- 286 Doch der Leser wird dafür durch manche poetischen Vorzüge entschädigt. Halek besaß eine wundervolle Kraft der unmittelbaren, originellen Beobachtung, einen feinen Sinn für das Individuelle in der Natur und dem Menschenleben; er skizziert die ganze Landschaft mit ein paar leicht hingeworfenen Zügen sicher und treu; er malt eine prächtige Figur aus dem Volke mit wenigen bezeichnenden Strichen seines spitzen, dabei doch satten Pinsels. Seine Helden liebt und haßt er aufrichtig; die Natur betet er in einem begeisterten Enthusiasmus an; für die Freiheit des Individuums sowie des einzelnen Volkes, für die ewigen Rechte des leidenden Menschengeschlechtes, der Tradition und der Konvention gegenüber eifert er mit einem schwärmerischen Pathos. Ein echter Sohn des liberalen Zeitalters, streitet er gegen den staatlichen Absolutismus sowie gegen den starren Dogmatismus der römischen Kirche; hingegen findet in seinen schönen Naturliedern die moderne, wissenschaftliche Lebensauffassung einen schönen, wenn auch sehr naiven Widerhall. Das Einzelne wird bei ihm immer auf Kosten der gesamten Lebenseinheit betont; so sind seine poetischen Erzählungen eine freie Reihe von anmutigen Situationen und üppigen Landschaftsschilderungen ; so bieten seine hochtrabenden Dramen kaum mehr als einzelne wirkungsvolle Szenen; so bildet immer eine interessante, bis ins Detail ausgearbeitete Figur den Mittelpunkt der ganzen Handlung in seinen Novellen. Auch in seiner Lyrik hebt sich immer ein eigenartiges Naturdetail, das manchmal geistreich oder witzig pointiert wird, scharf von dem stimmungsvollen Hintergrund ab. In dasselbe Verhältnis zu der gesellschaftlichen Gesamtheit stellt der Dichter seine eigenen Schicksale; ein Epigone des Byronschen Titanismus, verlangt der selbstbewußte Poet eine Ausnahmestellung in der ganzen Menschheit, wie sie dem gotterfüllten Seher und Propheten gebührt. Als Gymnasiast versuchte sich Halek in der volkstümlichen Ballade, die bei ihm viel düsterer und derber als bei Erben wurde; bald aber gewannen Heine und Byron sein ganzes Herz. In seinen »Vecernf pfsne« ( »Abendlieden 1858, deutsch von G. Dörfl) finden wir einen süßlichen, sentimentalen, verwässerten, witzlosen Heine. Dann folgen zahlreiche Verserzählungen in Byrons Manier, die gewöhnlich eine dunkle und abgeschmackte Handlung in verschiedene, meistens exotische Zeiten und Gegenden