Die Litteraturen des' Ostens in Einzeldarstellungoen. Bearbeitet von Dr. G. Alenci,Budapest; Prof. D. A. Bertholet, Basel; Prof. Dr. C. Brockelmann , Königsberg ; Prof. Dr. A. Brl1ckner, Berlin ; Prof. D. K. Budde, Marburg; Dr. K. Dieterich, Leipzig; Privatdozent Dr. F. N. Finck, Berlin; Prof. Dr. K. Florenz, Toky.o; Prof. Dr. W. Grube, Berlin; Prof. Dr. P. Horn, Straßburgj Privatdozent Dr. J. Jakubec, Pragj Dr. I. Kont, Paris; Privatdozent Dr. Johs. Leipoldt, Halle; Prof. Dr. Enno Littmann, Straßburg i. E.; Prof. Dr. M. Murko, Graz; Privatdozent 0.. A. Novak, Prag; Prof. Dr. M. Wintemitz, Prag. • Geschichte der cechischen Litteratur. Von Dr. Jan Jakubec, Printdozent an der k. k. Böhm. Karl- Ferdinand· Universität in Frag. Die cechische Litteratur der Gegenwart. Von Dr. Arne N ovak, Privatdozent an der k. k. Böhm. Karl-Ferdinand· Universität in Prag. Leipzig, C .. F. Amelangs Verlag. 1907. Geschichte der cechischen Litteratur. Von Jan Jakubec. Die cechische Litteratur der Gegenwart von A:rne N ovak. Leipzig, C. F. Amelangs Verlag. 1907. Alle Rechte vorbehalten. Altenburg (S.·A.) Pier ersehe Hofbuchdruckerei Stephau Geibel & Co. Inhalt. Geschichtl der ~echischen Litteratur. Erstes Kapitel. Anpassung der cechischen Entwicklung an die Kultur und die Litteraturen des Westens 1 Zweites Kapitel. Die Reformbewegung. Jan Hus. Der Hussitismus. Petr Chelcickj 39 Drittes Kapitel. Der Humanismus und die Unität der böhmi- schen Brüder. Der Verfall 64 Viertes Kapitel. Der Josefinismus. Josef Dobrovskj. Der Aufschwung der cechischen Sprache. Die cechische josefi· nische Litteratur 102 Fünftes Kapitel. Die slawische Idee in der cechischen Dichtung und Wissenschaft. loset lungmann und seine Schule. Die Königinhofer und Grünberger Handschrift. Jan Kollar. P. J. Safai'fk 133 Sechstes Kapitel. Die cechische Poesie unter dem Einflufs der Volksdichtung. Fr. L: CelakovskY. Die Rückkehr zur heimischen Geschichte. Fr. Palackj. K. J. Erben 169 Siebentes Kapitel. Das Drama und die Belletristik. V. Kl. Klicpera. J. K. Tyl. J. J. Marek. Pr. Chocholousek 197 Achtes Kapitel. Der Neuromantismus. K. H. Macha 213 Neuntes Kapitel. Die junge Slowakei. L. Stur und seine Schule. Das politische Erwachen. K. Havlfcek. Die Rückkehr zu der slawischen Idee. Die Reaktion 221 Zehntes Kapitel. Das cechische Volksleben in der Belletristik. Boiena Nemcova 245 Die öechische Litteratur der Gegenwart. Elftes Kapitel. Die Verjüngung der cechischen Dichtung durch Halek, Neruda und ihre Zeitgenossen . . . . . . . . . . . 259 - XII - Zwölftes Kapitel. Die panslawistischen und historischen Ten- denzen in der neuen cechischen Litteratur 290 Dreizehntes Kapitel. Der poetische Kosmopolitismus in der cechischen Litteratur 307 Vierzehntes Kapitel. Der Realismus in der cechischen Novellistik und im Drama 326 Fünfzehntes Kapitel. Der Kampf der Kritik um neue Lebens- werte 349 Namenregister . . . . . . . . . . . . . 377 Die cechische Litteratur der Gegenwart. Von Dr. Arne Noväk, Privatdozent in Prag. Elftes Kapitel. Die Verjüngung der cechischen Dichtung durch Ualek, Neruda und ihre Zeitgenossen. Die fünfziger Jahre litten schwer unter dem Bachschen Absolutismus, welcher die sich so hoffnungsvoll regenden Nationen wiederum in das alte Geleise des vormärzlichen Österreich zu lenken wulste. Eine schwere, dumpfe Ohnmacht bemächtigte sich nach der unglücklichen Revolution aller Geister. Der cechischen Nation fehlte es nicht nur an Denkfreiheit , sondern sie vermiIste auch einen neuen Lebensinhalt ; sie dürstete nach frischen, führenden Ideen, die das kulturelle und litterarische Leben, welches in seiner freien Entwicklung gänzlich gelähmt war, befruchten könnten. Schon das stürmische Jahr 1848 hatte gezeigt, dals man den philologischen und poetischen Sprachenthusiasmus nun auch auf das Gebiet der Politik übertragen müsse, dars der utopische Panslawismus eines Kollar auch in der politischen Praxis Platz haben könnte; dals die so begeistert studierte und bejubelte vaterländische Geschichte eigentlich der Ausgangspunkt eines öffentlichen Kampfes ums Recht gegen die Regierung sein sollte. Doch die Polizei hemmte jede Regung des politischen Bewufstseins im cechischen Volke. So mufste man sich wieder in die engen Schranken des Schrifttums zurückziehen, wo man aber Schritt für Schritt gewahr wurde, dafs es mit den romantischen Ideen der Wiedergeburt zu Ende sei; man mulste sich nach neuen Gedanken, nach neuen Vorbildern, nach neuen litterarischen Werten umsehen. 17* 260 - Einige Versuche dieser Art wurden allerdings schon vor dem Jahre 1848 getan. Der geniale Macha, dessen trauriges Leben und düsteres Dichten ein einheitliches Kunstwerk bilden, ist schon in den dreifsiger Jahren als poetischer Revolutionär aufgetreten; doch nur wenige Neuerer, die die damalige Öffentlichkeit für litterarische Gecken hielt, wagten es, auf den Pfaden des gelästerten Sängers zu wandeln. Havlicek, der heftig den inhaltsleeren Patriotismus angriff, fand aufser seiner tapferen Mitkämpferin , Bozena Nemcova, die ihr tief poetisches Gemüt oft in den Dienst der realistischen Kleinmalerei stellte,- fast keinen Anklang. Einige gelehrte Forscher und Kritiker, denen die moderne Weltlitteratur nicht verschlossen blieb, beschäftigten sich liebevoll mit der zeitgenössischen Poesie der Deutschen, Franzosen und Engländer, ahmten sie in ihren steifen Versen ohne Glück nach, interpretierten sie kundig in ihren Abhandlungen; aber weil sie vereinsamt dastanden, blieben ihre Bemühungen erfolglos. Erst als die junge Generation, deren Knabenjahre von dem grellen Lichte der politischen Revolution beleuchtet waren, mündig geworden war, versuchte man die Litteratur und durch die Mittel derselben das gesamte Leben im Geiste der modernen Anschauungen zu erneuern. Einige von den Anhängern der radikaldemokratischen Partei vom Jahre 1848 stellten sich in die ersten Reihen dieser litterarischen Jugend, die so oft und so gern die Poesie mit dem Journalismus verwechselte; blutjunge Dichter, die kaum ihre unreifen Erstlingswerke veröffentlicht hatten, wurden in der Polemik am lautesten; man befehdete leidenschaftlich und beredt die ältere konservative Litteratur, und während man entschieden den beschränkten Patriotismus verwarf, bürgerte man eifrig di~ jungdeutschen Vorbilder und Ideen ein. Das Programm der neuen Schule zeigt eine auffallende Ähnlichkeit mit der Credo des Jungen Deutschlands. Man verlangt eine lebenswahre und lebensfrohe Kunst, die mit der modernen Zeit im völligen Einklang stehe; dagegen verwirft man das anmutige Spiel der ro,!Dantischen Phantasie, die auf das Leben keinen direkten Einflufs ausübt, ebenso wie die historische Dichtung, welche alle Aufmerksamkeit von der Gegenwart auf die Vergangenheit lenkt. Man begeistert sich für tendenziöse Literatur, die sich mit sozialen Problemen beschäftigt; man zeigt eine auf- -261 richtige Vorliebe fUr das grofsstädtische Leben, fUr die arbeitenden Klassen, fUr die politischen Wirren; man deckt mit einer gewissen Naivität geschlechtliche Konflikte auf. Es ist eine anti romantische und liberale Generation, und antiromantisch und liberal sind auch ihre Vorbilder: Byron neben V. Hugo, Heine und Lenau neben den politischen Lyrikern aus den vierziger Jahren, Beranger neben Petöfi, werden gelesen, gepriesen und nachgeahmt. Die jungen Dichter wollten aber keineswegs, wie es ihnen ihre konservativen Widersacher konsequent vorgeworfen haben, bei diesen fremden Mustern sklavisch verharren; sie verlangten von ihnen vielmehr nur fruchtbare Anregungen, wie sie ~ch zu einer neuen Auffassung der nationalen Kunst emporarbeiten könnten. Die besten von ihnen waren eifrig bestrebt, aus dem cechischen Volksgeiste mit echt kUnstlerischen Mitteln moderne Litteraturwerke zu schaffen, wie es auf anderen Gebieten ihren beiden grofsen Zeitgenossen, dem genialen Musiker ~etana und dem ungemein originellen Zeichner und feinen Male"TJ:~.anes meisterhaft gelungen war. In ihren vollendetsten Schöpfungen sind Jan Neruda und Karolina Svetlä diesem Ziele sehr nahe gekommen:-~-"-'- .-----" Was allerdings in den meisten poetischen Produkten der neuen Schule befremden mufste, das war ihr unbeholfener, steifer, nüchterner Stil; während man sich von der überschwänglichen, verschwommenen Pathetik und dem zierlichen, sü(sen Idyllismus der älteren cechischen Poesie abgewendet hatte, muIste man in der trockenprosaischen Alltagsprache dafUr Ersatz suchen, und so betonten diese Schriftsteller, die stets unter dem nachhaltigen Einflufs der Journalistik und des Feuilletonstils zu leiden hatten, immer das Charakteristische in der Sprache auf Kosten des Schönen. Neben Mächa, dessen einzig dastehende Sprachkunst von keinem seiner Nachahmer und Schüler erreicht wurde, wirkte von den Vorgängern vielleicht nur K. J. Erben mit seinem bezeichnenden, knappen, zusammengedrängten, scharf geschliffenen Stile; die Führer der ganzen Bewegung, Neruda und Halek, blieben auch in späteren Jahr,en der Erbenschen Balladistik getreu. Zuerst traten die einzelnen Anhänger der neuen Richtung in einer ziemlich farblosen und neutralen Zeitschrift »L u mir ~ - .~51-=~4) auf, welc~er, lange die einzige belletristische Zeit- - 262 - schrift, sich unter der gewissenhaften Leitung des feinen Kunstkenners und geschickten Dramatikers ~.:.!3~MLk.9_Y e c einen guten Ruf erworben hatte. Dann versammelte sich die ganze Gruppe in zwei interessanten Musenalmanachen )Lada Ni6la( (1855) und .. ~M!j ( (1858-1862), die als kühne Manifeste der neuen Mtung in der düsteren und müden Zeit befreiend und erleichternd wirkten; eine ganze Reihe von litterarischen Gründungen aller Art J die jedoch allzu früh scheiterten, folgte diesen merkwürdigen Publikationen. Von den älteren Anhängern der neuen Schule ist besonders Josef Vaclav Fric (1829-1890) mehr durch seine Menschenschicksale als durch seine künstlerischen Schöpfungen interessant. Er bewegte sich sein Leben lang, wie sein älterer Kommilitone K. Sabina, eine rätselhafte, dämonische Existenz, die unter der Jugend gern die verlockende Rolle eines Mannes von Übermorgen spielte, abwechselnd zwischen Rednerbühne und Kerker, zwischen Journalredaktion und Untersuchungshaft; beide haben lange Jahre im Ausland als unfreiwillige Emigranten verbracht. Fric, der seinen Ruhm um fünfundzwanzig Jahre überleben mufste, war ein echter Don Quijotte des politischen und litterarischen Radikalismus: stets predigte dieser ewige Jüngling in kühnen Worten und salbungsvollen Versen die schöne Tat, zu der er selbst nie gekommen ist; so oft er von Freiheit sprach, sprühte er von Begeisterung, Leidenschaft und Stolz - aber als man nach seinem Tode seinen litterarischen Nachlafs musterte, fand man, dafs ein dünnes Versbüchlein und ein dickleibiges Memoirenwerk von einem fast lächerlichen Selbstbewufstsein das Endergebnis seines langen Lebens sind. Fast zwanzig Jahre hindurch hielt man den fruchtbaren und vielseitigen Vi t ~ z s I a YJli.l~ .. k(.1.~.3~:=1§'?..1) für den Führer der ganzen Generation. Sein selbstbewufstes Auftreten, sein feuriges Temperament, sein gebieterischer Geist, seine organisatorische Begabung sowie seine glänzenden Erfolge auf allen Gebieten der Dichtung sicherten ihm lange den ersten Platz in dem gesamten cechischen Schrifttum. Halek, ein gesunder Sohn des fruchtbaren Mittelböhmens , widmete sich ausschliefslieh der Journalistik und der Litteratur, und da er, reich verheiratet, auch gesellschaftlich gesichert war, übte er als Kritiker, als Mitarbeiter der populärsten Tageszeitung, der )Narodni Listyc ()National- - 263 - zeitung«), als Redakteur von mehreren Zeitschriften (»Obrazy zivota« {«Lebensbilder«] und »Rodinna Kronikac [1>Familienchronik«]), einer vorzüglichen Romanbibliothek und endlich als mächtiger Faktor in der »Dmelecka Beseda« (»KünstlerRessource« ), dem einzigen bedeutenden litterarischen Verein in Prag, einen ungeheueren Einflufs aus. Junge Dichter warben um die Gunst des litterarischen Diktators, cechische Studenten, an die sich Halek in einer warmen und klugen Tendenzschrift wendete, beteten ihn an, den braven Bürgern, die patriotisch .gesinnt, aber litterarisch ungebildet waren, imponierte sein stolzes Selbstbewufstsein, die Damen waren von seinen verführerischen und süfslich sentimentalen Liebesliedern bezaubert. Die Kritik, die sowohl sein Erstlingswerk wie auch sein reifstes Liederbuch zum Prüfsteine ihrer analytischen Fähigkeit wählte, bemühte sich ernst und gründlich zu zeigen, dafs seine Kunst ihre oft recht engen Grenzen habe, und dafs man in jedem seiner allzu rasch improvisierten Bücher aufmerksam Spreu von Weizen sondern müsse. Aber diese ehrlichen Versuche fanden in der Öffentlichkeit keinen Anklang; Haleks künstlerische Gröfse wurde zu einer Legende, die erst in der allerletzten Zeit zerstört wurde. Bei Halek, der seine ersten, recht holperigen Verse in Erbens balladischer Manier als neunzehnjähriger Student veröffentlicht hat, war stets die glücklichste Inspiration mit dem völligsten Mangel an poetischer Kultur gepaart. Diesem kraftstrotzenden Temperament, das mit einer leidenschaftlichen Hast arbeitete, gebrach es stets an der stilvollen Disziplin. So sucht man in diesem fleiIsigen Schriftsteller, dessen Werke elf grofse Bände ausfüllen, vergeblich den zielbewufsten, reifen Künstler, welcher der Zukunft etwas zu sagen hätte. Wie fast alle Mitglieder der neuen Schule wurde auch Halek von allerlei fremden Vorbildern beeinflufst und recht lange beherrscht; als Lyriker lernte er bei Heine und Lenau, als Epiker ahmte er Byron, als Dramatiker Shakespeare nach; auch seine frischen Erzählungen aus dem böhmischen Landleben sind ohne Bret-Harte uud Turgeniew nicht denkbar. Doch es gelang ihm nicht, diese Einflüsse organisch zu verarbeiten; überall begegnet man bei ihm den krassesten Nachahmungen, ja wörtlichen und inhaltlichen Reminiszenzen, in seiner Jugenddichtung sogar ver- - 264 - gr6bernden Zügen, die an unwillkürliche Karikatur und Parodie grenzen. Dabei ist seine Form oft unbeholfen und hart, sein Ausdruck dunkel und schwülstig; überhaupt ist er nie ein Vers- und Reimkünstler gewesen. ;> Doch der Leser wird dafür durch m~a .. e poetischen Vorzüge entschädigt. Halek besals eine wunde volle Kraft der unmittelbaren, originellen Beobachtung, eine feinen Sinn fUr das Individuelle in der Natur \tnd dem Mens~enleben; er skizziert die ganze Landschaft mit ein paar leicht hingeworfenen Zügen sicher und treu; er malt eine prächtige Figur aus dem Volke mit wenigen bezeichnenden Strichen ~eines spitzen, dabei doch satten Pinsels. Seine Helden liebt und hafst er aufrichtig; die Natur betet er in einem begeisterten Enthusiasmus an; fUr die Freiheit des Individuums sowie des einzelnen Volkes, fUr die ewigen Rechte des leidenden Menschengeschlechtes, der Tradition und der Konvention gegenüber, eifert er mit einem schwärmerischen Pathos. Ein echter Sohn des liberalen Zeitalters, streitet er gegen den staatlichen Absolutismus sowie gegen den starren Dogmatismus der römischen Kirche; hingegen findet in seinen schönen Naturliedern die moderne, wissenschaftliche Lebensauffassung einen schönen, wenn auch sehr naiven Widerhall. Das Einzelne wird bei ihm immer auf Kosten der gesamten Lebenseinheit betont; so sind seine poetischen Erzählungen eine freie Reihe von anmutigen Situationen und üppigen Landschaftsschilderungen ; so bieten sei~e hochtrabenden Dramen kaum mehr ·als einzelne wirkungsvolle, Szenen; so bildet immer eine interessante, bis ins Detail ausgearbeitete Figur den Mittelpunkt der ganzen Handlung in sei~en Novellen. Auch in seiner Lyrik hebt sich immer ein eikenartiges Naturdetail , das manchmal geistreich oder witzig pc;lintiert wird, scharf von dem stimmungsvollen Hintergrund ab. In dasselbe Verhältnis zu der gesellschaftlichen Gesamtheit; stellt der Dichter seine eigenen Schicksale; ein Epigone des .Byronschen Titanismus, verlangt der selbstbewulste Poet eine l\"t1snahmestellung in der ganzen Menschheit, l wie sie dem gotterfüllten Seher und Propheten gebührt. Narodni Listy« ein, dem er bis zum Grabe treu blieb'> Für die beiden Dichter Neruda und Halek sowie für den genialen Mu ker Smetana bedeutete das radikale und demokratische Jungcec entum, das so hervorragende Politiker und Redner wie Kar e I lad k 0 v s k y, die B r ü der J u I i u s und Edvard Gregr n seiner Spitze hatte, mehr als eine politische Fraktion; es w r für sie vielmehr eine öffentliche Vereinigung aller fortschritt, ehen Elemente in der böhmischen Nation, die dem Volke einen jneuen Lebensinhalt geben und kühnen Mutes mit allen die Ertwicklung hemmenden Traditionen, welche - 271 in dem klerikalen unJ feudalen Alttechentum ihren treuen Eidgenossen hatten, brecllen wollte. ~eruda widmete dem »Narodni Listyc, deren Geschichte zugleich die Geschichte der jungtechisehen Partei ist, seine besten Kräfte; er war darin als Feuilletonist, als Litterar- und Theaterkritiker tätig; er ist da wiederholt für neue Kunst und neue Lebensformen in die Schranken getreten. Das böhmische Feuilleton ist Nerudas eigene Schöpfung: seine ungemein reiche Sensitivität, sein sprühender Witz, seine überraschende Belesenheit, sein unmittelbares Verhältnis zum modernen Leben, seine intimen Kenntnisse der einzigen böhmischen Grofsstadt Prag, sein stimmungsvoller, anregender Stil, der in der Schule Jean Pauls und Börnes gebildet war, - dies verlieh ihm eine aufserordentliche Fähigkeit für diese speziell moderne Prosagattung. Der Inhalt dieser kleinen humoristischen Kunstwerke, die in mehrere Sammelbände, z. B. »Arabesken« (1864, deutsch von B. Smital), »Kurze und noch kürzere Studienc (1876) oder »Glimpfliche und schimpfliche Scherze« (1877), vereinigt sind, läfst sich schwer andeuten. Ein lachender Philosoph plaudert da anmutig, oft mit einem grofsen Aufwand von kulturhistorischen Kenntnissen über alles mögliche: über Liebe und Ehe, Menschen und Tiere, Kirche und Polizei, Natur und Kunst, Tanz und Gesang, Küche und Keller; kokettiert schelmisch mit seinem Publikum, schmeichelt dessen Neigungen und Unsitten, aber verspottet es wiederum ganz schonungslos, beschäftigt sich mit den alltäglichsten Banalitäten, um endlich eine grofse weltgeschichtliche Perspektive zu eröffnen. Witz, Esprit, Humor, ja bisweilen auch ausgelassener und toller Übermut beherrschen diese anmutigen Kleinigkeiten, die von einer überzeugten und heifsen Liebe zu dem modernen Leben zeugen. Doch diese bleibt nicht auf des Dichters Heimat und Vaterstadt beschränkt. Als er auf seinen grofsen Reisen Frankreich und Italien, Rom und Paris, Ägypten und Palästina, Orient und den Norden kennen gelernt hat, berauscht er sich an der grofsen Vergangenheit und vielleicht noch mehr an der bedeutenden Gegenwart dieser Länder und Völker, die er mit dem klaren Blicke eines glücklichen Weltkindes und mit der scharfen Intelligenz eines guten Europäers betrachtet. Seine Reiseberichte, die in dem Sammelbuche »Bilder aus der Fremde« (1872) vereinigt sind, erzählen davon i;-einemleichten, _.