucht nach einem bedeutenden Lebensinhalte haben in diesen einfachen Liedern einen originellen Ausdruck gefunden. Doch eben in dieser Zeit wirft sich Neruda in den Strudel der auf einmal wieder so hoffnungsvoll aufgeblühten cechischen Journalistik. Nach einer kurzen Tätigkeit in verschiedenen Tageszeitungen der demokratisch-liberalen Richtung trat Neruda in die Redaktion des im Jahre 1861 gegründeten großen Organs der jungcechischen Partei, »Narodni Listy« ein, dem er bis zum Grabe treu blieb. Für die beiden Dichter Neruda und Halek sowie für den genialen Musiker Smetana bedeutete das radikale und demokratische Jungcechentum, das so hervorragende Politiker und Redner wie Karel Sladkovsky, die Brüder Juli us und Edvard Gregr an seiner Spitze hatte, mehr als eine politische Fraktion; es war für sie vielmehr eine öffentliche Vereinigung aller fortschrittlichen Elemente in der böhmischen Nation, die dem Volke einen neuen Lebensinhalt geben und kühnen Mutes mit allen die Entwicklung hemmenden Traditionen, welche in dem klerikalen und feudalen Altcechentum ihre treuen Eidgenossen und in dem kräftig beredten Politiker und vorzüglichen Organisator Frantisek Ladislav Rieger (1818-1903) ihren anerkannten Vorkämpfer hatten, brechen wollte. Neruda widmete den »Narodni Listy«, deren Geschichte zugleich die Geschichte der jungcechischen Partei ist, seine besten Kräfte; er war darin als Feuilletonist, als Litteratur- und Theaterkritiker tätig; er ist da wiederholt für neue Kunst und neue Lebensformen in die Schranken getreten. Das böhmische Feuilleton ist Nerudas eigene Schöpfung: seine ungemein reiche Sensitivität, sein sprühender Witz, seine überraschende Belesenheit, sein unmittelbares Verhältnis zum modernen Leben, seine intimen Kenntnisse der einzigen böhmischen Großstadt Prag, sein stimmungsvoller, anregender Stil, der in der Schule Jean Pauls und Börnes gebildet war, - dies verlieh ihm eine