289 dem er den lohenden Schmerzen und dem scharf nagenden Zweifel seiner Sturm- und Drangperiode poetischen Ausdruck gegeben hatte, verstummte er als Lyriker und sah als ruhiger Betrachter und wohlwollender Kritiker, wie Halek überall Erfolge erntete, und wie dann später Sv. Cech und J. V rchlickj zu Königen des cechischen Parnasses ausgerufen wurden; seine litterarische Tätigkeit blieb jahrelang auf Journalistik und auf eine allerdings nur ausnahmsweise großzütige Novellistik beschränkt. Da schießt auf einmal nach dieser langen Pause, welche die siebziger Jahre ausfüllt, die lebendige Quelle seiner Poesie in reinen und frischen Strahlen empor; der Dichter veröffentlicht binnen fünf Jahren drei vortreffliche Gedichtbücher, von denen ein jedes eine neue Saite seiner poetischen Begabung erklingen läßt. Alles, was in seinen unfertigen Erstlingswerken kaum angedeutet war, wird jetzt mit einer sicheren und zielbewußten Kunst durchgeführt. Aber, was noch schwerer wiegt, es steht hier vor den staunenden Blicken der litterarischen Öffentlichkeit, welche so lange mit dem willkürlichen Eklektizismus und mit der epigonenhaften Schönmalerei nach berühmten Mustern vorlieb nehmen mußte, ein ungemein origineller Künstler von echt nationaler Eigenart und wundervoller Stilreinheit. Der konsequente Vorkämpfer des litterarisC'hen Weltbürgertums von früher, der spöttische Verächter des landläufigen Patriotismus von gestern, erschien auf einmal als vollendeter Meister des volkstümlichen Stiles, als intimer Kenner der cechischen Volksseele, ja als ein leidenschaftlicher Bekenner eines patriotischreligiösen Mystizismus, der an die polnischen Romantiker der traurigsten Emigrantenzeit erinnerte. Und endlich: dieser Dichter, dessen poetische Anfänge noch stark von der Spätromantik beeinflußt waren, stellt sich an die Spitze einer neuen realistischen Poetik; tapfer emanzipiert sich Neruda von dem üppigen Verbalismus, der schreiend pleinairistischen Koloristik, von der hohlen Rhetorik seiner Zeitgenossen und schreibt gedrängt, knapp, ja wortkarg, wie er es bei Erben und Celakovskj lernen konnte; trifft immer mit einem bezeichnenden Epitheton, mit einem überraschenden Bilde den Nagel auf den Kopf; erhebt sich in seinen äußerlich so einfachen und kunstlosen Liedern zu einer intimen psychologischen Introspektion, der auch die Jakubee-Novak. Cechische Litteratur. 19