--- - 272 - witzigen Plauderton , der statt einer ruhig objektiver und einheitlicher Schilderung vielmehr farbensatte , impressionistische Bilder gibt. Von Nerudas kleinen humoristischen Skizzen, die einen grofsen Teil seiner Feuilletonistik bilden, führt nur ein Schritt zu seiner eigentlichen novellistischen Kunst. Auf den Spaziergängen in seinem geliebten Prag, auf seinen weiten Reisen begegnete er verschiedenen drollig originellen oder komisch bizarren Figürchen, die durch ihr Äufseres, durch ihr wunderliches Gebahren, durch ihre auffallenden Gesten seine Aufmerksamkeit auf sich lenkten und seine Neugierde reizten. Neruda liefs sich mit ihnen in Gespräche ein, erfuhr ihre Schicksale oder doch eine bezeichnende Anekdote aus ihrem Munde, wurde mit ihrer Umgebung ganz vertraut. Dann zeichnete er solche Figuren und Figürchen Zug für Zug nach dem' Modelle, wobei entweder stilles Mitleid oder spöttisches Lächeln um seinen Mund spielte. So entstanden seine realistischen Genrebilder, in denen nicht nur eine einzelne Figur oder eine einzelne Anekdote, sondern auch das ganze soziale Milieu, die ganze lokale und Zeit - Atmosphäre meisterhaft getroffen sind. In seinen, mit Recht berühmten »J{leinseitner Geschichten" (1878, deutsch von ]. ]urenka 1885), dIe gar-manclfes' "vergilbte Blatt jugendlicher Erinnerungen ans Licht ziehen, zeigt sich seine realistische Beobachtungsgabe am schärfsten. Hier zeichnet er groteske und alberne Kleinbürger aus dem adeligen Prager Viertel, wo sich in dem verträumten Schatten von grofsartigen Kirchen und Barokpalästen winzige, zierliche bürgerliche Häuser drängen; durch eine unterhaltende, zumeist an die Anekdote grenzende Handlung, beleuchtet Neruda ihre Eigenart; tausende von kleinen, dekorativen Einzelheiten, die Neruda charakteristisch neu zu beleben weifs, umranken diese allerliebsten , altmodischen Puppen aus der Prager Biedermeierzeit ; ein köstlicher Humor lagert über diesen frischen Novelletten, die ich am liebsten mit G. Kellers realistischer Kleinkunst vergleichen möchte. Und diesem nipphaften Meisterwerke, wo sich Neruda als ein Miniaturmaler ersten Ranges gezeigt hat, folgt bald ein Versbuch, das durchaus monumental und erhaben wirkt, indem es philosophische Tiefe mit der entzückendsten Poesie vereinigt. Ich meine seine '>Kosmischen Lieder« (1878, deutsch von Pawi- - 273 - kowski 1880 und in der Anthologie von E. Albert), für die selbst in r.~~r Weltlitteratur schwer ein Gegenstück gefunden werden dürfe. Wissenschaftliche Erkenntnis, die von einem eingehenden Studium der Astronomie und Kosmologie Zeugnis ablegt, bildet den absolut sicheren Grundstein dieses philosophisch reflektierenden Buches, wo sich der originelle Grübler und sachkundiger Naturphilosoph zum begeisterten Lyriker und liebenswürdigen Humoristen paart. Der Denker, für dessen Betrachtungen auch das Sonnensystem zu eng ist, verachtet da den naiven Geozentrismus, mit dem sich die Poesie sonst zufrieden stellt, der Humorist findet dagegen in den oft verblüffenden Analogien mit dem Menschenleben immer neue Anregungen zu Scherzen und komischen ·Wendungen. So wechselt in dieser reifen Sammlung oft das drollig Groteske mit dem erhabensten Hymnus, das ausgelassenste Capriccio mit tief empfundener melancholischer Meditation. Durch strenge Stil einheit und durchwegs volkstümliches Gepräge zeichnet sich Nerudas nächstes Buch, seine liBaUaden und. R01!!.l!.Qzen« (1883, deutsch von A. Holzer, d""inn -;~ch m der Albertschen Anthologie), aus. Der Dichter, den sein modern raffiniertes Gemüt quälte und drückte, wollte in diesem liebenswürdigen Buche von sich selbst ausruhen und fand in der ganz primitiven Anschauungsweise der volkstümlichen Ballade oder Legende einen ruhigen, willkommenen Zufluchtsort. So verkleidete er sein ganzes Büchlein, das von einer zarten, schlichten Menschenliebe durchwärmt ist, in ein archaistisches Kostüm, so dafs man bei der Lektüre an die bunt bemalten Statuetten aus Eichen- und Lindenholz mit ihrem süfsen Ausdruck und ihrer koketten Anmut denken mufs, wie sie das 15. Jahrhundert liebte. Doch auch dieser bunte Maskenzug befriedigte den Dichter nicht; er kehrte zu der äufserst, subjektiven Lyrik, die er jahrelang vernachlässigt hatte, wieder zurück und veröffentlichte sein lyrisches Meisterwerk: §1~s:.he....MQfu:e( (1883; eine vortreffliche Auswahl bei Albert). Dieses kleine Buch, das man kurz als ein )} Jahr der Seele« bezeichnen möchte, wurde öfters mit der Sammlung Haleks liIn der Natur« verglichen. Es sind gleichfalls kleine frische Naturbilder in Liedform , die von allerlei Reflexionen und Betrachtungen durchbrochen sind. Doch nirgends läfst sich der Unterschied zwischen den beiden Poeten Jakubec·Novak, Cecbische Litteratur. 18 - 274 - so gut beobachten, wie eben hier: Halek ist im Grunde ein naives, gesundes Naturkind, ein offenes, unmittelbares Dichtergemüt, für welches Feld und Au, Wiese und Hain etwas durchaus Selbstverständliches sind, welches in der verträumtenWaldeinsamkeit alle Leiden und alle Zweifel der Welt vergiIst, Neruda dagegen ist ein raffinierter Grofsstädter, der mifstrauisch, ja spöttisch und verstimmt in der Frlihlingsnatur einen gefährlichen Ruhestörer sieht, und der sich erst nach sehr langem Zaudern und zähem Widerstande von der Frlihlingsluft berauschen und von der Fruhlingslust hinreifsen läfst. Aber dieser Rausch dauert nicht lange, und allzubald kommt das nüchterne und traurige Erwachen: alte Schmerzen melden sich wieder, der herannahende Tod sendet die Krankheit als seinen verläfslichen Boten. Der letzte Abschnitt dieses lyrischen Tagebuches, wo später die litterarische Jugend den poetischen Impressionismus vorgezeichnet fand, ist düster und lebensmüde, die zarten, feinen Hände des Dichters zittern, seine Lippen, denen das Leben den süfsen Liebesbecher versprochen und dafür blofs eine Schale mit bitterem Gift gereicht hat, beben vor Angst und Leid. Doch vor dem Ende beten sie noch. Nerudas allerletzte Schöpfung, seine .)Freita~.?~:sänge( (1896), die als ein Torso nach seinem Tode erschienen -'sTöct, sin:d""""ein Gebetbuch. Des Dichters Altar ist seinem unglücklichen Volke geweiht, dem er sein Lebenlang treu und edel gedient hat; doch sein eigenes Leid, sein eigener Schmerz, die der Dichter als Sühneopfer dem zürnenden Gotte bringt, erinnert ihn stets an Den, der sich am Kreuze für die ganze Menschheit geopfert hat. Wie in der allerletzten Periode Heines, so vollzieht sich auch bei Neruda ein seltsamer Prozefs: die ererbten und urwüchsigen Persönlichkeitselemente, welche durch einen wirkungsvollen philosophischen und litterarischen Kultureinflufs getilgt wurden, treten auf dem Sterbebette recht stark hervor. Nur so läfst es sich erklären, dafs in diesem Buche, welches man als die Passionsblume der cechischen Poesie bezeichnen könnte, der frühere Kosmopolit und Liberale zum beredten Sprecher eigentlimlicher Rassenmystik wurde. Nerudas Bedeutung wurde erst einige Jahre nach seinem Tode allgemein anerkannt und hinreichend gewürdigt, und in demselben Grade, wie die Begeister.ung für Halek erlischt, wächst - 275 - die Bewunderung für Nerudas Wesen und Dichtung. Besonders die jüngere Generation, die sich kühl und unbefriedigt von Svatopluk Cech und Jaroslav Vrchlicky abgewandt hat, verehrt in Neruda ihren groIsen Ahnherrn und Vorgänger und sucht in zahlreichen Essays ihrer bedeutendsten Kritiker den Kern seiner komplizierten Persönlichkeit zu erfassen. Das Ausland dagegen, dem der gute Europäer Neruda freundlich gegenüberstand, hat zu ihm bisher kein intimes Verhältnis gefunden. Mit Halek und Neruda ist ihr treuer Freund und poetischer Mitwerber,..,.Adolf Held u! (geb. 1835), der sie um lange Jahrzehnte überlebt hat und seinen hellen Blick und jugendlich frischen Sinn bis ins hohe Alter sich zu wahren wulste, mehr als in einer Beziehung verwandt. Auch für ihn, als er in den fünfziger Jahren lyrisch debütierte, bildete jene düstere, herbe Sentimentalität, die für Haleks und Nerudas Anfänge so bezeichnend ist, den poetischen Ausgangspunkt; auch ihm behagten am meisten jene schlichte knappe Liederform und jene anmutigen kleinen Stimmungsbild'er aus der Natur, wie sie Neruda und Halek mit Vorliebe und Meisterschaft behandelten; wie diese mischte auch Heyduk gern reine, leicht improvisierte Lyrik in grübelnde Reflexion. Doch er ist im Grunde ein zärtlicher und empfindsamer Gefühlsmensch, ein einfaches und naives Gemüt; ein begeisterter Optimist und ein süIslicher Idylliker; ein glücklicher Improvisator und ein lieblicher Spätromantiker , epigonenhaft und konventiell auch in seinen besten Schöpfungen. Die stärksten Anregungen hat er dem böhmischen und slowakischen Volksliede, das er oft auch bis in dessen stilistische Eigentümlichkeiten nachgeahmt, zu verdanken; doch was seiner Dichtung ihre Eigenart verleiht und ihre Popularität begründet hat, das ist Heyduks inniges sich in die jungfräuliche Natur der lieblichen Slowakei und des groIsartigen Böhmerwaldes Versenken, wo Heyduk seine besten Jahre verbrachte, und wo er Land und Volk liebevoll und begeistert beobachtete und studierte. Diese beiden Landschaften, wo den Dichter neben der unbefleckten Natur auch das nationale Element im Leben ihrer Bewohner angezogen hat, lieferten ihm nicht nur unerschöpfliche Themata zu seinen unzähligen frischen und melodischen Liedern, die in mehrere Sammlungen, wie z. B. "Waldblumen« (1873), "Cymbel und Geige« (1876) oder "Enzian und Studentenröschen« (1884), gesammelt sind, • 18* - 276 - sondern auch einen anmutigen und stilvollen Rahmen zu seinen poetischen Erzählungen. Während Halek in seinen poetischen Erzählungen geradezu an Byron angeknüpft hat, und während auch später Svatopluk Cech diesem grofsen Vorbilde treu geblieben ist, hat Heyduk in seinen versifizierten Geschichten eine ganz andere Richtung eingeschlagen als die ~echischen und polnischen Byronisten. Die epische Handlung, die für diesen geborenen Lyriker immer nur eine Nebensache bleibt, ist gewöhnlich dürftig und unbedeutend: er erzählt eine rührende Lebensgeschichte eines Mannes aus dem Volke, er schildert ein keusches und unschuldiges Liebesidyll, er entrollt ein liebenswürdiges, oft konventionell· glückliches Familienbild. Seine edelgesinnten Helden und seine zartfühlenden Heldinnen handeln und denken nie; sie vergehen fast in ihrer überquellenden Sentimentalität, in einem seltsamen Rausch von Sehnsucht, Zärtlichkeit und Empfindsamkeit; ja, man ist stets geneigt anzunehmen, dafs sie vor lauter erhabenen Gefühlen das einfache Denken gänzlich verlernt haben. Alle sind dabei leidenschaftliche Naturfreunde und Schönheits bewunderer, alle begeistern sich bei jeder Gelegenheit für Berg und Tal, Blumen und Bäume, singende Vögel und rauschende Bäche; alle sind aufrichtige Patrioten, meistens auch warme Slawen. So wirken Heyduks poetische Erzählungen, ja selbst sein vorzüglicher 1>Holzfällen (1882), nirgends durch ihre Lebenstreue und durchreaUstlS'ehe Charakterzüge; vielleicht auch. eben deshalb kann man dem süfsen, duftigen Zauber seiner allegorischen Märchen, von denen besonders "Des Grofsvaters Vermächtnis< (1879) berühmt geworden ist, k;WU-WlaersteheI;:"" '''-'_. Doch dieser schreibfreudige Poet, der - Rückert nicht unähnlich - zwischen dem Bedeutenden und dem Kleinlichen in seinen eigenen Leistungen nicht zu unterscheiden wufste, versuchte sich auch als Balladist und als monumentaler Hist9rienmaler und wollte sogar auf seiner lyrischen Leier die traR;ischen Geschicke seiner Nation im dreifsigjährigen Kriege besingen. Natürlich scheiterten diese verfehlten Versuche gänzlich, ja, sie haben dem so unkritischen Dichter in den Augen der Kenner ungemein geschadet, so dafs es der Nachwelt vorbehalten bleibt, in Heyduks Lebenswerk das Bedeutende, das in seiner lyrischen Kleinkunst verborgen bleibt, von dem Wertlosen zu sondern und so z.u retten. - 277 - Während es Adolf Heyduk gegönnt war, ein langes, fruchtbares Leben in beschaulicher Einsamkeit zu genieCsen und erst in späten Jahren seine reifsten Früchte zu pflücken, muCsten zwei von seinen gleichaltrigen poetischen Mitbewerbern allzufrüh ihr torsoartiges Lebenswerk verlassen. Es waren die bei den reichbegabten Lyriker Rudolf Mayer und Vaclav Solc, deren dünne Bändchen das edelste Streben nach neuem poetischen Gehalte bezeugen. Der ältere von ihnen, Rudolf Mayer (1837-1865), verschied in seinem 28. Jahre, bald nachdem er seine juristischen Studien abgeschlossen hatte j die Schwindsucht raffte ihn dahin. Es war ein zarter, sensitiver Melancholiker, dessen groCse, tiefe Augen in das Jenseits gerichtet waren, und der mit der Nacht, mit dem Halbdunkel, mit dem Traume und mit der Sehnsucht vertrauter war als mit der Sonne, dem Licht und mit der alltäglichen Wirklichkeit. Seine Lieder und Sonette, die ungemein melodisch und weich klingen, stehen noch unter dem einseitigen Einflusse der Byronschen Dichtung j doch Mayer kennt nur die schwermütige, düster melancholische Note seines heifsgeliebten Meisters j Byrons titanenhafter Trotz, seine ätzende" Kritik der menschlichen Gesellschaft, sein stolzer Sarkasmus sind ihm dagegen durchaus fremd. Aber Mayer versuchte sich auch auf anderen, selbständigeren Bahnen, wenn noch oft unsicher; er neigt sich mitleidig und liebevoll zu den bedrückten Proletariern j er interessiert sich für die sozialen Konflikte des Arbeiters und des Arbeitgebers und findet für ähnliche, damals noch hypermoderne Stoffe einen schwungvollen poetischen Ausdruck, der in seiner wortreichen Rhetorik und seinem humanen Liberalismus oft an Freiligrath erinnert. Kräftiger und vielseitiger als Mayer war allerdings der jüngere Vaclav Solc (1838-1871); aber die psychologischen Feinheiten, welche bei Mayer so bezaubernd wirken, darf man von diesem verbummelten Bauernsohn und verirrten Bohemien nicht erwarten. Goethes strenges und gerechtes Urteil über Günther, dessen Schicksale Sole durchleben muCste, trifft auch bei Sole wörtlich zu: er konnte sich nicht zähmen, und so zerrann ihm sein Leben wie sein Dichten. Seine Begabung war urwüchsig und dabei doch ungemein reich: er beherrschte sowohl das einfache volkstümliche Lied als auch die beredte Ode: er war zu- - 278 - gleich zarter Liebesdichter und wuchtiger Rhetoriker; neben kleinen frischen Genrebildern aus der Grofsstadt und der Vorstadt findet man bei ihm breitangelegte Skizzen zu grofsen historischen Gemälden j ein üppig-sinnlicher Orientalismus wechselt bei ihm mit schlichtester Heimatskunst. Was jedoch seinen Gedichten, die unter dem Titel 1> Primeln c (1868) erschienen sind, innere Einheit verleiht, das ist die konsequent durchgeführte Idee des liberalen Demokratismus: hier spricht ein selbstbewufster Bauernsohn , dessen Väter noch unter der Leibeigenschaft leiden mufsten, und dessen Ahnen gegen die weltliche und geistliche Obrigkeit so mutig sich auflehnten, hier spricht ein stolzer Ceche, dessen Volk politisch geknechtet ist, hier spricht ein leidenschaftlicher Slawe, der alle Feinde und Bedrücker seines Stammes haLst und verachtet. Und so preist Sole sowohl die polnische Revolution als auch den Aufstand der Südslawen gegen das türkische Joch; so besingt er sowohl den Kampf der cechischen Nation um das alte, gute Recht als auch die Emanzipation des fünften Standes. Der ungarische Achtundvierziger Petöfi und der Pariser Volksdichter Beranger haben ihn dabei stark beeinflufst j besonders diesem hatte Solc seine volkstümliche, knappe, 'coupletartige Form entnommen, der er auch seine Popularität verdankt. Seine Gedichte, die bei all seinem improvisatorischen Verfahren oft reife technische Kunst verraten, waren sehr einflufsreich. Besonders war es Svatopluk Cech, der die Balkanische Halbinsel und den slawischen Orient mit Solc'schen Augen gesehen und in seiner Manier besungen hat j aber auch Vrchlickys westöstliche Formkunst empfing von Sole manche Anregung. Nicht so glänzend und mannigfaltig wie die Lyrik hat sich in dem Zeitalter Nerudas und Haleks die cechische Novellistik und Romankunst entfaltet; aber auch hier darf man von einer Verjüngung der cechischen Litteratur sprechen. Dürftig und unbedeutend war alles, was die neue Generation auf dem Gebiete der prosaischen Erzählung vorfand j seichte historische Romane, die sich sklavisch an Walter Scott anschlossen, naive Detailmalerei aus den Kreisen des Kleinbürgerturns, die bisweilen mit schüchterner Satire und einem ängstlichen Humor ausgestaltet war, süfsliche, philiströse Liebesgeschichten mit patriotischer Tendenz - das bildete da- - 279 - mals den Grundstock der cechischen Prosa. Nur die frischen idyllisch realistischen Erzählungen aus dem Volksleben von B. Nemcova bildeten in dieser tristen Öde eine lobenswerte Ausnahme: doch auch in ihnen fand die neue, feurige Generation nur einen allzu engen Ideenkreis , einen unbedeutenden Lebensausschnitt, eine idyllische, primitive Auffassung, wenn auch die Schriftstellerin den modernen Tendenzen nicht unzugänglich gewesen war. Die Forderungen, welche die neue Schule an die Prosa stellte, lauteten dagegen: Modernes Leben! Fortschrittliche Tendenzen! Streben nach Einheit der Kunst und der Wirklichkeit! Freie Lebensanschauung ! Soziale Kunst! Energisches Eingreifen in die Tageskämpfe ! Schöne Tat! Da jedoch keiner der Vorgänger diesem Programm, das durchweg von dem jungen Deutschland übernommen war, entsprach, mufste man sich zuerst mit fremden Vorbildern bequemen. Neben den jungdeutschen Prosaikern, die man eifrig, aber kunstlos nachahmte, übte vorzüglich George Sand einen ungeheueren Einflufs aus. Als sie in Böhmen allerlei Dokumente zu ihrem Roman >Consueloc und >Der Gräfin von Rudolstadh sammelte, lernte sie einen geistreichen und feingebildeten Kunstkenner und Kritiker, den berühmten Arzt J. R. Cejka kennen; dieser wurde nicht nur zu ihrem Begleiter, sondern dann auch zu ihrem Apostel in Böhmen. Seine Freundin Bozena Nemcova wufste er zwar nicht zu bewegen, die Bahnen George Sands zu betreten; bald fand er aber in den zwei Schwestern Rott, die später als Karolina Svetla und Sofie Podlipska in der Litteratur bekannt wurden, treue Anhängerinnen und Schülerinnen seiner berühmten französischen Freundin. Die Jugend von Karo lina SvetIa (1830-1899) wurde von einem doppelten mächtigen Einflufs bestimmt, dem des Prager Milieus und dem der böhmischen nationalen 'Wiedergeburt. Sie stammte aus einer angesehenen, altertümlichen Familie, die in einer originellen Ufergasse der malerischen Prager Altstadt ansässig war und treu an den Traditionen der halbdeutschen bigotten Bürgerschaft hing; so lernte K. Svetla ein ganz anderes Prag als z. B. Neruda kennen: das stolze, dustere, historische Prag mit der ganzen Tragik der Gegenreformation, sowie mit den romanhaft verwickelten Familienverhältnissen der vermögenden und sittenlosen Bourgeoisie und - 280 - Kaufmannswelt. In dieser Umgebung, an der die moderne Zeit spurlos vorübergegangen war, schuf sich das interessante junge Mädchen mit den tiefernsten Augen ihr eigenes, ganz romantisch gefärbtes Bild von dem Ideengehalt der nationalen Wiedergeburt: es war für sie vielmehr eine religiös-soziale Bewegung, die mit all diesen ungesunden und fremdartigen Verhältnissen in Prag aufräumen und die schlummernden Kräfte des Volkes zu neuem Leben aufwecken werde. Der moderne Liberalismus, der freisinnige Kampf gegen jeden starren religiösen Dogmatismus und kirchlichen Zwang, die Hebung der arbeitenden Klassen, besonders aber die Emanzipation des Weibes gewannen bald das junge Herz der feurigen Idealistin, bei der stets das Gefühl in siegreicher Opposition gegen die kalte, nüchterne Vernunft stand. Zuerst trat sie in einer Reihe von farblosen, matten Novellen aus der modernen, nur mangelhaft charakterisierten Gesellschaft auf, die mit einer überströmenden Beredsamkeit verschiedene Fragen aus dem Frauenleben lösen wollen, aber durch ihre unsichere Charakterbezeicbnung und ibre scbleppende Handlung recht langweilig wirken. Dann führt sie ein Zufall in das böhmische ]eschkengebirge, in die cechische Umgebung des deutschen Reichenberg , und da findet die dreifsigjährige Schriftstellerin - auch ihr Pseudonym Karolina Svetla (sie hiefs bürgerlich ]obanna Muzakova) ist ein Ausdruck der Liebe zu dieser schönen Gebirgslandschaft - ihre persönliche Note, so da[s Halek mit vollem Rechte schreiben konnte: »Wie glücklich ist das ]eschkengebirge, dafs es seine Svetla, wie glücklich ist die Svetla, dafs sie ihr ]eschkengebirge gefunden hat!« Eine wundervolle, ja gro[sartige Welt öffnete sich da ihren Blicken: hoch oben auf den Bergen, wo 'Volken und Stürme hausen, inmitten von tiefen und wilden 'Väldern bergen sich kleine, ganz eigenartige, sehr malerische Dörfer mit einer überaus interessanten Bevölkerung. Es leben da religiöse Schwärmer, die halb skeptisch, halb mystisch über die gewaltigsten Lebensfragen nachdenken, stattliche Bäuerinnen, die zwischen der leidenschaftlichsten Liebe und der grenzlosesten Aufopferung ihr ganzes Leben lang schwanken, anmutige, aber eigensinnige, dabei jedoch edelgesinnte Mädchengestalten, die ihre Liebhaber mit bedenklichen Launen und verwegenen Grillen quälen. Diese, durch 281 ihre kühne Gedankenwelt oder durch ihre merkwürdige Willensfestigkeit auffallenden Gestalten führt nun K. Svetla in ihren Romanen und Novellen vor: sie müssen mit ihr über die tiefsten Zeitprobleme grübeln, sich mit ihr in eine schwärmerische Philosophie vertiefen, kaum anders als bei George Sand oder B. Auerbach. Zwei ·Welten prallen in ihren Werken immer aufeinander; einerseits sind es rücksichtslose, rachsüchtige, lasterhafte Charaktere, die einem zerstörenden Individualismus fröhnen, andrerseits aber demütige, selbstlose, edle Wesen, auf denen nach Svetlas Auffassung die gesamte moralische Weltordnung beruht. Diese mUssen sich immer fUr ihre Familie, ihr Geschlecht, ja, für die Menschheit aufopfern, wenn sie dabei auch meist zugrunde gehen; stets war K. Svetla bestrebt, diese erhabene Aufgabe dem Weibe ans Herz zu legen, so dars man »den Messianismus der weiblichen Aufopferung« als die Zentralidee ihres Schaffens bezeichnen möchte. So wirken ihre farbenreichen Romane aus dem Jesch kengebirge, die in einer leidenschaftlichen und pathetischen Prosa und einer kernigen Sprache geschrieben sind, manchmal aber durch ihre unübersehbare Personenfülle ermüden, auf den Leser oft tragisch und erhaben, der sich von ihrem kühnen Idealismus hinreirsen lärst. Drei von ihnen, >Ein Dorfroman« (1867, deutsch von G. Alexis u. d. T. »Sylva«, 1900), ,Das Kreuz am Bache« (1868), »Der Gotteslästeren (1873), gehören zu den Gipfeln der modernen Dorfromantik überhaupt. Höher noch stehen ihre kurzen Dorfgeschichten; urwüchsige Vollblutnaturen aus dem Volke sind da scharf gezeichnet; die Handlung entwickelt sich da mit einer epischen Frische und verblüffenden Lebendigkeit; der Dialog ist saftig und dabei knapp; die sonst so lästige Tendenz drängt sich nicht auf. Einige von diesen Novellen, die später in zwei vorzüglichen Sammlungen, )~chlichte Seelen~, und »Zeichnungen aus dem Jeschkengebirge~, vereinigt wurden so z. B. >Der Kurs« (1871, deutsch von F. Bauer), >Die Schneideragnes« (1860), »Die selige Bärbel~ (1873), sind in der cechischen Prosa bisher nicht wieder erreicht worden. Später versuchte Svetla auch das altertümliche Prag des 18. und 19. Jahrhunderts in einigen phantastisch angelegten Romanen zu schildern; aber da wächst alles ins Ungeheuere und Immense, wilde Leidenschaften toben, geheimnisvolle Verbrechen - 282 - werden begangen, grelle und gellende Farben werden überall dick aufgetragen, pathetische Herzensergiefsungen und rhetorische Tiraden unterbrechen die bedenklich verwickelte Handlung; die freisinnige und antiklerikale Tendenz tritt stets in den Vordergrund. Während Karolina Svetlä in den 60. und 70. Jahren ungemein produktiv war, versiegte später ihre schöpferische Kraft. Verschiedene Zeitfragen reizten sie noch immer, ihren Standpunkt belletristisch klarzulegen; es entstanden jedoch nur geistvca1le Bekenntnisbücher , keine Kunstwerke mehr. Ihre grofse Persönlichkeit aber, die das ganze weibliche Geschlecht ihres Volkes in ihren Kreis zu bannen wufste, ragte hoch in stolzer Einsamkeit wie die einer Hohepriesterin des Idealismus bis zu dem Tod, der die fast siebzigjährige Greisin an der Jahrhundertwende getroffen hat. Die tragische Lebensauffassung , das edle psychologische Pathos, die grofszügige Stil einheit , die sich im Wesen von Karolina Svetlä vereinigen, sind bei keinem ihrer zahlreichen Mitbewerber auf dem Gebiete des Romans zu finden. Fast allen haben es die jungdeutschen Romandichter mit ihrer sozial·bürger. lichen Tendenz, mit ihrem fortschrittlichen Liberalismus, mit ihrer bequemen Theorie des Nebeneinander angetan; doch es vollzieht sich bei ihnen eine höchst bezeichnende Entwicklung von ausgesprochener Subjektivität und spätromantischer Sentimentalität zu einer objektiv epischen und realistischen Anschauung. Diese Schriftsteller, die mit überzeugter Teilnahme das Wachstum des liberalen cechischen Bürgertums betrachten, die für die Emanzipation des fünften Standes offene Augen haben und den für die cechische Nation durchaus bedeutungslosen Adel eifrig bekämpfen, wollten Bürger unter Bürgern sein und auf freiem Grund mit freiem Volke stehen. Doch ihre Gesinnung war viel besser als ihre Kunst. Sie wollten umfassende und lebensprühende Welt- und Zeitbilder geben, aber gaben nur beschränkte, matte Familienbilder; sie wollten in einer bunten Reihe gesellschaftliche Typen der modernen Grofsstadt und des unberührten Landes vorführen, aber brachten in ihren phantastisch romanhaften Gebilden die sozialen Klassen durch uneheliche Kinder mit geheimnisvollen Schicksalen und wunderlichen Liebschaften in Verbindung ; sie wollten ihrem Volke - 283 - moderne Ideale zeigen, fielen jedoch immer von neuem in das Fahrwasser des sentimentalen Patriotismus zurück. Der begabteste in dieser Gruppe war G u s t a v P f leg er Mo r a v sk y (1833-1875), ein zarter, feinsinniger Mensch, dessen morbide und schmachtende Natur allzu lange unter dem Banne des kraftlosen Epigonentums zu leiden hatte. In seiner trüben, freudelosen Jugend veröffentlichte Pfleger gefühlvolle, blasse Friedhofslyrik , die sich mit Halek und Neruda berührt; dann hat efnange an einem formlosen Versroman, »Herr Vysinsky«, welcher eine freie Paraphrase des Puschkinschen ~Eugenij Onegine mit Byronschen Reminiszenzen ist, gedichtet und darin seiner inneren Zerrissenheit und seinem passiven Weltschmerz Ausdruck gegeben; später hat er sich auch auf der Bühne versucht und hohle Geschichtsdramen sowie mittelmäIsige Lustspiele dargebracht. Doch seine Bedeutung ist nur in seinen drei Zeit· romanen, ~ Verlorenes Leben c (1862) , »Aus kleiner Welte (1864) und »Die Frau Fabrikantine (1873), zu suchen. Als einer der ersten hat er in dem groIsen Roman ~ Verlorenes Leben« in das volle soziale und nationale Leben der Gegenwart gegriffen, in dem er die abenteuerlichen Schicksale eines in die revolutionären Händel der 40. und 50. Jahre verwickelten und dabei gescheiterten Schwärmers vorführt. Durch sein breites und farbenreiches Gemälde »Aus kleiner ·Welt« hat er den sozialen Roman des böhmischen Arbeitervolkes begründet und hat mit einem realistischen Respekt vor der Tatsache eine bedeutende Episode aus der Zeitgeschichte, den Aufstand der Prager Fabrikarbeiter gegen die Maschinen im Jahre 1844, hineingewoben. Sein letztes, schon knapper und gedrängter komponiertes Prosawerk ~Die Fra' Fabrikantin« streift dagegen das soziale Gebiet nur ganz leicht'; es ist vielmehr eine durchdringende Seelenanalyse, ein aus Krämpfen und Tränen geborenes Buch, ein unbarmherziges Inferno der leidenschaftlichen Erotik. Doch Pfleger war kaum mehr als ein Anreger; seine Romane sind nur kühne Versuche, keine vollendeten Kunstwerke; seine Helden sind keine Typen, sondern nur Schemen. Seine Romantechnik hat er von Spielhagen, dessen »Problematische Naturen« besonders in seinem »Verlorenen Leben« stark nachklingen, gelernt; in seiner Sentimentalität, in seiner gefühlvollen Humanität, in seinem fast rührenden Frauenkultus blieb er jedoch immer ein blasser Epigone - 284 - der Spätromantik, dessen gebrechliches Schifflein , das mit den schwarzen Segeln des Pessimismus auf dem wild aufbrausenden Meere der bewegten Zeit einhersegelte , doch nicht zu dem unsicher aber sehnsuchtsvoll ersehnten Gestade des' modernen Realismus gelangen sollte. Auch jenen von seinen Zeitgenossen, denen es gegönnt war, ein langes, ruhiges Leben auszukosten und unter günstigen Verhältnissen ihre Kräfte zu entwickeln, gelang dieses nicht. Die meisten von ihnen haben sich schon in ihren Anfängen mit dem Geschmacke des böhmischen Publikums versöhnt und sich mit der bescheidenen Rolle der Unterhaltungsschriftsteller begnügt. Ihre unlitterarischen Konsumenten verlangten von ihnen eine interessante Milieuschilderung, womöglich aus höheren Kreisen; die gefühlvollen Leserinnen wünschten eine spannende Liebesi~trigue, die mit einem sürslichen Familienbilde abwechsele; doch man durfte um keinen Preis die patriotische Tendenz vergessen! Zuweilen konnte man zur Abwechslung seinen Familienroman in ein früheres Jahrhundert verlegen, wobei die gesellschaftlichen Verhältnisse nur ganz unbedeutend verschoben sein konnten und der stille Patriotismus sich in wilden Chauvinismus umwandelte. Auch kleine konventionelle Novellen aus der Kleinstadt und angenehme Jugenderinnerungen waren dem dankbaren Publikum sehr willkommen. Dabei waren diese betriebsamen Massenfabrikanten keineswegs bedeutungslose Skribenten. Va cl a v V lee k (geb. 1839) war ein machtvoller Organisator und Redakteur, sein Freund Fe r d i n a n d Sc h u lz (1835-1905) ein guter Journalist und ein kundiger Litterarhistoriker ; Frau So f i e Po d I i ps k a (1833-1897), die Schwester von Karolina Sv~tla, eine edle Philarlthropin und Erzieherin zur Humanität, die in den 70. und 80. Jahren teilweise schon die Bestrebungen von Ellen Key vorweggenommen hat. In derselben Bürgerwelt,aus der und fUr die diese Schriftsteller schufen, wurzelte auch Al 0 i s V 0 j t ~ c h S mil 0 v sk Y (1837-1883), der jedoch schon den Übergang zum Realismus vermittelt. Liest man die in Böhmen ungemein beliebten Novellen und Romane von Smilovsky nacheinander, und konstruiert sich nach der Lektüre das Bild des Autors, so murs man unwillkürlich an den wackeren Meister Anton aus Hebbels Maria Magdalene denken: man findet da seinen kleinbürgerlichen Tugendstolz, - 285 - seine strenge, unbarmherzige Moral, sein schonungsloses Pflichtgefühl, aber auch seine kleinstädtische Beschränktheit, sein kleinliches Haften an allen hergebrachten Gewohnheiten, seine philiströsen Vorurteile. Smilovsky war ja selbst eine Verkörperung der cechischen Kleinstadt; in einem nordböhmischen Städtchen war er geboren und erzogen, in einer Kleinstadt unterhalb des Böhmerwaldes hat er als Professor gewirkt, in einer ostböhmischen Stadt hat er sein Leben beschlossen. Und so war er gewiIs berufen, diese Kleinwelt in ihrer liebenswürdigen Albernheit und in ihrer schlichten Anmut darzustellen. Die altmodischen Gestalten der Kleinstadt, denen er auch die verborgensten Schwingungen der Seele abgelauscht hat, grüfsen uns in seinen Novellen, von denen ich nur den vorzüglichen )Grützhändler Kleophasf( (1875) nennen will, so lebendig als kaum bei einem anderen zeitgenössischen Novellisten; malerische Häuser mit bizarren Barockgiebeln, altertümlichem Geräte, abgenutzten kolossalen Möbeln winken uns einladend zu, und endlich eröffnet der Dichter vor unseren Augen eine zarte, duftige Erinnerungsperspektive aus seiner glücklichen Knabenzeit , von der er besonders in seinen »Losen Kapiteln" (1873 - 1881) mit liebenswürdigem und schalkhaftem Humor erzählt. Doch dieses stimmungsvolle Bild soll uns nicht lange ergötzen; Smilovsky erinnert sich plötzlich seines pädagogischen Amtes, dessen er nicht nur als Gymnasiallehrer und Schulinspektor, sondern auch als Schriftsteller pflicbtgetreu waltete, und ermüdet uns durch den ödesten Schulmeisterton, durch eine didaktische Moral, die in einem wunderlich überladenen, sich an die volkstümliche Gnomik anlehnenden Stile vorgetragen wird, derart, dafs wir dann seine unsagbar weitschweifigen Bücher verstimmt und enttäuscht aus der Hand legen. Konnte man in der cechischen Lyrik und Novellistik der 60. und 70. Jahre tatsächlich von einer organischen Entwicklungslinie sprechen und die gesamten Erscheinungen in einen einheitlichen Rahmen einfügen, so wäre Ähnliches in der Geschichte der cechischen dramatischen Litteratur doch allzu gewagt. Alle Voraussetzungen eines organischen Wachstums fehlten der cechischen szenischen Kunst: man besafs keine dramatische Tradition, keine grofse litterarische Bühne, kein dramatisch - 286 - gebildetes Publikum; einige wirklich hervorragende Schauspieler muIsten in minderwertigen Schwänken, gedankenlosen Operetten ihre besten Kräfte vergeuden; die Theaterkritik , in der auch Neruda und Pfleger tätig waren, stand noch in ihren allerersten Anfängen; die Regie wurde unglaublich vernächlässigt. Im Jahre 1859 wurde nahe der Prager Neustadt ein neues, geräumiges Theatergebäude errichtet; seit dem Jahre 1861 wechselten auf dem böhmischen Landestheater deutsche Stücke regelmäIsig mit den cechischen; nach zwei Jahren wurde dann die cechische Abteilung des Landestheaters als eine selbständige Bühne eröffnet; zur Eröffnungsvorstellung wählte man eine neue Tragödie von Halek. Klassisches Repertoire wechselte mit salbungsvollen vaterländischen Stucken ab; übermütige französische Komödien wurden neben schüchternen einheimischen Lustspielen vorgeführt; so vermiIste man einheitlichen Stil sowohl in der dramatischen Produktion als auch in der Darstellung. Der dämonisch groteske Interpret der Shakespeareschen und Goetheschen Gestalten, der )affenteuerliche, naupengeheuerlicheKainc: vortrefflich übersetzt, sich eingehend mit Halek, mit R. Mayer, mit Bozdech beschäftigt. Sein Blick war scharf und weit, seine Beweisführung überzeugend, seine Urteile offen und schonungslos. Die besten Geister haben sich an seinen sorgfältig gefeilten kritischen Aufsätzen und Büchern, die sich einer durchgebildeten, ja gezierten und präziösen Sprache bedienen, ergötzt; die von ihm neu geschaffene philosophische und kritische Terminologie ist allgemein anerkannt worden; die Mittelschule verbreitete seine Prinzipien. Doch Durdik verstummte als Kritiker allzu bald , um sich seiner akademischen Tätigkeit als Ästhetiker und Geschichtschreiber der Philosophie ausschliefslich zu widmen. Für das Beste jedoch, was die Litteratur seiner Zeit anstrebte, findet man in seinen Büchern die ästhetische und kritische Begründung; die höchsten Kunstideale seiner Generation liegen in seinen einst so gerühmten, heute aber ganz vergessenen Werken begraben. Zwölftes Kapitel. Die pan slawistischen und historischen Tendenzen in der neuen cechischen Litteratur. Der Zeitraum von 1860-1880 ist in Böhmen eine Periode des eifrigsten politischen Kampfes. Mit dem alten vormärzlichen Österreich, wie es die Regierung Bachs neu zu beleben suchte, ist es nun vollends vorbei; die Konstitution löst neue politische Kräfte aus; die partikularistischen Landtage und der zentralistische Reichsrat in Wien kommen allmählich zu Worte; die Presse, sei sie nun liberal oder nationalistisch, wird jetzt eine Grofsmacht; die Litteratur stellt sich willig unter das Joch der Politik. Mit neuen Kräften kämpfen die Cechen jedoch für die alten Ideen, wie sie bereits in der Zeit der nationalen Wiedergeburt erfafst und formuliert wurden; die Männer von 1848, Palacky, Rieger, Sladkovsky, stehen noch immer ~n der Spitze der cechischen Politik; die bekannten politischen Grundsätze, welche Palacky in seinem berühmten Sendschreiben an die Versammlung in der Frankfurter Paulskirche betont hatte und, welche auch auf dem wunderlichen slawischen Kongresse in Prag im Jahre 1848 aufgetaucht waren, bewegen weiter das öffentliche Leben der cechischen Nation. Auf zwei mächtige Grundideen kann man die damaligen politischen Bestrebungen, die wieder unter einer drückenden Persekution seitens der Regierung und der Polizei schwer zu leiden hatten, zurückfuhren: auf die Idee der konsequenten Durchführung des cechischen historischen Staatsrechtes im Rahmen eines föderativen Österreich und auf den echt romantischen Gedanken des Panslawismus. Diese Ziele waren jedoch allzu hoch gesteckt; die Wirklichkeit war trübe, die politischen Erfolge waren unbedeutend; end- - 291 lich mufste man wieder nur von täuschenden Hoffnungen und erhabenen politischen Symbolen zehren. Schon im Jahre 1861, inmitten des konsequentesten Zentralismus, klammerte sich das leichtgläubige ~echische Volk an die feierliche Erklärung 'des Kaisers, er werde sich in Prag krönen lassen und werde dadurch die staatsrechtliche Selbständigkeit der böhmischen Kronländer anerkennen. Doch diese Erwartungen gingen fehl, schon ein Jahr später fühlten sich die ~echischen Politiker gezwungen, der Wiener Regierung gegenüber zu erklären, dars sie sich infolge des zentralistischen Regimes von jeder realen Parlamentarbeit zurückziehen würden; sie führten auch ihr Vorhaben durch und haben Jahrzehnte hindurch ihre passive Opposition getrieben. Doch die kleinste Gelegenheit genügte, um die hoffnungsvolle Begeisterung für den Kampf um das historische Staatsrecht in Flammen zu setzen: mit einem unglaublichen Enthusiasmus werden im Jahre 1867 die aus Wien zurückkehrenden Krönungsinsignien begrüfst, und zu dem sog. ISeptemberreskriph vom 12. September 1871, wo sich der Kaiser Franz Joseph 1. abermals bereit erklärte, sich in Prag krönen zu lassen, sieht man wie zu einem nationalen Heiligtum empor. Man pocht mit einer fast rührenden Beharrlichkeit auf seine historischen Rechte, welche die Wiener Regierungen allerdings weiter unberücksichtigt lassen, und so lebt die ~echische Nation in einem fortwährenden Rausch von historischen Erinnerungen, die sie für die trübe und aussichtslose Gegenwart entschädigen müssen. Nebenbei wird eine ebenso naive und erfolglose auswärtige panslawistische Politik getrieben, die, ähnlich wie der Kongrefs der slawischen Nationen vom Jahre 1848, kaum weifs, wo sie' eigentlich hin will. Im Jahre 1863 bringt der letzte Aufstand der Polen die ~echische Jugend, darunter auch namhafte Schriftstell er , Publizisten, ja Frauen, in Gärung; man lernt Polnisch, man übersetzt polnische Romantiker, man singt polnische revolutionäre Lieder, man bewaffnet sich und eilt, den kämpfenden Brüdern zu helfen. Die älteren Patrioten mifsbilligen es als eine gefährliche Donquichoterie, bald jedoch begehen sie eine viel schlimmere. Im Jahre 1867 bei Anlafs einer ethnographischen Ausstellung in Moskau wallfahren mehrere angesehene Vertreter des ~echischen Volkes, unter ihnen die Politiker Palacky, Sladkovsky, Rieger, der Dichter Erben, der Maler Maues, nach 19* - 292 - Rulsland und huldigen hier förmlich der russischen Regierung. Als in den Jahren 1876 und 1877 die Südslawen gegen die Türken für ihre Freiheit kämpfen, werden sie von den Cechen begeistert angejubelt, und auch die Russen, welche sich dann der Südslawen angenommen haben, entfachen in Böhmen geradezu leidenschaftliche Sympathien. Es hat ja schon früher der Novellist Prokop ChocQ.olousek die serbischen und die montenegrinischen Helden mit einer warmen Teilnahme geschildert; auch die serbische Heldendichtung war bereits in Böhmen in Übersetzungen und Nac\1ahmungen bekannt: jetzt fühlt sich ein feiner, in Frankreich ausgebildeter Historienmaler Jaroslav Cermak in Montenegro viel heimischer als in Böhmen; jetzt besingen Vac1av Solc und Eli~ka Krasnohorska die Balkaner Freiheitskriege. Ja, diese schwärmerische Vorliebe für den slawischen Orient führt die eechischen Dichter bis unter den wilden, märchenhaften Kaukasus : hier wird Svatopluk Cech zu mehreren romantischen Gedichten, die sich an den grofsen russischen Epiker Lermontow anschliefsen, angeregt; hier findet ein begabter, aber sehr abenteuerlicher eechischer Novellist Bohumil Havlasa unter den russischen Fahnen in seinem 27. Lebensjahre den Tod. Ähnlich sind in der eechischen Litteratur dieser Periode der Panslawismus und der Historismus die Triebfedern; auch was später auf d,~esen Gebieten geschaffen wurde, mufs in diesem Zusammenhange geschildert werden. Ein vollendete Synthese der beiden Tendenzen gibt in seinem poetisch ganz einheitlichen Lebenswerke der grölste und zumal der populärste Dichter dieses Zeitraumes, Sv a top lu k Ce c h (geb. 1846). Heute liegen seine Dichtungen und prosaischen Schriften in einer zwanzigbändigen vom Autor selbst veranstalteten Gesamtausgabe vollständig vor, und so kann der Litterarhistoriker bereits sein Leben und Wirken als ein abgeschlossenes Ganze betrachten und es aus den historischen Zeitbedingungen gesetzmäfsig erklären. Svatopluk Cech, dessen Name allein den Inbegriff des nationalen Wesens in sich schliefst, stammt aus einem kräftigen mittelböhmischen Bauernstamme, dessen Traditionen bis tief in das 17. Jahrhundert reichen. Des Dichters Vater, ein schlichter Domänenverwalter, war ein eifriger Patriot, ein begeisterter Panslawist , ein überzeugter Achtundvierziger, der für seine Beteiligung an den revolutionären Händeln - 293 - schwer zu büfsen hatte; bald gewann er den menschenscheuen, träumerischen Knaben, der in einer anmutigen, milden Ebene seine idyllische Jugend verbrachte, fUr seine Lieblingsideen. Als Gymnasiast, der sich auf einer altertümlichen, pedantischen und national durchaus indifferenten Piaristenschule in Prag nicht besonders wohl fühlte, las der junge Svatopluk Cech mit Vorliebe die begeisterten Dichter des modemen Freiheitsdranges und des antisozialen Trotzes; besonders Byron, Puschkin und Mächa traten in seinen Gedankenkreis, und hinterliefsen bedeutende Spuren in seinen Jugendwerken. Im Jahre 1867 tritt der 21 jährige Jurist mit einem farbenreichen, dem südslawischen Freiheitskampfe entnommenen Gedichte in die Litteratur; nach sechs Jahren vertlffentlicht er ein wundervolles Epos, das grofsartige Freskogemälde aus dem Hussitenkriege »Die Adamiten«, dessen künstlerische Reife wir noch heute bewundern müssen; dadurch wird er eine anerkannte Gröfse in der ~echischen Dichtung, wo er bald über Hälek und Neruda gestellt wird. Jahr für Jahr erscheint dann von ihm eine neue, stets gereifte und bis ins Detail ausgeführte poetische Schöpfung. Einmal ist es eine breite, mit allerhand fein geschliffenem und üppig ziseliertem Beiwerke ausgestattete epische Komposition, wo gewöhnlich der epische Gang der Hapdlung unter einer allzu ausführlichen poetischen Be. schreibung zu leiden hat; oder aber er vereinigt in einem geschickt arrangierten lyrischen Bande seine politischen Meditationen und seine sozialen Betrachtungen, die entweder in das üppige schwere Gewand einer Ode oder in die leichte, volkstümliche Liederform gekleidet sind; ein anderesmal bringt der Poet, dessen Humor zart und schelmisch ist, ein anmutiges allegorisches Märchen, worin er den öffentlichen Albernheiten und den landläufigen Vorurteilen schalkhaft ein Schnippchen schlägt; endlich befriedigt er auch die unter seinen Lesern, die für die Poesie kein Verständnis zeigen, mit einem liebenswürdigen, wenn auch keineswegs tiefen Novellenbuche. So steht er in seinem 40. Jahre auf dem Gipfel seiner Kunst und seiner Popularität, die er teilweise auch seiner politischen Gesinnung, die liberal und demokratisch ist, zu verdanken hat. Doch diese riesenhafte Begeisterung der Leser, dieser öffentliche Beifall der gesamten Nation drückt und beängstigt den ruhigen, in sich gekehrten Träumer, und so flüchtet sich der schlichte Dichter in eine 294 - idyllische und beschauliche Einsamkeit, wo er nur seinen Blumen und seinen Jugenderinnerungen zu leben scheint. Svatopluk Cech ist durchwegs ein Tendenz- und Problemdichter ; auch da, wo der poetische Grundton rein episch oder idyllisch ist, werden in die epische Handlung tendenziöse Fäden, manchmal ganz bemerkbar, verwoben. So werden schon in »Den Adamiten«, des Dichters erstem grofsen Wurfe, von den religiösen Schwärmern des 15. Jahrhunderts moderne Probleme des Pantheismus und des Materialismus, der freien Liebe und der Frauenemanzipation, des Kommunismus und der Anarchie mit einer erhabenen Rhetorik behandelt. So wird in der idyllischen Rahmenerzählung )Im Schatten der Linde« (1880; deutsch von J.]. Gregory in Leipzig 1897), wo sonst kleine, ja anekdotenmäfsige Begebenheiten aus dem cechischen Volksleben frisch und humoristisch wie in einem Guckkasten vorgeführt werden, nebenbei auch die Frage der Auswanderung nach Amerika erörtert. So werden in dem breitangelegten historischen Epos aus der dänischen Geschichte des 13. Jahrhunderts, »Dagmar« (1885) die Ursachen des Verfalles und Unterganges der slawischen Wenden und Obodriten an der Nordsee poetisch beleuchtet, wobei auch manch warnendes Wort den uneinigen Slawen gesagt wird. Als ein moderner Liberaler und ein demokratischer Patriot fafst Cech auch die Geschichte seines Volkes auf. Während die cechischen Romantiker bis zu Zeyer und Vrchlicky eine ausgesprochene Vorliebe für Böhmens Heldensage und für das frühe Mittelalter unter den Premysliden hatten, interessiert sich Cech eigentlich nur für die Zeit der böhmischen Reformation und ihr tragisches Nachspiel im 17. Jahrhundert. Palacky hat in dem Hussitentum und in der Brüderunität den Gipfel der nationalen Geschichte erblickt und hat in seinem monumentalen Geschichtswerke dieser Auffassung Ausdruck gegeben; doch die cechischen Dichter liefsen sich von ihm in dieser Hinsicht nicht anregen; ja sie wurden sogar von den deutschen Poeten Lenau und Meifsner - jener hat einen ]ohannes Hus, dieser einen Zizka gedichtet - überholt. Erst in den sechziger Jahren entfachen die jungcechischen Liberalen eine Begeisterung für das Hussitenturn; im Jahre 1868 wallfahren zahlreiche Cechen nach Konstanz um dort das Andenken Husens zu feiern; die historischen Maler, mit dem berühmten Pilotyschüler V. Brozik an der Spitze, - 295 wählen jetzt gern die Vorwürfe zu ihren kolossalen Leinwandflächen aus der Hussitenzeit ; Tfebfzsky, dann auch Jinisek stellen die glorreiche Zeit »des Kelches und des Schwertes« in den Vordergrund ihrer historischen Novellistik, aber keiner weHs diese grofse Zeit, von der schon Schiller in seinem »W allenstein« so sympathisch spricht, so begeistert zu besingen wie eben Sv. Cech. Schon unter seinen Jugendgedichten findet man eine Ballade >Der Hussitenkrieger an der Ostsee« , die mit einer beredten Apotheose des Hussitenturns schliefst; dann folgen »Die Adamitenc mit der Riesengestalt Zizkas im Hintergrund; sechs Jahre später wählt Cech den blinden Hussitenführer zum Helden einer genial hingeworfenen epischen Erzählung »Zh ka«, in der der stets rhetorische Dichter einmal in einer wirklichen Rede seine beste Kunst entfaltet. Aus demütigen Tränen und düsteren Meditationen über die schmachvolle Niederlage des cechischen Volkes im 17. Jahrhundert ist dann sein «V ac1av von Michalovic« (1882, deutsch nur in einigen Bruchstücken in Alberts >Neuester Poesie aus Böhmenc) geboren. Die cechische Reformation verblutete eben unter dem Schwerte des Scharfrichters und unter der geistigen Unterdrückung der Jesuiten; Böhmen ist vollends katholisch und habsburgisch, und da mufs ein Zögling der Jesuiten, ein junger Schwärmer und Idealist, erfahren, er sei ein Nachkomme eines der eifrigsten Ketzer und Rebellen. Die erschütternden Konflikte, die sich im Herzen des jungen Vac1av von Michalovic abspielen, werden nun romanhaft und überspannt genug erzählt. Noch in seinen späteren Jahren kehrte Cech zu der ihm wahlverwandten Zeit des Hussitenturns zurück - sie mufste übrigens auch als Staffage zu seinem humoristisch satirischen Romanetto »Ein Ausflug Herrn Matej Broucek in das 15. Jahrhundert« herhalten -; in einem dialogisierten, doch ganz verworrenen Epos »Rohac von Sion« (1898-1899) führt er die letzten Geschicke des hussitischen Heeres vor. Cech entrollt in diesen Werken grofsartige lebende Bilder, und aus ihnen mufs sich der Leser selbst eine ohnehin mangelhafte Handlung zusammenstellen; das Zeitkolotit trifft er im ganzen richtig, doch die Personen mit ihren unendlichen Reden und vielleicht noch unendlicheren Reflexionen fallen meistens matt und leblos aus. Cechs Eigenart darf man aber nicht in seinen historischen Epen, die zeitweilig an Hamerling erinnern, suchen: seine poetische - 296 - Spezialität sind moderne, oft allegorische Verserzählungen, die auf Lord Byron zurückzuführen sind und sozialpolitische Fragen im Geiste eines liberalen Demokratismus und eines romantischen Panslawismus behandeln. Mit einem einigermaIsen nebelhaften Messianismus, ähnlich wie man ihn in der russischen und polnischen Litteratur der dreifsiger und vierziger Jahre findet, betrachtet Cech die Sendung der Slawen innerhalb der geschichtlichen Entwicklung Europas. Das alte, raffinierte und übersättigte Westeuropa ist in seinem Innern von einer Todeskrankheit durchfressen; eine soziale Revolution, die nicht so sehr entfernt ist, wird den siechen Riesenkörper endgültig zerschmettern - so lesen wir in Cechs düsterer und pessimistischer Allegorie )Europaq (1880). Dann bricht nun aber der neue Morgen für die bisher mifsgeachteten slawischen Völker an - hier hört man Kollars Ideen -; doch das Slawentum ist bis heute dieser ungeheueren politischen und kulturellen Aufgabe nicht gewachsen. Zuerst müssen die Slawen ihre ewigen Zwistigkeiten ablegen; der Dichter selbst versöhnt in »Slavia. (1884), einer dem Gedichte »Europa« nicht unähnlichen Allegorie, die Russen mit den Polen, die Serben mit den Kroaten, die russischen Nihilisten mit den idealistischen Slavjanophilen, allerdings ohne den Leser im geringsten zu überzeugen. Waren jedoch die russischen Slavjanophilen wie Kirejevskij und die polnischen Messianisten wie Towianski oder der ältere cechische Panslawist Kollar arge Reaktionäre und unterwürfige Qiener des staatlichen 'Absolutismus, ist Cech in seiilem Panslawismus immer ein gesinnungstreuer Demokrat und Liberaler geblieben. Aus seiner Jugend hat er eine treue Liebe zu dem Bauernstande mitgebracht, so daIs er zu der Zeit, als in Böhmen der Ruf nach einer nationalen Aristokratie laut wurde, in seinem schlichten »Gesangbuche des Jan Burianq (1894) den selbstbewuIsten Bauer hoch über den Adel stellte. Auch hat er gegen den kapitalistischen GroIsbetrieb und gegen die Fabrikindustrie die Partei für das autochthone Kleingewerbe ergriffen und in einem tragischen Idyll »Der Schmid von Lesetin« (1883, deutsch nur in kleinen Bruchstücken in der Albertsehen Anthologie), das trotz der Beschlagnahme äuIserst populär geworden ist, diesen Konflikt poetisch verwertet. Wie Neruda hieIs er die sozialistische Organisation der modernen Proletarier, 297 die er schmeichelnd »Helden der Zukunfh genannt hat, willkommen. Dreimal hat er sich mit politischer Lyrik an die Öffentlichkeit gewendet; in seinen »Morgenliedern« (1887) findet er für die Bestrebungen der ]ungcechen, die damals wirklich freisinnig und demokratisch waren, den poetischen Ausdruck; dann lauscht er in seinen »Neuen Liedern« (1888) dem geheimnisvollen Weben der modernen Zeit, wo der Sozialismus die nationalen Interessen zunickzudrängen sucht; endlich, in den »Liedern eines Sklaven« (1894, deutsch von J. Koutek, Stuttgart 1897), erscheint er als ein zürnender und strafender Prophet des Alten Testamentes, der, aus seiner Gebirgshöhle zurückkehrend, überall nur Sklaverei, Unterwürfigkeit und' Gemeinheit findet und über seine so heifsgeliebte Nation den Stab bricht. Für intime Gefühle, für feine Schwingungen der modernen Seele, für die geheimnisvolle Tragik der Alltäglichkeit, wie sie die Dichter von heute zu schildern pflegen, ist in diesem pathetischen Werke ebenso wenig Platz wie für die aufrüttelnden Leidenschaften und die grauenvollen, unglaublich verwickelten Wirklichkeiten der modernen Existenz. Auch ist Cech kein Erotiker; seine Frauengestalten sind matt, schemenhaft, konvenzionelli sein Verhältnis zum vVeibe ist das eines vereinsamten, ältlichen, menschenscheuen Gan;on: schüchtern, süfslich, nebelhaft; nur in einigen Novellen, die psychologisch zwar belanglos, aber unterhaltend und gut erzählt sind, finden sich einige feine Mädchenköpfchen. Mit dem indifferenten Liberalismus teilt er auch die Hilflosigkeit den religiösen Fragen gegenüber, d~ mit seiner ehrlichen Vorliebe für die böhmische Reformation in einem gewissen Widerspruche steht; erst spät hat er sich, in seinen »Gebeten zum Unbekannten« (1896), zu einem formlosen, vagen Pantheismus bekannt, der bei ihm durch eine weichliche und haltlose Humanität ergänzt wird. Zu Cechs ernsten, ja oft erhabenen Werken gesellen sich seine humoristischen Gedichte und Erzählungen wie mutwillige Satyrdramen hinzu. In einem anmutigen Märchen, in einem parodistischen Tierepos, in einem tollen Traumgesichte setzt sich der liebenswürdige Poet eine Narrenkappe auf, und nun müssen der Gelehrtendünkel, die Ausländerei, die Modesucht, die pedantische Kritik, die politische Charlatanerie, der poetische Snobismus, das banause Spiefsbürgertum manchen Streich seiner Pritsche er- - 298 - fahren. Wenigstens eine von diesen reizenden Schöpfungen mufs hier genannt werden, die :)Himmelschlüssel« (1883, deutsch von Zd. Fux Jelensky, Wien 1892), ein frisches Märchen, das mit seiner Verschmelzung der duftigsten Poesie und der humoristischen Satire an Andersens Märchenkunst erinnert. Die Popularität Cechs im Publikum ist bedeutend gröfser als sein Einflufs in der Litteratur; im ausgesprochenen Kontrast zu Vrchlicky hat er keine Schule gegründet., Einige Dichter stehen ihm allerdings ganz nahe, indem sie auch panslawistische und nationaldemokratische Gedichte schreiben, und indem sie die vaterländische Geschichte und Sage zum Ausgangspunkte ihrer wortreichen Meditationen machen; doch als seine unmittelbaren Schüler dürfte man sie doch nicht bezeichnen. Nur drei hierher gehörende Dichter will ich nennen, den kernigen Balladendichter Ladislav Quis, die pathetische Tendenzpoetin Eliska Krasnohorska und den poetischen Epigonen Frantisek S. Prochazka. Der Rechtsanwalt Lad isla v Quis (geb. 1846) ist ein gründlicher Litteraturkenner, bei dem ein sorgfältiges poetischhistorisches Studium Hand in Hand mit der Dichtkunst geht. Er ist mit den altschottischen Balladen und mit Goethes Balladistik innig vertraut, auch sind die knappen, straffen und gerundeten Balladen im Volkston vielleicht sein Bestes. Er hat die beiden Meister der volkstümlichen Lyrik, den russischen Burns A. V. Kolcov und seinen Landsmann Celakovsky, mit Geschmack ediert und eingeleitet und von ihnen die leichte, sangbare Grazie des Volksliedes gelernt. Er war einer der ersten, welcher in Havliceks Reimen die derbe, witzige, holzschnittartige Poesie entdeckt hat und es gelang auch ihm in seinem humoristischen Romanzenzyklus »Der dumme Hans« (1880), diesen Ton meisterhaft zu treffen. - Die Schattenseiten der Tendenzpoesie Sv. Cechs findet man in wünschenswertester Vollständigkeit in den Dichtungen von Eliska Krasnohorska (geb. 1847): ein fader Liberalismus, ein vager Panslawismus, ein phrasenhaftes Jungcechentum werden hier von einer leidenschaftlichen Patriotin und überzeugten Frauenrechtlerin mit blecherner Rhetorik, mit unbändigem Verbalismus, mit einer grellen Farbenund Bilderbuntheit verkündet; die südsJawische Geschichte erscheint hier als eine schauderhafte Mischung von Blut, Begeisterung und Eisen; der cechische Kampf für das alte, gute - 299 - Recht wird in diesen wild aufbrausenden Versen von einer unglaublichen Janitscharenmusik begleitet; die politisclien Feinde sowie die einheimischen Andersdenkenden werden da schonungslos, ja blutdürstig behandelt. Wie die cechische Ursage vom Mädchenkriege zu erzählen weifs, so darf die cechische Litteraturgeschichte diese dichtende Amazone nicht verschweigen. Der jüngste dieser Gruppe Fra nt i se k S. Pro c h az k a (geb. 1861) ist ein poetischer Reaktionär. In 'seinen auf die Dauer ganz ungenie[sbaren Märchendichtungen , von denen die umfangreichste )Der König Gerstenk.ornc (1906) von einem engherzigen mährischen Patriotismus zeugt, bringt er ein ganz veraltetes, oft sehr dunkles Allegorienspiel vor, in dem sich nationale und ethische Tendenzen verstecken. In seinen an Celakovskj und Sicidek anklingenden Nachahmungen der Volkslieder haftet er immer an dem Nebensächlichen, Willkürlichen, Äufserlichen der Volkspoesie ; in seiner patriotischen Rhetorik und seiner persönlichen Satire tritt er für lebensunfähige Vorurteile ins Feld. Während so die patriotischen und panslawistischen Tendenzpoeten ihre Anregungen gröfstenteils nur von der Tagespolitik empfingen, konnten die historischen Romandichter und Novellisten manchen Vorteil aus der üppig aufgeblühten geschichtlichen Spezialforschung ziehen. Als im Jahre 1876 Palacky sein monumentales Lebenswerk geschlossen hatte, durfte er auf eine beträchtliche Reihe von Nachfolgern und Schülern blicken. Der bedeutendste unter ihnen war sein ehemaliger Freund, später aber sein Antipode, der Prager Universitätsprofessor V ci cl a v Vladivoj Tomek (1818-1905). Tomek war kein weitblickender synthetischer Denker, der die Geschichte philosophisch auffassen und psychologisch erklären mochte; im Gegenteil, er, der ursprünglich ein Jurist war, ist immer nur ein äufserst gründlicher Quellenkritiker , ein streng objektiver Forscher geblieben, für den der bedenkliche historische Wahlspruch »quae non sunt in actis, non sunt in mundoc völlige Geltung hatte. Niemals hat er versucht, die böhmische politische Geschichte, mit der er sich vorzugsweise beschäftigte, in pragmatischen Zusammenhang mit der westeuropäischen Entwicklung zu bringen; niemals war er bestrebt, unter der bunten Oberfläche der äufseren historischen Vorgänge die leitenden Ideen zu suchen; auch ihm genügte es, allerdings in einem anderen Sinne als Ranke, ein- 300 - fach darzutun, wie die Dinge eigentlich gewesen seien. Dabei war er ein streng Konservativer und ein treuer, kirchlich gesinnter Katholik, fUr den jede Empörung gegen die kirchliche Obrigkeit ein Greuel war; und nicht umsonst hat die Wiener Regierung in ihm und in seinem Freunde, dem späteren Unterrichtsminister J 0 s e f J ire c e k (1825 -1888), einem fleifsigen litterarhistorischen Sammler und gelehrten Bibliographen des älteren Schrifttums, ihre Vertrauensmänner gesucht. Doch war Tomek, dessen Temperament das eines trockenen und ordnungsliebenden Pedanten war, ein Held der unermudlic:hen Arbeit. Er hat die Geschichte der Prager Universität geschrieben, eine eigenartige Monographie über Zizka verfafst, der österreich ischen Staatsgeschichte neue Bahnen gewiesen, aber sein Hauptwerk, an dem er seit 1855 bis zu seinem Tode gearbeitet hat, bleibt »Die Geschichte der Stadt Prage, die in ihren zwölf Bänden nur bis zu der Schwelle des 17. Jahrhunderts reicht, aber doch vielleicht blofs mit Gregorovius' »Geschichte der Stadt Rom« zu messen ist. In einer Hinsicht ist sie jedoch auch jener monumentalen Stadtmonographie überlegen: Tomck hat darin die allgemeine böhmische Geschichte zum ersten Male nach Palacky von neuem geschrieben und besonders die Hussitenkriege ausführlich behandelt. Diese Wiedererweckung des altertümlichen Prag, wenn Tomeks Darstellung auch trocken und pedantisch ist, kam auch der historischen Novellistik sehr zustatten. Ein anderes, ebenso fleifsiges und reichhaltiges Werk, dem jedoch die sichere kritische Methode und der streng wissenschaftliche Standpunkt fehlen, hat der Gymnasialprofessor August Sedlacek (geb. 1843) geschaffen. In seinen »Burgen, Schlössern und V esten des Königreichs Böhmen« (seit 1881, bisher 13 Bände) hat er eine bis in das unbedeutendste Detail eingehende Geschichte des altböhmischen Adels in monographischer Form und topographischer Reihenfolge geschrieben und dadurch den historischen Novellisten ebenfalls ein willkommenes Hilfsbuch geschaffen. Allein der Novellist, welcher aus Sedlaceks riesenhaftem, durchaus in hussitischem Geiste verfafsten Werke am nach· haltigsten und dankbarsten hätte schöpfen können, der begeisterte Chronist und elegisch beanlagte Pathetiker Va c I a v Ben e ~ Trebfzsky (1849-1884), hat nur die allerersten Bände dieses monumentalen Hilfsbuches erlebt; in seinem 35. Jahre hat der 301 Tod den schmächtigen, schwindsüchtigen katholischen Priester dahingerafft. Auch er war ein fleifsiger Sammler, der sich an alten vergessenen Chroniken und verstaubten Aktenstücken aufrichtig erfreute; auch er interessierte sich fast wissenschaftlich für die Geschicke von altertümlichen Burgen und ritterlichen Adelsgeschlechtern , auch für ihn waren die Hussitenkriege und die Gegenreformation da.s wichtigste Thema der vaterländischen Geschichte. Doch alles wurde bei diesem ungemein produktiven Schriftsteller eine Novelle, eine sentimentale ,konventionell gehaltene Erzählung, in der von einer realistischen Lebenskenntnis und einer sicheren Psychologie leider wenig zu spüren ist. Dieselben recht matten und blutlosen Typen kehren in schematischer Anordnung immer wieder, dieselben geheimnisvollen, romanhaften Motive werden immer von neuem mühiiam ausgesponnen und kunstlos verwoben, derselbe salbungsvolle, übel pathetische, manchmal auch weinerliche Predigerton verhüllt mit seinem unerträglichen Weihrauchsqualm seine Erzählungen. Doch dabei wurde Trebizskj der volkstümlichste Prosaiker in Böhmen; man liest noch heute seine dicken Novellenbände, die unter den bezeichnenden, allerdings konventionellen Titeln »Unter den Strohdächern«, »In der Morgenröte des Kelches<, »In dem Glanze des Kelches<, :tElegien aus dem Dreifsigjährigen Kriege<, in den achtziger Jahren erschienen sind, mit patriotischer Begeisterung, und selbst die Liberalen sind stolz auf den cechischen :tHussitenpriester«, der ja unter seinen zelotischen und ultramontanen Amtsbrüdern eine seltene Ausnahme ist. Doch die Popularität des bekanntesten cechischen historischen Romandichters Alois Jirasek (geb. 1851) ist noch gröfser. Seine Romane und Novellen, die übrigens abschreckend dickleibig sind, erschienen sämtlich in mehreren Auflagen; die Mittelschule wirbt planmäfsig für den wackeren Gymnasiallehrer, dessen Schriften zugleich belehrend und veredelnd auf die Jugend wirken; das Nationaltheater führt auch seine schwächsten Stücke mit dem gröfsten Kraftaufwand auf; seine Bücher werden sehr oft noch vor ihrer Vollendung von der Akademie oder verwandten Institutionen preisgekrönt; die angesehenen Litterarhistoriker wetteifern im Lobe Jiraseks; seine Landsleute selbst übersetzen ihn, doch ohne besonderen Erfolg, ins Deutsche; und würde man einen einfachen Mann aus dem Volke fragen, ob er - 302 - einen ~echischen Schriftsteller kenne, so würde seine Antwort gewiIs »Jirasek« lauten. Doch die unparteiische Kritik darf sich, besonders dem Auslande gegenüber, von dieser öffentlichen Meinung nicht blenden lassen: Jirasek ist kaum mehr als eine lokale Gröfse, wenngleich seine besten Sachen den Vergleich mit Sienkiewicz gut vertragen. In seinen ersten Arbeiten, die v.orzugsweise das wüste Soldatenleben aus den verschiedenen Kriegen der neueren ~echisehen Geschichte schildern, war Jirasek ein frischer, sachlicher Genremaler, dessen Darstellung nur unter einer sprunghaften, skizzenmäfsigen Schreibart zu leiden hatte. Bald wagte er sich jedoch an gröfsere Kompositionen; die verschiedensten Zeitalter der böhmischen Geschichte, von den ersten Anfängen des Christentums bis zu der unsicheren Dämmerung der nationalen Wiedergeburt mufsten herhalten, um zu einer eigentümlichen Mischung der landläufigen Romantik mit sorgfältigem kulturhistorischem Detail den Hintergrund zu bilden. Noch sein erster, grofser Roman aus der Zeit des Hussitenturns »Zwischen den Zeitströmungen« (1887 -1892), der sich eng an Tomeks Forschung über Prag im 15. Jahrhundert anschliefst, ist ein Durchschnittsprodukt eines verspäteten Walter Scott-Schülers. Dann schlägt Jiraseks litterarische Entwicklung bald einen anderen Weg ein: er wird in seinen grofs angelegten historischen Romanen ein realistischer Kleinmaler, ein behaglicher Requisitenkünstler , ein genauer Milieuschilderer, bei dem man die praktische Kulturgeschichte ebenso leicht lernen könnte wie bei dem ihm analogen W. H. Riehl. Alles ist historisch treu und dokumentar beglaubigt: die Trachten wie die Waffen, das Schlachtenarrangement wie die Topographie der alten Städte, die Beschreibung von alten Burgen wie das Volksleben im Dorfe; in seinen besten Werken gelang es ihm auch den grofsen historischen Gesamteindruck vergangener Zeitalter genau festzuhalten. So hat er in seinen »Chodischen Freiheitskämpfern« (1886, deutsch von B. Lepaf) den verzweifelt heldenhaften Kampf des Chodenvolkes gegen die Unterdrückung der Gutsherren in einer gelungenen Vereinigung der ethnographischen und der kulturhistorischen Detailmalerei vorzüglich geschildert. So hat er in seine schwungvolle Epopöe in Prosa »Allen zu Trotz« (1896) die schwüle Kriegsatmosphäre, die um Zizka lagert, gebannt. So ist seine, in ihrer unübersehbaren - 303 Masse von handelnden Personen ermüdende Chronik »Die Brüderschaft« (seit 1899 mehrere Bände) ganz durchsättigt von der ungesunden Luft des in Ungarn absterbenden Taboritentums. So berücksichtigen Jiraseks beide chronikartigen Kompositionen )F. L. Veh (1888-1907 5 Bände) und »Bei uns« (seit 1896, bisher 4 Bände) die verborgensten und unbedeutendsten mitwirkenden Faktoren des eechischen nationalen Wiedererwachens. Und ähnliches gilt von Jiraseks szenischen Arbeiten, die man kaum gesetzmäfsige Dramen nennen kann, da hier nur eine bunte Folge frei aneinander gereihter Szenen geboten wird, seien sie aus dem ostböhmischen Volksleben, wie in »Vojnarka« (1891), oder aus dem Hussitenkriege, wie in »Zizka« (1903), oder endlich aus der Geschichte der elb-slawischen Volksstämme, wie in »Gero« (1905). Dem trefflichen kulturhistorischen Kleinmaler wird man also sein Lob weder in diesen dramatischen noch in jenen epischen Arbeiten verweigern können, wenn man auch eine tiefere geschichtsphilosophische Auffassung überall beinahe schmerzlich vermifst. Ganz anders steht es aber um Jirasek den Künstler: seine Psychologie ist seicht und konventionell; seine Erotik ist entweder sentimental oder langweilig; seine Moral ist engherzig und spiefsbürgerlich. Vergebens sucht man bei ihm nach einer tatsächlich heldenhaften Erscheinung, die man rein menschlich bewundern könnte; vergebens nach einem tragischen Schicksale, vergebens endlich· nach einer grofsen Weltidee, die doch bei keinem wirklich grofsen modernen historischen Romandichter, sei es Flaubert oder Tolstoj oder K. F. Meyer fehlt. Aber daheim wollen die begeisterten Anhänger Jiraseks um keinen Preis einsehen, dars eine nicht mehr ferne Zukunft dieser unkritischen Überschätzung ein gar jähes Ende machen könnte. Dann wird man aber wahrscheinlich einen bisher nicht genug beachteten historischen Novellisten, den vortrefflichen Z i k m und W i n te r (geb. 1846), schätzen lernen, der entschieden viel höher als Jirasek steht. Z. Winter selbst, ein Professor der Geschichte an dem altehrwürdigen akademischen Gymnasium in Prag, das schon im 16. Jahrhundert gegründet wurde, betrachtet seine Novellistik als ein blofses Beiwerk seiner fachwissenschaftlichen kulturhistorischen Untersuchungen, in welchen er sich mehr als ein fleifsiger Sammler denn als ein kühner 304 - Schaffer zeigt. Doch seine wortkarge, fast epigrammatische Technik, seine scharf geschnittene , oft beinahe an Karikatur grenzende Charakteristik, seine farbenreiche, manchmal nahezu überladene Milieuschilderung, sein knorriges, derbes Temperament, sein volkstümlicher, würziger Humor zeugen von einer urwüchsigen Künstlernatur. Sein ganzes Wesen mutet wie ein grofser Anachronismus, wie ein archaistischer Einfall der Geschichte an; dieser in sich gekehrte, gelehrte Professor, dem die gesamte Gegenwart durchaus gleichgültig und fremd ist, findet sich nur im endenden 16. Jahrhundert heimisch, wo er eigentlich hingehört. Das buntbewegte Prag des späten 16. und des beginnenden 17. Jahrhunderts ist Winters geistige Heimat; hier unter trunksüchtigen Bacchalaureaten und liederlichen Scholaren, unter verlaufenen Nonnen und gutmütigen Ratsherren, unter wilden Soldaten und schnurrigen Spafsmachern, die er besonders in »Rozina, dem Findling« (1906) und )Magister Campanusc (1907), 'von seinen älteren Arbeiten abgesehen, so vortrefflich abkonterfeit hat, lebt und webt dieser originelle Meister, der bisher den Höhepunkt der historischen Erzählung bei den Cechen bedeutet. - In der Zeit, da die slawische Idee das Leben wie die Litteratur in Böhmen mächtig durchdrang, da die Politiker wie die Dichter der slawischen Wechselseitigkeit unermüdlich dienten, wurde auch in der cechischen Öffentlichkeit gröfsere Aufmerksamkeit auf das slowakische Schrifttum in Ungarn gelenkt. Auch in der ungarischen Slowakei war in der schwülen Reaktionszeit, die auf die wild aufgeloderte revolutionäre Begeisterung der slowakischen Patrioten gefolgt war, das litterarische Leben gänzlich gehemmt, und in der im Jahre 1850 orthographisch geregelten slowakischen Schriftsprache erschienen gar wenige Bücher. Erst in den sechziger Jahren rührte sich in der Slowakei wieder ein frisches, vielversprechendes litterarisches Leben. Eine neue Generation versammelt sich in einigen, die cechischen Vorbilder nachahmenden Musenalmanachen; eine grofsartig angelegte patriotisch litterarische Institution, die »Matice Slovenska« wird feierlich begründet, neue Zeitschriften treten ins Leben, mehrere slowakische Städte werden zu Mittelpunkten des geistigen W ebenso Was geschrieben und gedruckt wird, gehört noch immer der poetischen Spätromantik mit ihrer panslawistischen oder patriotisch-historischen Färbung an: der gröfste slowakische Poet, Ondrej SIadkovic, - 305 veröffentlichte die Spätfrüchte seines bereits erll\~menden Talentes; der treue Jünger Kollars, Ludovit Zello (1809-1873) besingt in seinem romantischen Epos »Des Miliduch Fall« (1862), die traurigen Geschicke der elbslawischen Stämme; der fruchtbare Viliam Pauliny T6th t1826-1877) und der frühverstorbene Lud 0 v ft Ku ban i (1830-1869) wollen durch ihre historische Novellistik, die ungefähr dem cechischen historischen Genre von jirasek entspricht, unmittelbar auf das nationale BewuIstsein ihres Stammes einwirken. Dann macht die magyarische Regierung in den ersten siebzig Jahren dem schönen litterarischen Aufblühen ein unbarmherziges Ende: ein stolzer, gewaltsamer Zentralismus verschliefst slowakische Schulen, verbietet slowakische Zeitschriften, hebt patriotische Institutionen wie die »Matica Slovenska« auf; die Schwachen und Unbeständigen weichen der Gewalt, die Starken verstummen hoffnungslos. Der passive, träumerische Charakter der Slowaken, der nebelhafte, halbmystische Idealismus, zu welchem die slowakische Intelligenz die Hegeische Lehre verarbeitet hat, waren gegen die gewaltsame Persekution ganz kraftlos. Einige Patrioten wollten in dieser verzweifelten Bedrängnis wieder zur Gemeinschaft mit den Cechen zurückkehren, zumal da mehrere cechische Schriftsteller, wie Heyduk und besonders der zähe und eigensinnige Vorkämpfer der cechoslawischen Wechselseitigkeit Rudolf Po korny (1853-1887), ein zarter aber eintöniger Lyriker, in Böhmen für die Slowakei warben. Andere Schriftsteller sahen dagegen, daIs man eine so tiefgehende Entfremdung kaum so rasch und schnell gut machen könne, und wollten daher den alten separatistischen Traditionen treu bleiben und dieselben mit künstlerischem Fortschritt vereinigen. Auf drei von ihnen ist die moderne Slowakei besonders stolz: auf den Novellisten Svetozar Hurban Vajansky, auf den anmutigen realistischen Genremaler Martin KukuCin und auf ihren gröfsten Poeten Hviezdoslav. Svetozar Hurban Va ja n s k y (geb. 1847), der gleich seinem Vater ein beredter Publizist und ein separatistischer Organisator ist, veröffentlichte zuerst einige Versbücher, die, sich an Halek und Heyduk formal anschliefsend, slawisch-romantische Ideale schlicht und rührend besingen, dann war er eine Zeitlang in der Schule Turgeniews gewesen und bürgerte nachher lyrischen Realismus in der Jakubec-Novak, Cecbilcbe Litteratur. 20 306 - slowakischen NOYiillistik ein; als lebenstreue Bilder der slowakischen Gesellschaft und als edle Tendenzschriften sind seine Romane und Novellen, besonders die in dem Bande :.Fliegende Schatten« (1883) vereinigten Skizzenbilder, bemerkenswert; zu der eben im Erscheinen begriffenen Gesamtausgabe der Werke von Vajansky sehen die Slowaken stolz empor. Der viel jüngere M art i n Ku k u ein (eigentlich Matej Bencur, geb. 1860) verfolgt in seinen knappen, farbenreichen Novellen aus dem slowakischen Volksleben keine patriotisch-pädagogischen Zwecke; er sucht nur die bunte Lebensfülle mit einer scharfen, realistischen, manchmal humoristischen Kleinkunst zu erfassen; upd das gelingt diesem eigenartigen Genremaler vortrefflich. Als eine grofsartige Synthese der bisherigen poetischen Entwicklung in der Slowakei, wie sie sich von Hollj zu Janko Kral und von diesem zu Sladkovic entwickelt hatte, kann man den vorzüglichen Dichter H v i e z dos I a v (eigentlich Pavol Orszagh, geb. 1849) bezeichnen. Er ist ein treuer Jünger der slowakischen Romantik; ein feuriger, ja oft mystisch veranlagter Patriot, ein begeisterter Sänger der wilden Tatranatur, der wunderschönen, märchenhaften Waldeinsamkeit. Dabei hat er den grofsen Fortschritt der neueren cechischen Poesie mitgemacht; er schreibt eine satte, bilderreiche Dichtersprache, einen breiten, pompösen Vers, beherrscht eine rhetorische Pathetik, die er besonders in seinen lyrischen Reflexionen anzubringen pflegt. Seine poetischen Erzählungen, von denen:. Waldhegers Frau« (1886) am höchsten steht, werden in der slowakischen Poesie nicht sobald übertroffen werden. Doch dieser vortreffliche Dichter schreibt für einen so engen Leserkreis, wie vielleicht keiner der europäischen Poeten, die katalanischen Schriftsteller nicht ausgenommen; auch in Böhmen beachtet man heute die slowakische Dialektdichtung nicht; seine Landsleute können ihn an keiner ähnlichen Erscheinung in ihrem Schrifttum messen - die unseligsten Konsequenzen eines litterarischen Separatismus kann man nirgends so genau verfolgen wie an diesem prächtigen Poeten. Dreizehntes Kapitel. Der poetische Kosmopolitismus in der cechischen Litteratur. In schroffem Gegensatze zu den poetischen Slavjanophilen mit Svatopluk Cech an der Spitze und zu der historischpatriotischen Schule, wie sie Alois Jirasek besonders charakteristisch vertritt, stehen während der siebziger und achtziger Jahre die kosmopolitischen Dichter da, die mit den älteren nationalen Traditionen und mit den politischen Zeittendenzen gänzlich gebrochen haben. Diese Gabelung, die wir auch bei anaeren Slawen treffen, ist für das ~echische Schrifttum ungemein charakteristisch und dauert noch bis in unsere Tage. Die Slavjanophilen und die historisch gesinnten Patrioten nahmen die noch immer fruchtbaren Ideen der nationalen Wiedergeburt von neuem auf und dachten sie zu Ende; neue Gedanken und neue Kunstformen haben sie der Litteratur allerdings nicht zugeführt. Die jüngere Intelligenz dagegen, die schon damals den Boden für die nicht mehr ferne ~echische Universität lockerte, wollte mit dem Auslande Schritt halten; sie wollte die freie europäische Luft atmen; mit neuen Ideen das geistige Leben in Böhmen befruchten; mit neuen Kunstformen die rückständigelLitteratur erneuern. Mit liebevoller Begeisterung, mit wissenschaftlichem Fleifse, mit intimem Verständnis studierten diese Intellektuellen die Litteratur, ja die gesamte künstlerische Kultur in Frankreich, England, ja selbst in Italien; der deutsche Einflufs dagegen tritt eben in dieser Periode zurück. Eine ganz eigentümliche, von raffinierter Geisteskultur zeugende Richtung macht sich bei manchen Künstlern dieser ausgeprägten Gruppe stark bemerkbar: es ist ein restloses Aufgehen in einer fremden 20* - 308 - künstlerischen Individualität, eine fast unbegrenzte Fähigkeit der absoluten Anpassung an verschiedene Kunst- und Kulturepochen, ein ganz kongeniales Verständnis für entfernte, oft geradezu exotische Geschichtsperioden und ihr geistiges Leben. Viele von diesen Dichtern verfügen über eine staunenswerte Gelehrsamkeit, besonders auch über eine universale Litteraturkenntnis, und so schöpfen sie ihre poetische Inspiration oft lieber aus der Litteratur, denn aus dem Leben. Mit ihnen berühren sich auch Historiker und Ästhetiker von Fach, die fein, elegant, glänzend schreiben; auch bildende Künstler stellen sich nun in das intimste Verhältnis zur Litteratur. Wiederum ist es eine Zeitschrift, mit dem bereits historisch gewordenen Namen »Lumin getauft, um die sich diese kosmopolitische Schule versammelt. Als im Jahre 1873 Neruda, ein vorzüglicher Redakteur:, dem es immer nur an Abonnenten gefehlt hatte, dies Blatt mit Hälek gründete, vereinigte er darin seine Altersgenossen und die jüngeren Litteraten ; besonders verstand er es, das Feuilleton der Zeitschrift, das aus kleinen Skizzen und abgerundeten Essays zusammengesetzt war, immer durch neue, sehr originelle Beiträge zu beleben. Eine besondere Aufmerksamkeit widmete Neruda auch den poetischen Übersetzungen, für die er gleichzeitig eine gediegene Bibliothek, die »Poesie svetov,h (d. h. » Weltpoesie) gegründet hat, wo bald der junge V rchlicky seine ersten Lorbeeren als Übersetzer eroberte. Wahre Bedeutung gewann der »Lumir« jedoch erst, als neue Männer in die Redaktion eintraten, neben Svatopluk Cech der junge Ästhetiker Otakar Hostinsky, neben dem geistreichen jungcechischen Journalisten Servac Heller der feinsinnige Begründer der modernen historischen Methode in Böhmen, Jaroslav Goll. Als dann nach vier Jahren J. V. Sladek in der Redaktion allein blieb, hat die Zeitschrift, welche noch heute. allerdings unter anderer Leitung, erscheint, ihre Richtung beibehalten: die beiden gröfsten Poeten der kosmopolitischen Schule, Jaroslav Vrchlicky und Julius Zeyer, die im »Lumir« bereits im Jahre 1873 debutierten, traten hier ein volles Vierteljahrhundert lang als Fahnenträger der ganzen Gruppe auf. Für die beiden Gelehrten, Goll und Hostinsky, war die Beteiligung an der Redaktion des »Lumirc nur eine kurze Episode; bald wurden sie durch ihre Fachstudien ganz abseits von der 309 - poetischen Litteratur geführt. Jaroslav Goll (geb. 1846) hatte, als er im Jahre 1874 zweiundzwanzigjährig in die Redaktion des >Lumir« eintrat, schon manche bedeutende Anregung von der Wissenschaft und dem Leben empfangen. Als sechsundzwanzigjähriger Doktor wurde er in Göttingen ein Lieblingsschüler von Georg Waitz, der ihn die treffsichere historische Quellenkritik gelehrt und auf die weiten Gesichtspunkte des Altmeisters Ranke aufmerksam gemacht hat; dann studierte Goll in BerUn und in England die Geschichte und das Leben, in den Niederlanden die alte Kunst. Mit 29 Jahren hat sich Goll an der noch utraquistischen Universität in Prag habilitiert; und von da an wufste er sowohl als Universitätslehrer als auch als Forscher den historischen Universalismus mit den gewissenhaftesten Detailstudien zu vereinigen. Er interpretiert zugleich die mittelalterliche Geschichte des westlichen Europas und stellt Spezialuntersuchungen über die böhmische Bruderunität auf, dabei berücksichtigt er gesetzmäfsig den organischen Zusammenhang der böhJnischen Geschichte mit der allgemeinen europäischen Entwicklung. Die Kunst und Litteratur interessieren ihn kaum weniger als die sozialen und politischen Verhältnisse ; den Künstler verrät auch sein anmutiger, feingeschliffener Stil, dem eine leichte Ironie innewohnt; zugleich ist Goll ein Meister des eleganten und anschaulichen akademischen Vortrages. Im Grunde ist Goll mit seinem ästhetisch beanlagten Temperament und mit seiner kosmopolitischen Gesinnung geradezu als ein Antipode des nüchternen, patriotisch beschränkten Tomek zu bezeichnen, bei dem man immer an seine juristischen Anfänge denken mufs. Der Ästhetiker Otakar Hostinsky (geb. 1847) ist keine so komplizierte Erscheinung wie Goll; auch in seinen feinsten Untersuchungen über die Lebensbedingungen der modernen Kunst bleibt er ein strenger Gelehrter, ein trockener Kathedermensch. Auch ist er kein origineller Denker, wie auch Durdik oder TyrS keiner war, doch der Herbart'schen Formalästhetik wufste er ganz andere Resultate abzulocken als die durchschnittlichen Herbartianer in Österreich. Er verband den engherzigen Formalismus von Herbart mit der Semperschen Stillehre und mit Wagners musikalischen Grundsätzen und hat sich aufserdem bei Helmholtz und bei Darwin manche Beweisgründe für sein Schönheitssystem und seine Hierarchie der Künste geholt. Doch 310 - seine Bedeutung liegt vorzugsweise darin, dafs bei ihm die Kunsttheorie auf die Lebensgestaltung direkt reagiert. Darin gleicht er seinem Vorgänger an der Prager Universität, dem feinsinnigen Kunsthistoriker und Ästhetiker Mir 0 s I a v T y r S (1832-1884), der sein antikes Ideal von der gleichmäfsigen Entwicklung der geistigen und körperlichen Kräfte kühn ins Leben verpflanzte und durch die erfolgreiche Gründung des Cechisch· nationalen Turnerverbandes )Sokol( ()Der Falke«) ein eminentes Verständnis für die gesunde Lebenskunst und eine organisatorische Begabung an den Tag legte. Hostinskj bemühte sich als einer der ersten um die künstlerische Erziehung, er hat gediegen und taktvoll die Kunst popularisiert und so den modernen englischen Bestrebungen vorgearbeitet. Grofse Dienste hat er der modemen Programmusik erwiesen, indem er gegen die reaktionäre Kritik und das ganz ratlose Publikum tapfer für Wagner und dessen beide grofsen Anhänger in Böhmen, Smetana und Fibich, eingetreten ist. Schon deshalb darf sein Name in der böhmischen Geistesgeschichte nicht verschwiegen werden i in ihm spiegelt sich wahrlich die Lebensarbeit der kosmopolitischen Schule ab. Der langjährige Redakteur des »Lumir« I J 0 s e f V. S Ia d e k (geh. 1845), ist wohl der anspruchsloseste unter den Dichtern des Lumirkreises i nie hat er seine Begabung, die ausschliefslieh lyrisch und meditativ ist, überschätzt, nie hat er mit seinem schlichten, poetischen Talente experimentiert, nie hat er sich um die Gunst des grofsen Publikums beworben i seine vornehme verschlossene Persönlichkeit verhält sich immer scheu und zurückhaltend der Öffentlichkeit gegenüber. J. V. Sladek besitzt eine seltene geistige Kultur: an der englischen Dichtkunst hat er sich gebildet, die er seinen Landsleuten mustergültig vermittelt - ich nenne nur seine vollständige Shakespeareübersetzung, - doch hat er auch das cechische Volkslied gründlich studiert und in Celakovskys Manier nachgeahmt. Die grofsartige transatlantische Natur hat er gesehen und bewundert, und wieder die landschaftliche Eigenart seiner Heimat liebevoll beobachtet und besungen; er war eine Zeitlang ein treuer Anhänger und Schüler Nerudas und wurde später auch von Vrchlickj beeinflufst. In jeder seiner zahlreichen Gedichtsammlungen, die jetzt in einer schönen, zweiteiligen Gesamtausgabe vereinigt sind, findet man eine einfache, schlichte und doch immer rührende Poesie, die mit den zartesten Mitteln eines - 311 nur angehauchten Stimmungsliedes das Seelenleben eines ernsten, reifen, mit seinem Schicksale für immer versöhnten Mannes schildert; nur in einigen Kinderversen und volksmäfsigen Liedern regt sich ein schalkhafter, neckischer Ton. •. Julius Zeyer (l841-1901) hat sich schon in seinem späten Erstlingswerke »Der Regenbogenvogel'l (1873) dem Publikum als ein kühner, einsamer Fremdling vorgestellt, und so ist er immer geblieben, eine seltsame Ausnahme in dem cechischen Schrifttum. Aus einer reichen Prager Bürgerfamilie stammend, in deren Adern auch deutsch-jüdisches Blut zirkulierte, mufste sich Zeyer von keiner Profession fesseln lassen, konnte grofse Reisen im europäischen Westen und im Orient unternehmen; konnte seine museumartigen wertvollen Sammlungen von schönen Bibelots, altertümlichen Devotionalien und primitiven Erzeugnissen der Volksindustrie anlegen; er bildete sich durch eine breit verzweigte Lektüre, die neben der klassischen und romantischen Poesie auch o;ientalische Theosophie und katholische Mystik umfafste; er schwelgte in wunderlichen intimen, freundschaftlichen Verhältnissen, vorzugsweise mit alternden, ästhetisch veranlagten Frauen. So wurde sein Leben zu einem stolzen, einsamen Traume, den keine banale Wirklichkeit entweihen durfte, aber dem auch jeder unmittelbare Kontakt mit der täglichen Realität fehlte. Zeyer lebte viel im Auslande oder in einem weltverlorenen südböhmischen Städtchen und hatte zu den Litteraten in Prag fast keine Beziehungen; er verachtete die Politik und besonders die modernen sozialreformatorischen Bestrebungen, und so gestaltete er seine Existenz zu einem konsequenten Anachronismus, zu einem modernen Mönchtum ästhetischer Observanz. Seine Lebensanschauung war düster und pessimistisch. Zeyer hatte unter dem inneren Zwiespalt seiner komplizierten Natur schwer zu leiden; er besafs zugleich eine äufserst sinnliche Phantasie und die Beanlagung zu religiösem Mystizismus; sein leicht erregter Geist schwelgte zugleich in bunten, leidenschaftlichen Bildern eines exotischen Lebens und in den kühnen Ideen exotischer oder mystischer Erlösung. Zeyer wollte sich oft, wie der dämonische Spätromantiker Baudelaire, >anywhere out of the worldc flüchten, und so versank sein Geist in exotische Landschaften und altertümliche Zeiten, wo er sich an abenteuerlichen Schicksalen, an bunten Farben, an märchenhaften Szenerien be- - 312 - rauschen durfte; doch wieder erwachte die mystische Unruhe seines kranken Herzens, das sich leidenschaftlich nach Gott, Tod und Nirwana sehnte. -iDieser Zwiespalt spiegelt sich auch in seinem poetischen Werke wieder, dessen Stoffe ebenso mannigfaltig und vielseitig sind wie seine Formen. Das mittelalterliche Frankreich und Italien sind hier ebenso oft vertreten wie Japan und China; die altnordische Heldensage gesellt sich hier zu dem altböhmischen Heidentum; das rätselhafte Irland in dem ersten Dämmerschein des Christentums steht hier neben dem ritterlichen Spanien. Doch das Mittelalter drängt sich immer in den Vordergrund, die katholischen Völker und die feudalen Institutionen werden mit besonderer Vorliebe behandelt; gern läIst sich der Dichter von der altertümlichen Volksepik anregen. Eine phantastische Handlung spielt sich gewöhnlich in einer romantischen Umgebung ab, die der Dichter archaistisch und prächtig auszustatten weiIs; die üppige, schwüle Schilderung packt des Lesers Phantasie, die leidenschaftliche, suggestive Handlung erregt seine Teilnahme: Zeyers höchste Kunst besteht eben darin, den Leser in einen poetischen Opiumrausch zu versenken. Wie die poetischen Stoffe so wechseln bei Zeyer auch die litterarischen Kunstgattungen : neben einem wild abenteuerlichen, episch durchaus überfüllten Roman erzählt er eine naive Legende in dem primitiven Stile des kirchlichen Mittelalters; nach einer gewaltsam verwickelten Intrigennovelle bringt er ein äufserst ehrliches autobiographisches Bekenntnisbuch ; auf eine frei improvisierte Verserzählung folgt ein groIses Heldenepos in fragmentarischer Ausführung; zu einem pathetischen Deklamationsdrama spätklassizistischen Schnittes gesellt sich ein zartes, duftiges Proverb; ein kinderhaftes Märchen ist mit einem raffinierten Dokument der modernen Seelenkunde gepaart. Doch Zeyers Gestaltungskraft und Kompositionskunst kann sich mit seiner kühnen Phantasie und seiner feinen Kultur keineswegs messen; selten gibt er mehr als eine freie Paraphrase seiner geschickt ausgesuchten Vorlage; sein poetischer Stil ist eintönig und ermüdend, da er immer dieselben pathetischen und koloristischen Mittel anwendet; seine romantische Psychologie bewegt sich nur in den schroffsten GegenSätzen der sinnlichen Leidenschaft und der reinsten Tugend, des wildesten Hasses und der selbstlosen Hin- - 313 - gabe, der stolzesten Herrschsucht und der zartesten Demut; seine Motivierung ist ebenso naiv wie in seinen Quellen. Im ganzen bieten diese berückenden und prachtvollen Werke eine Reihe von glänzenden Improvisationen ohne festere Komposition und feinere Psychologie. Allzuoft verliert sich Zeyers persönliche Eigenart in den buntbemalten, romantischen Kulissen verschiedener epischer Handlungen, die sich an das alte Volksepos anschlieCsen: in »Vysehrad« (1886, deutsch von O. Malybrok-Stieler) ist es Böhmens heidnische Urzeit, in der die übermenschliche Gestalt der hehren Fürstin Libussa emporragt, in den »Annalen der Liebe< (1889-1892, deutsch von O. Malybrok-Stieler) sind es glühend erotische Geschichten des ritterlichen Abendlandes; in der »Karolingischen Epopöe« 11895) ist es die Tafelrunde Karl des GroCsen, um nur seine umfassenden zyklischen Epen zu nennen. Von seiner Novellistik (eine sehr gute Auswahl bieten die »Geschichten und Legenden«, welche Harmuth Loukota ins Deutsche übersetzt hat) stehen am höchsten seine Legenden, in denen wir einem herrlichen Primitivisten von zartem religiösen Kinderherzen begegnen und von ihnen sind die tiefen »Legenden vom Kruzifix« (1895, deutsch von Com. Spera) wohl die schönsten. Sonst ermüdet in seinen Novellen die fieberhafte Hascheiei nach grellen Effekten, die verworrene Handlung, die ganz seichte Psychologie. Einen überaus mächtigen Eindruck hinterläfst jedoch Zeyers groCser, fast autobiographischer Roman »Jan Maria Plojhan (1891), in dem der Dichter sein innnerstcs Wesen blofsgelegt und poetisch verherrlicht hat. Hier enthüllt sich ganz klar seine glühende Sinnlichkeit und seine träumerische Schwärmerei, seine leidenschaftliche Exaltation in Religion und Liebe; sein aristokratischer Stolz und seine christliche Demut; sein intensives nationales Gefühl, das in der historisch-elegischen Stimmung sowie in den schmachvollen Demütigungen der nichtswürdigen Gegenwart seinen Nährstoff findet. In den letzten Kapiteln des herrlichen Buches wird der Leser an das Sterbebett des unglückseligen Helden geführt, das unter dem klaren Himmel Italiens steht, und da kann er in den gebrochenen Augen des Jan Maria Plojhar des Dichters eigene Verzweiflung lesen, der, des ewigen Spieles der leeren Illusionen müde, sehnsüchtig hofft, schon bald in dem sicheren Hafen des absoluten Nichts Anker zu werfen. 314 - Zeyer ist also ein vollblütiger Romantiker, der aber in die Zeit der realistischen Kunst, der sozialen Reformen, der materialistischen Philosophie, des religiösen Indifferentismus verschlagen wurde. Sein Farbenreichtum, sein Exotismus, seine berauschende üppigkeit der Bilder verbinden ihn mit den französischen Romantikern; mit den englischen Präraffaeliten teilt er jedoch seinen keuschen, menschenscheuen Spiritualismus, seine mystische Religiosität, seine morbide Gotik - nur so konnten die Neuromantiker in Böhmen, die dem Realisten und Naturalisten später folgten, in Zeyer ihren wahlverwandten Vorgänger erblicken. Für Zeyer ist erst mit seinem Tode 1901 die Ruhmeszeit gekommen; heute, wo er der modernen Litteratur wieder nichts mehr zu sagen hat, wird er wenigstens als Lieblingsschriftsteller gefühlvoller Damen und der schwärmerischen Jugend gefeiert. Der Renaissancedichter Ja r 0 s I a v V r chI i c k Y (eigentlich Emil Frida, geb. 1853) bildet einen ausgesprochenen Gegensatz zu dem gotischen Spezialisten Zeyer. Wie in einem geistigen Brennpunkte durchschneiden sich in seinem immensen poetischen Werke alle Ideen und Lebensformen der modernen Menschheit, wie sie sich seit der Renaissancezeit im westlichen Europa entwickelt haben. Mit den Augen der modernen Geschichtsphilosophie betrachtet Vrchlicky das groIse historische Weltdrama ; als tiefgebildeter und freisinniger Sohn des 19. Jahrhunderts stellt er sich zum Mittelalter wie ein begeisterter Humanist, der jedoch die Fühlung mit seiner Zeit nie verliert, klammert er sich sehnsüchtig und leidenschaftlich an die erhabene Schönheit und freie Moral der antiken Welt und während sein grüblerischer Januskopf mit einem Gesichte rückwärts gewendet ist, blickt das andere, deutend und hoffend zugleich, der dämmernden Zukunft entgegen. Vrchlickys Lebenswerk, das mit seinen mehr als hundert Bänden noch nicht abgeschlossen ist, gleicht dem mystischen Labyrinth; die äuCserst schwierige und dabei verlockende Aufgabe, durch systematische Anordnung, planmäCsige Gruppierung, organische Vergleichung den Faden der Ariadne dem bisher ganz ratlosen Leser in die Hand zu legen, harrt noch immer der Kritik und der Litteraturgeschichte , die bisher kaum die dürftigsten Vorarbeiten dazu erledigt hat. Dabei dürfen zwei wichtige Umstände nie auCser acht gelassen werden: Vrchlickys - 315 - Verhältnis zur gesamten romanischen und germanischen Dichtkunst sowie seine poetischen Übersetzungen. Von den ersten Anfängen seiner litterarischen Tätigkeit an, die mit der Gründung der Zeitschrift »Lumir« zusammenfallen, zeigt sich Vrchlicky zugleich als schöpferischer Poet und Übersetzer, origineller Dichter und Essayist,' poetischer Improvisator und gelehrter Anempfinder; diese Verbindung ist in einer eigenartigen Doppelseitigkeit seines dichterischen Wesens begründet. Vrchlicky verdankt seine Dichtkunst halb einer unmittelbaren Inspiration durch Natur und Leben, einer ungemein zarten Sensibilität, die auch auf die feinsten Impulse der den Dichter angehenden Wirklichkeit reagiert und sie in den zartesten Abtönungen und verborgensten Halbtönen nachklingen läfst; halb aber i!fi Vrchlicky ein komplizierter, sehr gelehrter, an umfassenden Reisen und an allen Litteraturen des westlichen Europa gebildeter Geist. zu dem die Geschichte mit tausend Zungen spricht, und der sich von den verschiedensten Kulturen zu dichterischem Schaffen anregen läfst, wobei nicht nur fremde Stoffe, sondern auch fremde Kunstformen in sein Werk übergehen. In der Zeit, als das cechische Schrifttum fast ausschliefslich von der deutschen Litteratur befruchtet ward, trat Vrchlicky als Vermittler der romanischen, vorzugsweise französischer und italienischer Dichtung auf, Mit den modernen Franzosen hat er seine Übersetzertätigkeit eröffnet; eine groIse, vielseitige Anthologie der französischen Lyrik aus dem 19. Jahrhunderte (1877), der dann einige 'Nachträge folgten, zeigte ihn bereits auf der Höhe seiner Übersetzungskunst, und hier entwirft V rchlicky schon sein poetisches Programm: der Gipfel der französischen Poesie ist für ihn Victor Hugo, dem selbst die entschieden echteren Lyriker Musset und Vigny weichen müssen; aufser ihm kommen noch einige Parnassiens in Betracht, hauptsächlich Theodore Banville, Sully Prudhomme, Leconte de Lisle, viel weniger schon die beiden Begründer der neuen Lyrik in Frankreich, Charles Baudelaire und Paul Verlaine. Von Victor Hugo, den Vrchlicky in drei vorzüglich informierenden Anthologien dem cechischen Publikum vorgeführt hat, hat er am meisten empfangen: die geniale Rhetorik, die poetische Polychromie, die grandios pompöse Rhythmik, den grofsartigen Gedanken einer kolossalen Epopöe der - 316 - Menschheit in fragmentarischer, halb lyrisch, halb epischer Ausführung, die seltsame Verbindung der kosmischen Betrachtung mit der zartesten Liebes- und Familienlyrik ; doch auch die überschwängliche, oft bombastische Sprache, die keine Ökonomie kennen will, das unphilosophische Spiel mit verschiedenen Ideen und Systemen, den fortschrittlichen Optimismus und eklektischen Idealismus, welcher auch bösem Truismus nicht ausweicht. Von Banville hat Vrchlicky die gewagteste Formkunst, von Sully Prudhomme die philosophisch - didaktische Note gelernt; näher noch steht ihm Leconte de Lisle, dem er als Übersetzer fast soviel Aufmerksamkeit wie V. Hugo geschenkt hat; wie dieser einsame herbe Poet und Denker vertieft sich auch Vrchlicky gern in die Urzeit, wo alles noch unsicher, nebelhaft, geheimnisvoll, dabei aber gewaltig, riesenhaft, übermenschlich war, wie Leconte de Lisle betrachtet Vrchlicky zuweilen die Weltgeschichte mit einem stoischen Pessimismus, mit einer erhabenen Geste der schweigsamen Verachtung. Seit seinem längeren Aufenthalte in Italien (1875-1876), der so tiefe und fruchtbare Spuren in seiner Dichtung hinterlassen hat, beschäftigt sich V rchlicky systematisch mit der italienischen Poesie, die bis dahin in Böhmen gänzlich unbekannt war. Als Übersetzer hat er seinem Volke nicht nur die grofsen Epen Dantes, Tassos und Ariostos , sondern auch die gesamte Lyrik Leopardis und Carduccis geschenkt; in zwei umfassenden Anthologien hat er ein vollständiges Bild der modernen italienischen Dichtung entrollt, ja auch manches, was sonst in der Weltlitteratur nicht heimisch ist, wie die Gedichte Michel Angelos, die ätzende Satire des ironischen Abbe Parini und die schlichten Lieder des sizilianischen Naturdichters Cannizzaro hat er in Böhmen bekannt gemacht. Hatte seine ]ugendzeit die tiefsten Eindrücke von Dantes weltgeschichtlicher Mystik und Leopardis heroischem Pessimismus empfangen, so wurde später die kräftige Rhetorik Giosue Carduccis für seine Dichtung entscheidend: Carduccis freies, mutiges Verhältnis zu der Antike, seine entwicklungsfröhliche, antiklerikale Tendenz, seine meisterhafte Verschmelzung der odischen und idyllischen Dichtkunst, sein schwungvoller, fester Strophenbau , der sich selbständig an altrömische Vorbilder anlehnt - das alles fand bei dem kon- - 317 - genialen V rchlicky den aufrichtigsten Beifall, der sich schnell in direkten Einflufs umwandelte. Doch ist Vrchlicky nicht bei den Italienern und Franzosen stehen geblieben: Calderon, Camoens, Verdaguer; Byron, Shelley und die meisten englischen Poeten des Victoria-Zeitalters; Whitman, Poe; Goethe, Schiller, Hamerling, Lingg, K. F. Meyer sind hinzugekommen; ja auch slawische Dichter wie Mickiewicz fehlen nicht in diesem grofsartigen Maskenzuge, in dem sich Goethes stolze Losung der Weltlitteratur so wunderbar verkörpert. Nicht alle Übersetzungen Vrchlickys sind gleich gelungen und gleichwertig: die Spätromantiker und Verbalisten, die farbenreich~n Epiker der Renaissance aus dem Cinquecento und die sensualistischen Dichter der Liebe und des Genusses liegen ihm allerdings am nächsten; seine Übersetzungen von Tasso, Camoens und Hugo bleiben wohl unübertroffen. Neben der modernen Litteratur hat auch die Antike Vrchlicky beeinflufst; doch in seinem Verhältnisse zu dem Griechentum - die Römer kommen bei V rchlicky kaum in Betracht -- begegnet man abermals einem inneren Widerspruche. Man mufs nämlich bei ihm zwei entgegengesetzte Auffassungen der Antike genau unterscheiden. Einmal ist er ein strenger, goethisch gesinnter Hellenist , der die Götter Griechenlands in ihrer edlen Einfalt und stillen Gröfse wieder zu erwecken strebt, und dessen Träume dem Zeitalter entgegen fliegen, "WO die Götter menschlicher noch waren und die Menschen göttlicher«; wir können uns nur freuen, dafs die Mehrzahl von V rchlickys antikisierenden Gedichten und Dramen in diesem Geiste gehalten ist. An der Grenze der achtziger und neunziger Ja,hre machte sich aber bei Vrchlickj- eine entgegengesetzte Auffassung der Antike geltend, für die er in seiner Gedichtsammlung "Fresken und Gobelins« (1890) die treffende Bezeichnung »Hellas im Rokokogewand« geprägt hat. Die griechische Mythologie wird da zu einem bunten. anmutigen, bisweilen auch frivolen Mummensch~nz, wo die lustige, leichtsinnige, adelige Gesellschaft, wie sie Crebillon und Wieland besangen und Fragonard malte, sich in die Kostüme des göttlichen Olymp gekleidet. Kennt man diese Vorbedingungen von V rchlickys poetischem Wesen, so kann man sich schon eher in diesem Labyrinth seines Lebenswerkes orientieren. Sein Lebenswerk wächst von Jahr - 318 - zu jahr, obzwar Vrchlicky schon vor einigen jahren betont hatte, sein Zenith sei bereits überschritten, so wirft er mit einer fast fieberhaften Hast, mit einer nimmermüden Arbeitslust ein Werk nach dem anderen auf den Markt und füllt fast täglich seine künstlich geschliffenen und üppig geschmückten Becher mit jungem, unausgegorenem Wein, ohne sich überhaupt darum zu bekümmern, ob die dankbaren und freundlich gesinnten Gäste sich zu seinem reichen, poetischen Gastmahle einstellen werden. Bald ist es rein intime Lyrik und philosophische Reflexion, bald rhapsodische, bald fest gegliederte Epik, bald eine historische jambentragödie oder im Gegensatz zu ihr ein leichtgeschürztes Lustspiel, heute ein dickes Buchdrama, morgen ein zart hingehauchtes Proverb - seit Lope de Vega hat die europäische Dichtung kein ähnliches Beispiel von Produktivität aufzuweisen *). Vrchlickys Erstlingswerk :tAus der Tiefe« (1875), das sich teilweise noch an einheimische Vorbilder anschtiefst und in seinem tiefen Pessimismus den Einflufs des damaligen Lieblingsdichters Vrchlickys, G. Leopardis, verrät, enthält noch reine LyriJc; doch bald drängt sich auch in seine lyrischen Bücher das kontemplative Element, das einen grübelnden, meditativen Kopf, einen kühnen Gedankenpoeten zeigt, welchem aber einheitliche Weltanschauung, systematische Denkungsart fehlt. Zuerst herrscht in diesen Sammlungen - ich nenne nur die bedeutendsten »Geist und Welt« (1878), :tSymphonien« (1878), :tSphinx« (1883), :tDas Erbe des Tantalos« (1887), »Leben und Tod« (1893), :.Die Sonnenflecken« (1897) - ein düsterer Pessimismus, ein herber Skeptizismus, der sich mit den verschiedensten fatalistischen Chimären und materialistischen Hypothesen abquält; dann aber entscheidet sich der Poet für den beglückenden Glauben an den endgültigen Sieg des menschlichen Geistes über die lebenslose Materie, der Kulturmenschheit über das Barbarentum, der Humanität über Gewalt und Egoismus, der Freiheit über Tyrannei und Knechtschaft. Dem Leser scheint es, als ob diese *) Eine mustergültige Übersetzung und zugleich eine vorzügliche Auswahl aus Vrchlickys Gedichten hat der deutschböhmische Dichter Friedrich Adler in der Reclamschen Universalbibliothek geliefert, eine andere Anthologie hat Edmund Grün, Leipzig 1886, herausgegeben; in der öfters angeführten »Neueren Poesie aus Böhmen«, Wien 1892; hat E. Albert Vrchlicky und seiner Schule einen ganzen Band gewidmet. - 319 Bücher in ein grofsartiges Orgelkonzert zum Preise des erhabenen Weltalls und der siegreichen Idee ausklängen. Eine Gruppe für sich bilden V rchlickys formvollendete Sonettensammlungen, wo diese von ihm meisterhaft beherrschte Kunstform zu einem wundervollen Instrumente der poetischen Meditation wird; diese Sonette erschienen in zwei Serien, )Sonette eines Einsiedlers« (seit 1885, mehrere Bücher) und )Stimmen in der Wüste« (1890). An die kontemplative Lyrik schliefst sich Vrchlickys Epik, die im Jahre 1876 durch seine )Epischen Gedichtec begann und dann in den )Neuen epischen Gedichten« (1880), ) Mythen« (1879 und 1880, zwei Bände), »Fragmente der Epopöec (1886 und 1895, ebenfalls zwei Bände), »Alten Sagen« (1883) und »Göttern und, Menschen« (1902) fortgesetzt wurde. Doch echte epische Objektivität ist auch hier selten: immer betrachtet Vrchlicky die Sage und die Geschichte, die Legende und den Mythus durch das Medium des philosophischen Gedankens aus dem 19. Jahrhundert; immer knüpft er an jeden epischen Stoff seine weitschweifige Reflexion, belebt auch das kleinste Bruch· stück der Weltgeschichte durch tiefsinnige Meditationen, die einen allzubunten , vom pantheistischen Materialismus bis zum Cousinschen Idealismus schweifenden Eklektizismus verraten. So entstand diejenige ~Gattung von Vrchlickys Epik, die er »Bruchstücke der Epopöe« genannt hat, und die in Victor Hugos »Legendes des sieclesPlage« (1895). Einige schmerzvolle Lebensfragen werden hier wiederholt novellistisch behandelt: das trübe Verhältnis der gealterten Eltern und ihrer Kinder des Bauernstandes, der zersetzende Einf1ufs der Grofsstadt auf das Landvolk, der dumpfe instinktive Zusammenhang der Bauernseele mit dem Mutterboden. Rais bringt das wehmütige Lächeln eines sanften Menschenfreundes, das aufrichtige Mitleid eines humanen Volkstümlers, die herzliche Teilnahme eines überzeugten Traditionalisten diesen traurigen Lebensrätseln entgegen; für eine soziologische Analyse, für eine volkswirtschaftliche Kritik der hoffnungslosen Verhältnisse ist bei ihm kein Platz, auch den geschlechtlichen Problemen und überhaupt allen leidenschaftlichen Konflikten geht er meistens aus dem Wege. Naiv sentimental sind seine endlosen Geschichten - namentlich "Die weltfernen Patrioten« (1894) und "Sonnenunterging« (1899) - aus dem Leben der alten Schulmeister und patriotischen Landpfarrer aus der Zeit der nationalen Wiedergeburt, die in der erbärmlichen Enge ihres Lebens und Wirkens so ausführlich behandelt und so begeistert gepriesen werden, als ob jeder von diesen Landpfarrern ein Dobrovsky, ein jeder von diesen Volksschullehrern ein Safafik gewesen wäre; dazu gesellt sich noch eine unerträglich süfsliche Erotik etwa im Stile der Backfische und ihrer Stammbücher und ein überspannter, rührseliger Patriotismus in der Art eines Tyl oder eines Tfebizsky - 335 und diese wesenlosen Erzeugnisse werden vom Publikum verschlungen und von den Zeitschriften in den Himmel gehoben! Für das geistige Leben des cechischen Volkes zeigt Rais wie einst Pravda kein Verständnis; religiöse Probleme, politische Fragen, soziale Klassenkämpfe interessieren seine schlichten Helden aus dem Volke überhaupt nicht; und doch konnte sowohl in der älteren Zeit Karolina Svetla als auch in der neueren Litteratur Stasek viele Typen religiöser Schwärmer, politischer Enthusiasten, sozialer Fortschrittler aus benachbarten Kreisen vorführen; auch Jirasek, dessen trockener Kunst das Studium des volkstümlichen Lebens neue Säfte zugeführt hat, wies auf die latenten religiösen Kräfte. In der neueren Zeit wird nun auch diesen wicMigen Fragen gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, zumal da sie zugleich den Aufschlufs über den Zusammenhang der religiösen, vergangenen Bewegung mit der gegenwärtigen Volksseele geben. Beide Schriftsteller, Josef Holecek und Frau Tereza Novakova, die in dieser Richtung tätig sind und so dem novellistischen Volksstudium neue Bahnen gewiesen haben, fanden ihre persönliche Note verhältnismäIsig spät, nachdem sie schon jahrelang litterarisch tätig waren. J 0 s e f Hol e ce k (geb. 1853), ein Sla vjanophil vom reinsten Wasser, ist immer ein Utopist geblieben; für seine panslawistischen Träume, die in entschiedenem Gegensatze zu dem gegenwärtig in Böhmen vorherrschenden Westeuropäertum sind, macht er eifrige Propaganda als Journalist, als Politiker, als Novellist. Holecek predigt den engsten AnschluIs an den slawischen Osten, verherrlicht die Kosaken, untersucht die Lebensbedingungen im heutigen Rufsland, stellt montenegrinische Helden seinem Volke als Muster vor; ganz eigentümlich mischt sich bei ihm konservativer Traditionalismus mit fortschrittlichem Demokt:atismus, aufrichtigste Begeisterung für die russische Orthodoxie mit- der Vorliebe für die böhmische Reformation, wie er denn überhaupt zu den wunderlichsten Vertretern des panslawistischen Gedankens unter den Slawen gehört. Nicht ganz tendenzfrei ist auch sein bisher unvollendetes Hauptwerk »Die Unseren« (seit 1898 mehrere Teile), wo er in den frischesten Farben, mit zartester Poesie und köstlichstem Humor das altertümliche Volksleben -in seinem Heimatswinkel, in der nüchternen Umgebung des südböhmischen Städtchens Vodnan, übrigens der ursprüng- - 336 - lichsten Wiege der böhmischen Bruderunität, vorführt. Er will hier dem Pulsschlage der cechischen Volksseele mit aufmerksamer Andacht lauschen; er will die leisesten Schwingungen des cechischen nationalen Geistes, der noch immer tief religiös, ja mystisch lebt und webt, erraten und aus diesen subtilen K~ndgebungen will er eine eigenartige Volkspsychologie konstruieren und sie in den engsten Zusammenhang mit der slawischen Stammesseele bringen. Man kann kalt, ja schroff seinem volkstümlichen Mysticismus gegenüberstehen, man dürfte seinen überspannten Panslawismus nicht teilen können und auch von der mangelhaften Komposition seiner Arbeiten abgestofsen sein: doch den Rang eines überaus ernsten und anregungsreichen Heimatskünstlers wird man ihm nie abstreiten können. Als Frau Tereza Noväkovä (geb. 1853) ihre ersten, streng realistischen Bilder aus der ostböhmischen Hügellandschaft, aus der Umgebung von Leitomischi und Policka veröffentlichte, ist sie schon eine geraume Zeit auf verschiedenen Gebieten der Litteratur tätig gewesen: sie hat in einem grofsen Roman und mehreren kürzeren novellistischen Skizzen die alberne cechische Kleinstadt geschildert, sie hat ein umfangsreiches populär geschichtliches Werk über Frauen geschrieben, wo besonders die böhmische Reformation verherrlicht wird; sie hat das Leben ihrer Lieblingsschriftstellerin, Karolina SvetJa, liebevoll und allzu ausführlich erzählt; sie hat auch ethnographische Fachwerke, die sich mit dem ostböhmischen Volke beschäftigen, verfafst. Diese Schriften, die gröfstenteils unbeachtet blieben, sind als wichtige Vorarbeiten ihrer späteren Werke anzusehen. Aus der konventionellen Banalität und seichten Mittelmäfsigkeit der Kleinstadt hat sie sich zum herben, ernsten Landleben der eigenartigen ostböhmischen Weber und Bauern geflüchtet; die Volkskunlle hat sie zum Studium ihrer sowohl äufseren als auch inneren Lebensart gewiesen; die Beschäftigung mit der vaterländischen Geschichte lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die intimen Wurzeln der cechischen Reformation im Volksgeiste ; K. Svetlä, von der sie ihr sachlicher Realismus scheidet, lehrte sie in dem Volke nach grofsen geistigen Individualitäten, nach vollblütigen Persönlichkeiten zu suchen. So entstanden ihre Monographien der ostböhmischen Volksseele, die tapfer, ehrlich und rücksichtslos die religiöse Wahrheit, die politische Freiheit, die soziale Gerechtig- - 337 - keit sucht und sich in diesem schicksalsschweien Wahrheits- und Freiheitsdrange verzehrt. Einmal ist es der böhmische Emigrant ~Jan Jilekc (1905), der in aerlin stirbt; dann ein starrköpfiger Sektierer, der Weber ~Jifi Rmatlanc (1906), welcher als sozialdemokratischer Schwärmer endet; oder im letzten ihrer Werke ~Auf dem Bauernhofe Librac (1907) ein rechtschaffner aufgeklärter Bauer, dessen intimes Liebes- und Familienglück eng mit der politischen Geschichte von 1848 verwoben ist. Die wortkarge, gedankenschwere und scharfe Kunst von Tereza Noväkova überzeugt durch ihre männliche Wucht und ihren mutigen Wahrheitssinn, was man von den meisten Arbeiten ihrer männlichen Kollegen nicht eben behaupten könnte. Der feste Boden der ethnographischen Beobachtung, auf den sich die cechische Dorfgeschichte stützen konnte, fehlte sonst durchaus dem Roman und der Novelle aus dem böhmischen sozialen Leben. Die Schriftsteller besafsen weder das genügende Verständnis für die Lebensformen und Daseinsgesetze des gesellschaftlichen Organismus, noch den hohen kritischen Standpunkt, von welchem aus sie imstande wären, ihre Umgebungen zu beurteilen. So verfielen sie allzu oft in langweiligste Trivialität, in nüchternste Genremalerei , in alberne kleinstädtische Klatschsucht; anstatt das Typische zu erfassen, verkleinerten und verwässerten sie die bunte Fülle des Daseins. Andere konnten sich von der abenteuerlichen Romanhaftigkeit mit ihrer wilden Handlung, mit ihrem romantislShen Beiwerk, mit ihrem sensationellen Beigeschmacke nicht losmachen; realistische, dem modet:'1len Leben entnommene Züge und naturalistische Schilderungen mufsten bei ihnen das romantische Thema verdecken. Zu dieser bedenklichen Zwittergattung, welche die jungdeutsche Schule zur Blüte gebracht und ihr mit dem journalistischen Charakter zugleich auch die sprachliche Stillosigkeit eingeprägt hatte, gehören fast alle Werke von Jak u bAr b e s (geb. 1840), die gegenWärtig in einer grofsen Gesamtausgabe erscheinen. Jakub Arhes, ein Prager Vorstadtskind , dem das Landlebenimmer fremd geblieben ist, hat den liberalen Journalisten und den jovialen Bohemien seiner Frühzeit nie verleugnet. Immer fühlte er sich zu dem politischen und sozialen Gewirre, zu den sozialistischen und polizeifeindlichen Händeln hingezogen, immer juckte es ihn zu agitieren, zu Jakubec-NovU, Cechische Litteralur. 22 338 - protestieren, aufzustacheln; immer lockten ihn exzentrische Naturen, verbummelte Genies, verlotterte Schauspieler, trunksüchtige Poeten, bizarre Spafsmacher, dämonische Intriganten. Nie wufste er sich zu künstlerischer Ruhe emporzuarbeiten, in der er mit reifer Überlegung bilden und schaffen konnte, und so blicben seine Werke, die gewöhnlich spannend und vielversprechend beginnen, bald aber im Sande verlaufen, fragmentarische Torsos. Auch hat Arbes nie die Kunst einer einfachen, klaren epischen Erzählung gelernt: der Leser mufs sich durch zahllose, teilweise ganz fesselnde Episoden, durch weitschweifige, oft sehr alberne Dialoge, durch einen äufserst bombastischen Wortschwall durcharbeiten, bevor er zu der eigentlichen Handlung gelangt. Doch auch dann liebt es Arbes in Rätseln zu sprechen. Er erzählt unglaublich schauerliche und grausame Geschichten, holt seine Stoffe aus der Kriminallitteratur und der sozialen Pathologie, entwirft düstere und gespensterhafte Bilder und Szenerien, vermischt groteske Komik mit tragischer Ironie. Nachdem er aber diese »Romantik des alltäglichen Lebensc, wie er sie selbst nennt, bis an die Spitze getrieben, löst er seine bizarren Rätsel mit Hilfe einer materialistischen Philosophie, eines deterministischen Positivismus, einer naturwissenschaftlichen Erklärung, um die ganze Ilusion unbarmherzig zu zerstören. Als ein verspäteeter Sabinaschüler hat er den veralteten jungdeutschen Roman des Nebeneinanders fortgeführt; als ein Pflegernachahmer hat er breit angelegte, aber nie fertiggewordene soziale Romane aus dem modernen Arbeiterleben mit einem Stich ins Sozialistische geschrieben. In seinen »Romanettic (1878-1884, drei Bände), die auch sein Bestes enthalten, hat er seine homogene Form gefunden, die seiner zwitterhaften Lebensphilosophie und künslerischen Eigenart genau entspricht. Obzwar heute nur unbedeutende Zusätze zu seinem Lebenswerk hinzutreten, kann man doch kein abschliefsendes Endurteil über Arbes fällen, da die Kritik bis heute der Sichtung und Beurteilung dieses Riesenwerkes zurückhaltend und scheu aus dem Wege gegangen ist. Dagegen bieten die betriebsamen Chronisten des kleinstädtischen Lebens in Böhmen der Kritik keine Schwierigkeiten. Treu und minutiös stellen sie das beschränkte Glück der Klein· städter, ihre amüsante Albernheit, ihre kleine Lust und kleine Qual in humoristischen Novellen und satirischen Romanen dar. - 339 - Sie geben eine ausführliche Chronik der Gemeindewahlen, der Vereinsmeierei, der politischen Ränke; sie lauschen aufmerksam an den Stammtischen in gemütlichen Bierstuben und bei Kaffeekränzchen ; sie interessieren sich für den albernsten Klatsch über Taufen und Heiratsangelegenheiten, über die Fallissements der VorschuIskassen und der Fabriken, kurz, sie identifizieren sich mit dem vergnügten Völkchen, das sie stets mit Freundlichkeit und Nachsicht behandeln. Doch einen groIsen Meister der humoristischen Kleinkunst, der den liebenswürdigen Albernheiten dieser böhmischen Schildbürger Unsterblichkeit verleihen könnte, haben diese Seldwylaner noch nicht gefunden. Die kleinstädtischen Erzähler von heute wollen nur anmutige und lustige Unterhaltungslektüre bieten, doch ein jeder tut es in eigenartiger Weise. Der ehemalige Apotheker Fra n t i s e k Herites (geb. 1851), der in dem umfänglichen Herbarium der menschlichen Charaktere und Verkehrtheiten gut 'Bescheid weHs, schildert mit wehmütigem Humor und mitleidigem Lächeln die erbärmliche Enge und tiefe Misere der Kleinstadt. Der Volksschullehrer Va c I a v S tee h (geb. 1859), der den verlogenen und • unredlichen Kleinstadtspolitikern vergnügt, ja ausgelassen mit dem Bake! seiner übermütigen Satire Prügel erteilt, tut es mit niedriger Komik und mit marktschreierischem Pathos. Der vierschrötige, auf die Dauer ganz unverdauliche Bauer aus der Elbeebene Karel Leger (geb. 1859), der auch äuIserst weitschweifige fade Epep verfef"tigt hat, aber eine leichte, frische Prosa schreibt, bedient sich einer herben, unbarmherzigen Satire. Das Prager Genrebild, das seit Neruda brach lag, hat der typische Kleins~ädter der cechischen Litteratur zum neuen Leben geweckt und zugleich aus dem SpieIsbürgertum eine ganze humoristische We!tanschauung gebildet. Es ist I g n At Her rmann (geb. 1854), ein Self-made-man, der es von einern Ladenburschen zum Mitredakteur der )Narodni Listy" gebracht hat. Herrmann v.erliebte sich förmlich in eine eigentümliche Klasse der Prager Bevölkerung: in Droschkenkutscher und Hökerinnen, gutmütige Trunkenbolde und hungernde Diurnisten, v«:rkommene Kleinhändler und reich gewordene Handwerker, miIsmutige Junggesellen und klatschsüchtige Vetteln, vergnügte Pflastertreter und berüchtigte Vagabunden aus dem Podskalakenviertel in Prag. Herrman hat ihre Bewegungen, ihren Witz, ihr Jargon beobachtet 22* 340 - und mit photographischer Genauigkeit wiedergegeben; er hat ihre vulgäre Moral, ihre billige spiefsbürgerliche Lebensphilosophie, ihre banause Verachtung jedes höheren Strebens, das ihnen als eitle überspanntheit erscheint, sich angeeignet, und da er seine Skizzen, seine Erzählungen, seine Romanwerke mit einer gewissen Leichtigkeit der Sprache und des Stils, mit einschmeichelndem Humor, mit übermütiger Laune ausgestattet hat, wufste er das Durchschnittspublikum an sich zu reifsen und übt einen nachhaltigen unseligen Einflufs auf das cechische Schrifttum aus. In seinen »Prager Figürchenc (1884 und 1886) und >Unbedeutenden Menschenc (1894) zeigt er sich als gelehriger Schüler Nerudas; später verfafste er einen breitangelegten Kaufmannsroman >Zum aufgezehrten Laden« (1890), wo er seine beschränkte Genretechnik zu realistischer Romankunst emporzuheben strebte; da wurde er von seinen Freunden zum Begründer des humoristischen Romans in der cechischen Litteratur ausgerufen. Doch Herrmanns Ruhm erreichte seinen Gipfel, als die Romanserie erschien >Der Vater Kondelik und sein Schwiegersohn Vejvarac (seit 1898 mehrere Teile, deutsch von Luise Tluchof in der Zeitschrift >Aus fremden Zungen«); in dem gutmütigen, gedankenlosen Spiefser Kondelik und dem unbeholfenen Mustergatten und stillen Idealfatzken Vejvara, die in ihrer lächerlichen Selbstzufriedenheit und mit ihrer ganzen Sippe vor dem Publikum aufmarschieren, erblickte der Prager Bourgeois seine Apotheose, ähnlich wie der Berliner auf seine wackere Frau Wilhelmine Buchholz stolz ist. Bedauernswert dabei ist nur, dafs die ~echische Litteratur, der es stets an bedeutenden Humoristen gefehlt hat, den Humor mit dem Mafsstabe der Herrmannschen Komik zu messen und nach seinem Muster zu beurteilen pflegt, und dafs Herrmann bereits Nachahmer gefunden hat. Der cechische Gesellschaftsroman besafs allerdings die Bedingungen zu seiner eigentümlichen Entwicklung, doch diese mufsten durch fremden Einflufs gelöst und in Bewegung gebracht werden; diese wichtige Rolle fiel dem russischen Roman zu. Schon früher wurde der russische Realismus der cechischen Litteratur nahegelegt. Havli~ek führte Gogol ein, das Schrifttum unter Halek beschäftigte sich liebevoll mit Goncarow und Turgeniew, dessen >Aufzeichnungen eines Jägers« eine tiefe Spur in der . cechischen Prosa hinterliefsen. Nun aber wurde der - 341 - russische Realismus, besonders wie ihn Tolstoj und Dostojevskij vorstellen, ein litterarisches Losungswort: ihre hellseherische Psychologie, die sich mit unbarmherziger Strenge in die dunkelsten Abgründe der. Menschenseele ein bohrt, ihre grausame Gesellschaftskritik, ihre erhabene Ethik, die das Christentum bis zu seinen letzten Konsequenzen durchdenkt und praktisch anwendet - dies alles bewunderte man mit andächtiger Begeisterung. Eine vorzüglich redigierte >Russische Bibliothek« (seit 1886) brachte aufser den genannten Klassikern Turgeniew, Gonearow, Tolstoj, Dostojevskij und Gogol auch die anregenden Werke von Pisemskij, Saltykow-Scedrin, Lieskow; doch auch andere realistische Psychologen und originelle Denker wie Garschin, Cechov, Gorkij, Andrejev, Merezkovskij wurden übersetzt und gelesen. Einige Schriftsteller, wie der Slavjanophile ]aromfr Hruby, der Globetrotter Pavel Durdfk, der temperamentvolle Sturmvogel des Naturalismus Vilem Mdtfk, widmeten ihre freien Stunden ausschliefslich dem Übersetzen der russischen Meisterwerke; ja auch russische Litteraturkritiker, Belinskij und Dobrojubov, fanden in Böhmen Beachtung. Kaum einer von den realistischen Erzählern in Böhmen hat sich von dem russischen Einfl~fs femgehalten; doch niemand hat ihn vielleicht so selbständig und organisch verarbeitet wie der fruchtbare Novellist Frantisek X. Svoboda (geb. 1860). Der vollblütige gesunde Bauernsohn hat sich zuerst lyrisch als ein impressionistischer Landschiftsmaler und ein zarter, wenn ein wenig trockener Erotiker versucht; bald aber glaubt man in seinen Büchern den satten schweren Duft der neugeackerten Erdschollen zu riechen, den regelmäfsigen, beruhigenden Rhythmus der Feldarbeit zu hören; die trockene und gereifte Lebensweisheit eines erfahrenen, wenn auch ziemlich beschränkten Dorfphilosophen spricht aus seinem Munde. F. X. Svoboda besitzt eine entschieden lyrische Begabung: seine Naturschilderungen sind zugleich plastisch und duftig; seine Stimmungsbilder sind zart, verträumt; seine Erotik, die sich mit Vorliebe mit den süfsen und unbestimmten Regungen der ersten Liebe befafst, ergreift trotz ihrem sentimentalen und idyllischen Beigeschmacke. Seine Geschichten von aufwärtsstrebenden, energischen Bauern aus Mittelböhmen, in dem bereits modeme Lebensformen herrschen, überzeugen durch ihren männlichen Ernst und ihre objektive - 342 - Sachlichkeit. Aus seiner ersten Periode ist ein grofsartiger sechsteiliger Roman )Der Aufschwunge (1898) zu nennen, wo der Dichter mit behaglicher Breite die Lebensgeschichte seiner eigenen Familie erzählt; noch höher stehen sejne schönen Novellen, die ihre Weihe von Turgeniew empfangen haben; unter dem bezeichnenden Titel ~Stimmungsvolle Erzählungene (1894) hat er sein bestes auf dem Gebiete der Novelle geboten. In der neuesten Zeit hat F. X. Svoboda seinen Stoffkreis erweitert: er schildert das reiche Prager Bürgertum, die emporgekommene Welt der Kaufleute und der Grundherren, wie sie mit der jUngeren Intelligenz in Verbindung treten. Ein kolossaler, teilweise ganz seichter und konventioneller Roman .• Der FluIs~ (1904) gehört zu dieser Gattung; in ihm treten auch Svobodas Mängel stark hervor: seine breite Formlosigkeit I sein Hang zu geschwl'itziger Plauderei, seine schematische Psychologie der erotischen Leidenschaft, sein altkluger Optimismus, sein nur ganz leicht verhülltes Spiefsburgertum, das glaubt, alles, was es selbst nicht zu begreifen vermag, verwerfen und verurteilen zu dürfen. Svobodas Freund und Zeitgenosse M a t ~ j An ast a s i a Aima~ek (geb. 1860) hat mit ihm manchen Zug gemeinsam: auch er hat als lyrischer Poet, bei dem sich die Poesie zu sehr n die Dienste der Reflexion stellt, debutiert; auch er ist von kIemen Milieuschilderungen zu grofsen gesellschaftlichen Romanen, die den Einflufs der Russen verraten, übergegangen, auch er hat aufser der novellistischen auch die dramatische Form benutzt. Doch weder Svobodas feiner Natursinn noch seine innige Liebe zum Landvolke ist bei Sima~ek zu finden; er gibt sich vielmehr als moderner Grofsstadtmensch. 8imacek, ein ehemaliger Zuckerfabrikbeamter, wurde durch seine vortrefflich beobachteten Bilder aus dem Leben der Zuckerfabrikarbeiter und Beamten, welche der cechischen Prosa ein neues Gebiet erschlossen haben, berühmt, auch sind z. B. seine Erzählungen .• Bei der Schneidemaschine« (1888) und )Die Seele der Fabrik> (1894) sehr lebendige, frische Werke. Nachdem er dann in einem ziemlich trostlosen Roman aus derselben Lebenssphäre »Der Vater« (1891, deutsch von E. Vacano) das Dostojevskij-Problem von Schuld und Sühne verarbeitet hatte, suchte er nach einem neuen Stoffgebiete, neuen Milieu, wobei er ebenso seine bemerkenswerte Begabung für das moderne Gesellschaftsstudium wie einen nahezu peinlichen Mangel - 343 - an Phantasie und dichterischer Weihe erwies. In seinen mehrbändigen )Aufzeichnungen des Phil. Stud. Philipp Koffnek« (1892 -1896, fünf Bände), hat er den glücklich gewählten Rahmen der Lebenserinnerungen eines philosophisch beanlagten Hauslehrers benutzt, um eine sentimentale Pathologie des Prager Bürgertums zu geben und um seine recht spiefsbürgerlichen Anschauungen über Liebe und Ehe, Gesellschaft und Nationalfrage sauber und gemeinverständlich klarzulegen. Er wurde dann in einer unerträglich süfsen Novelle zum Anwalte der verführten Dienst· mädchen, in einer faden, inhaltsleeren Erzählung wiederum zum Beichtvitter der jungen weltunerfahrenen Lehrerinnen; verhältnismäfsig spät hat er sein allereigenstes Gebiet der grofsen sozialen Romane gefunden, welche nach russischen Mustern psychologische Analyse mit gesellschaftlicher Pathologie verquicken. Seine) Irrlichter der Vergangenheit< (1900) und )Hungernde Herzen< (1903) lassen, was die realistische Milieuschilderung, die analytische Ergründung der seelischen Probleme, die psychologische Untersuchung aller mitbestimmenden Faktoren betrifft, nichts zu wünschen übrig. Schmerzhafte und schwere Konflikte, in die fessellose Leidenschaften mit der öffentlichen Moral geraten, führt hier Simacek vor; doch wo er tragische Wirkungen beabsichtigt, bietet er nur peinliche Situationen; wo er philosophische Erklärungen zu geben glaubt, legt er nur einen mechanischen und materialistischen Determinismus an den Tag; etwas Schwerfälliges, Formloses, 'Onbeholfenes ist seinen anspruchsvollen Romanen immer eigen. Ein Schüler der Russen ist in seinen Romanen auch der kurzsichtige Kritiker und engherzige Moralist J 0 s e f Lai c h t e r (geb. 1864), ein weitschweifiger Prosaiker, bei dem die chronikartige Durchführung und das schwere moralische Pathos eine wunderliche Zwittergattung erzeugen; nur in rein stofflichem Interesse wurzelt die Popularität seiner Zeitchronik »Die Wahrheitssucherc (1898, deutsch von R. Saudek), die das soziale und politische Reformtreiben der cechischen Jugend aus den neunziger Jahren schildert; künstlerisch bedeutet dieses Buch soviel wie nichts. Als ein weibliches Analogon zu M. A. Simacek ist Frau Boz ena Vi k ov a-K u n iHi cka (geb. 1863) zu bezeichnen. Auch bei ihr verbindet sich das moralkritische Pathos mit der - 344 - soiialen Psychopathologie; doch während M. A. Rimacek seine Werke fern von jeder Tendenz zu halten wufste, ist Frau B. Vikova-Kuneticka eine leidenschaftliche Frauenrechtlerin, die ihre Novellistik zu eifrigster feministischer Propaganda benutzt. Von ihren ersten Arbeiten auf dem Gebiete der kurzen Erzählung und des Romans läfst sich im ganzen nichts sagen: es sind fleifsige, von der landläufigen Konvention nirgends abweichende schriftstellerische Handarbeiten, für die sich unter den Abonnentinnen der Familienblätter immerhin dankbare Leser gefunden haben. In einigen beschäftigt sich die Schriftstellerin schon mit verwickelten sexuellen Problemen, die sie mit einer naiven Einseitigkeit und einem entschiedenen Moralismus behandelt; bald aber warf sie die mit Geschick beherrschte und gut unterhaltende Romanform ganz weg, um ihres Anklageamtes gegen die Männerherrschaft und Männermoral uneingeschränkt zu walten. Ihre Bücher wie der in einer dumpfsinnlichen Atmosphäre atmende Lehrerinnenroman ~Medticka« (1897) oder ihr ~Aufruhre (1900), ein wildpathetisches Bekenntnisbuch einer sich befreienden jungen Mutter, oder endlich ~Der Herre (1906), ein verzweifelt und sinnlos stammelndes Werk von geschlechtlicher Reinheit im BjQrnsonstil, sind leidenschaftliche Konfessionen, gallerfüllte Proteste, lyrisch-epische Improvisationen mit ganz spärlicher Handlung. Die Moralisten und Sozialkritiker werden diesen Werken für manche fruchtbare Anregung Dank wissen; die litterarische Kritik muIs jedoch nur konstatieren, daIs hier ein groIser Aufwand von psychologischer Analyse, üppiger Wortkunst und lyrischem Pathos schmählich vertan worden ist. Den bösen Geist der Schwere, der die sämtlichen Werke von Svoboda und Rimacek, Laichter und Kuneticka beherrscht und der russischen Beeinflussung anzurechnen ist, hat der bewegliche Franzosenschüler Va cl a v H lad i k (geb. 1868) mit einer entschiedenen Überzeugung bekämpft und aus seiner Romanproduktion verbannt. In seinen ersten realistischen Skizzen und Novellen bemühte sich Hladik als scharfer Beobachter und kundiger Psy<;hologe die Prager Kaufmannswelt , den Prager Geldmarkt, das Prager Bankwesen zu schildern; schon damals sah er das fieberhafte Grofsstadtleben mit geckenhafter Ironie, zynischem Sensualismus, verachtendem Blick des blasierten Weltmannes. Wiederholte Reisen nach Frankreich und England, - 345 - eifrige Beschäftigung mit der Pariser Boulevard-Litteratur, verzweigte Verbind ungen mit' der politischen Welt, wo er als gesChickter Journalist warme Aufnahme fand, oberflächliches Studium der modernen Philosophie, liebhaberische Neigungen für die bildenden Künste erweiterten seinen Gesichtskreis, verschärften seinen Blick, verfeinerten seinen Stil. Von nun an verfolgte Hladik, der viel, aber immer flüchtig arbeitete, höhere Ziele. Er wollte den Prager Roman, der unter der kleinstädtischen Geistesenge der ~echischen Novellisten zu leiden hat, und der sich in den niederen Schichten der Prager Bevölkerung zu bewegen pflegt, nun auf ein höheres gesellschaftliches Niveau heben, ihn mit Pariser Eleganz und kosmopolitischen Farben ausstatten und einen leichten, sprühenden, funkelnden Konversationston für ihn schaffen. Mit diesen Bemühungen konnte er sich auf einen älteren, allerdings etwas vergessenen Vorgänger berufen, auf den geistreichen, paradoxen, ironisch beanlagten Ja n Li e r (geb. 1852); dieser konsequente Kosmopolit und schonungslose Feind des cechischen Spiefsbürgertums persiflierte in einem leichten feuilletonistischen Stil die böhmischen Schildbürger und schilderte ironisch die Prager Bourgeoisie. Doch Lier verstummte plötzlich, sein Gebiet lag ganz brach und auch das Genre, das er souverän ganz beherrscht hatte, die scharf, pointierten Erzählungen aus dem Leben der Eisenbahnbeamten, fand nach ihm keinen Bearbeiter mehr. So errang Hladik mit seinen Romanen »Leidenschaft und Krafte (1903), »Evzen Voldanc (1905) und» Valentins Frauen~ (1906) einen grofsen äu(serlichen Erfolg; doch immer deutlicher wurden die tief eingreifenden Fehler seiner Werke ersichtlich: keiner von diesen Romanen hielt, was er versprochen; auf eine fesselnde und inhaltsreiche Exposition folgte eine lückenhafte Handlung, die aus bunten Liebesabenteuern und seichten Dialogen zusammengesetzt war, und endlich eine gewagte, schroffe, vom Autor kaum vorbereitete Katastrophe. Dieselben Charaktere kehrten unter anderen Namen in allen Roman~· Hladiks wieder; die Liebespsychologie zeigte eine bedenkliche Einseitigkeit, einen ganz oberflächlichen Sensualismus, einen kokett femininen Zug; die Eleganz war verlogen und oft ganz sinnlos; neben Balzac und Flaubert, die Hladik oft verherrlicht, tiefs er sich auch von - 346 - Ohnet und vom späteren Bourget beeinflussen; der leichte Konversationsstil verschmähte auch die billigsten feuilletonistischen Floskeln nicht - so hat den ehrlich aufwärtsstrebenden Romanpsychologen der nach Erfolg haschende Modeschriftsteller vetdrängt. - Die Entwicklung des cechischen realistischen Dramas geht mit der Geschichte des Realismus im Romane und in der Novelle Hand in Hand; ja es tauchen hier dieselben Namen auf. Doch hier wurde kein bedeutendes Werk geschaffen, das sich fremde BUhnen erobern und dadurch seine Wirksamkeit erproben könnte; auch das Beste, was auf dem Gebiete des realistischen Schauspieles hervorgebracht wurde, war nur von lokaler Bedeutung oder nur in seiner Entwicklungsreihe beachtenswert. Fremde Einflüsse, wie der russische Realismus, das Ibsensche Drama, die deutsche naturalistische Schule, zeitigten fast keine FrUchte in der cechischen BUhnendichtung, wiewohl die Kritik die fremden dramatischen Reformer kundig und liebevoll interpretierte und das cechische Theaterpublikum fUr das Verständnis derselben allmählich erzogen wurde. Selbst die Schauspieler, die für ihre realistischen Rollen eingehende Studien im Leben machen und zahlreiche Vorbilder finden konnte, taten hier ihr m:öglichstes. Als die cechischen Dramatiker ethnographische Genrekunst, volkstümliche IÖeinmalerei bevorzugten, besalsen sie in Jindfich Mosna (geb. 1837), einem genialen Komiker, den besten Darsteller für Originale aus dem Volke, der seine altertümlichen Figuren mit packender Kraft und eigenartigem Humor vorfuhrte. Als dann unter dem russischen Einfluls die moderne Alltagstragik auf der Prager BUhne einzog, fand sie in Frau Maruska Bittnerova (1854-1898) ihre vorzügliche Darstellerin, die jedoch allzu fruh das Theater verlassen hat. Endlich wufste Frau Hanna Kvapilova (1866-1907), ein sehr kompliziertes modernes Frauenwesen in der Art von Eleonora Duse oder Agnes Sorma, mit ganz erstaunlicher psychologischer Tiefe und taufrischem, lyrischem Zauber die Leidensgeschichte des Weibes und seine sehnsüchtigen Träume von neuer Schönheit und Herrlichkeit des Lebens zu interpretieren; aber als sie sich zu einer Monumentalität, ja klassischen Schönheit der Darstellung erhoben hatte, verwehte sie der Tod wie ein scheues Frühlingsmärchen. N9ch tief in die achtziger Jahre hinein galt die grofse -::- 347 - hisrorische Tragödie mit vaterländischem Stoffe für die höchste dramatische Leistung j auch der beste Realist des cechischen Dramas, Ladislav Stroupeznickj (1850-1892), ein Dramaturg des Nationalen Theaters in Prag, versuchte sich in dieser schwierigen Kunstform j doch hier blieb ihm der Erfolgfür immer versagt. Dann schrieb er einige historische Lustspiele aus dem 16. und 17. Jahrhundert, wie den »Kobold von Klingenberge (1883) und »Die Frau Münzmeisterin« (1885), wo er das archaistische Zeitkolorit, den anmutigen Zauber der Vergangenheit, die pittoreske Eigenart der böhmischen Spätrenaissance ganz meisterhaft zu treffen wuIste. Noch gröIser wurde sein Erfolg, als er diese genrehafte Kleinkunst, diese satte Milieuschilderung, dieses fleiIsige Ausarbeiten von originellen Figürchen, diesen saftigen, witzigen Humor in einem Dorfschauspiele aus seiner südböhmischen Heimat anwandte, das er sehr bezeichnend »Unsere Dorffurianten« (1887) benannt hatte: eine bunte Fülle von Figuren, ein rasches Nacheinander von lebhaften Volksszenen , ein übersprudelnder Reichtum von humoristischen Einfällen verdecken die etwas possenhafte, übrigens keineswegs ganz originelle Motivierung, so daIs dieses frische Volksstück in der cechischen Litteratur einen ähnlichen Platz einnimmt wie Kleists »Zerbrochener Kruge in der deutschen Lustspieldichtung. Stroupeznickj betrachtete dieses, Stück selbst als eine bloIse Episode, welche die Ausführung seines Lieblingsplanes , eines Dramas im groIsen Stile, nur verzögerte j zugleich sah er jedoch ein, daIs er diesen groIsen Stil nicht im historischen Drama, sondern vielmehr in einem Schauspiele aus dem Volksleben zu suchen habe. Von seinen beiden gröIseren Anläufen dazu hat der eine unter der allzu dick aufgetragenen Tendenz zu leiden, der andere aber (»Auf dem Wallensteiner Schachte, 1893) steht dem modernen Sozialdrama mit einem bedeutenden Helden und belebten Massenszenen schon ganz nahe j doch die Hand, die an diesem grofszügigen Werke arbeitete, war die eines Sterbenden. Auf der Bahn, die Stroupeznickj gewiesen, bewegen sich auch die im eingehenden ethnographischen Studium fufsenden Dramen von Gabriela Preissova, Alois Jirasek und den Brüd ern Alois und Vilem Mrstik: eine Liebestragödie aus dem slowakischen oder ostböhmischen Dorfe steht gewöhnlich - 348 in der Mitte, um sie gruppieren sich dann bunte Volksszenen, und wilde Ausbrüche der Leidenschaft durchzittern die Luft. Leider blieben diese Dramatiker, deren Bedeutung auf dem Gebiete der Novelle liegt, bei ganz vereinzelten Versuchen stehen; nur Jirasek schrieb mehrere bereits erwähnte Dramen. Bedeutend tiefer stehen zahlreiche Lustspiele aus der cechischen Kleinstadt, die mit den kleinstädtischen Erzählungen parallel laufen; von diesen derben, mittelmäCsigen Komödien, die Kare I Pippich, Vaclav Stech und Josef Stolba zu Verfassern haben, führt nur ein Schritt zu der Posse, wie sie die Vorstadtsszenen mit Vorliebe pflegen. Die, realistischen Gesellschaftspsychologen F. X. S v 0 b 0 da, M. A. Si mac e k und Va cl a v H lad i k verfolgen in ihren Dramen dieselben Ziele wie in ihren Romanen. Ein schlichtes Lebensbild aus der Gegenwart mit allen Attributen des Alltags auf die Bühne gestellt, benutzen sie dazu, um eine soziale These zu beweisen, ein allgemeines Gesetz zu illustrieren, eine ethische Maxime darzulegen. Beliebte Themen sind Familienuntergang, krankhafte Unfähigkeit, die Last d'er Verhältnisse zu ertragen, ein allmähliches Hinsiechen der Lehenskräfte; dahei ist ihre Psychologie nicht selten schwerfällig, verschwommen und ermüdend. Um so willkommener war das glückliche Dehut des jungen Jaroslav Hilbert (geh. 1870), der in seiner :tSchuld« (1896, deutsch von R. Saudek) durch seine frische Technik, seinen anmutigen Dialog, seine leichte Hand41ngstechnik überraschte und die schönsten Hoffnungen erregte. Doch der dUstere Geist der Schwere schlug auch ihn in seine Fesseln; schon seine heiden späteren von Ihsen beeinflufsten Problemdramen :tDie Fauste (1898) und :tDie Parias« (1900) haben die Glanzseiten seines Erstlingswerkes eingebüCst. Hilberts groCses ritterliches Schauspiel aus der Pfemyslidenzeit, ~Zavis von Falkenstein« (1903) ist als ein kühner, wenn auch keineswegs ganz gelungener Versuch um die Neubelebung des historischen Dramas zu hegrUCsen und aus den Bestrebungen der jüngsten Generation um eine monumentale Kunst zu erklären. - Fünfzehntes Kapitel. Der Kampf .der Kritik und der Poesie um neue Lebenswerte. Das Ende des 19. Jahrhunderts in Böhmen wird durch einen geradezu dramatischen Kampf zwischen Vätern und Söhnen charakterisiert; zwei grund verschiedene Weltanschauungen prallen hier mit bisher unbekannter Heftigkeit aneinander. In dem einen Lager blicken selbstzufriedene Traditionalisten und bequeme Konservative stolz zu dem bereits erworbenen wissenschaftlichen Gut und zu dem vollends abgesehlossenen Lebenswerke der nationalen Wiedergeburt empor und reihen sich epigonenhaft an die Kulturarbeit ihrer Vorgänger an, wobei sie mit seichtem Eklektizismus und oberflächlichem Kompromifsgeist alle Gegensätze zu versöhnen suchen. Ihre Widersacher, welche die Jugend an ihrer Seite haben, sind dagegen 'scharfe Skeptiker, unbarmherzige Analytiker, grausame Kritiker, mutige Neuerer, die alle Probleme der modernen Zeit zu Ende denken, alle, auch die schmerzlichllten Fragen der Gegenwart aufnehmen und ehrlich zu beantworten streben, alte Werte umwerten, den bisher allgemein anerkannten Ideeninhalt der nationalen Existenz revidieren und nach neuem, tiefem Verhältnisse zum Auslande forschen. Wie der groIse Kampf der beiden Generationen sein Vorspiel in 'dem bedeutungsvollen, gelehrten Streite um die Echtheit der Königinhofer und Grünberger Handschrift hatte, so findet die wesentliche Scheidung der cechischen intellektuellen Welt ihr Vorbild in der Trennung der wissenschaftlichen Organisationen. Im Jahre 1882 wurde die utraquistische Universität in Prag, die dem öffentlichen Bedürfnisse nicht mehr entsprach, geteilt und dadurch wur~e die altertümliche cechische Hochschule, deren 350 - Geschichte bis zu Karl IV. reicht, zu neuem Leben erweckt. Ihre bedeutendsten Lehrkräfte gehörten der jüngeren wissenschaftlichen Generation an und übten auf die akademische Jugend einen ungeheueren Einflufs aus. Es war neben den Protagonisten der neuen Gelehrtenschule Gebauer und Masaryk und den ehemaligen Anhängern des Lumirkreises Goll und Hostinsky besonders der scharfsinnige Altphilologe Josef Kral (geb. 1853), der vorzügliche Physiker August Seydler (1849-1891), der geistreiche Nationalökonorne Josef Kaizl (1854-1903), der später österreichischer Finanzminister wurde, und sein Amtskollege Antonin Rezek (geb. 1853), ein trefflicher Schüler und Nachfolger Tomeks auf dem Gebiete der österreichischen Geschichte. Dagegen waren die wissenschaftlichen Vertreter der älteren Richtung an der Universität als strenge Machthaber und jedem Fortschritte unzugängliche Konservative bekannt, denen auch die ehrlichen Bestrebungen der jüngeren Politiker durchaus unsympathisch waren. Zu ihnen gehörten neben dem immer mehr verknöchernden Philosophen der Herbartschen Richtung Josef Durdik und dem starren, reaktionären Historiker V V. Tomek auch der seichte Slawist Martin Hattala (1821-1903), dessen langes Leben in wissenschaftlicher Klatschsucht und zügelloser Polemik zerrann, weiter der anspruchsvolle Graecist Jan Kvicala (geb. 1834), welcher zwar immer neue Fachwerke versprach, aber anstatt dessen nur Ränke schmiedete; die bei den bedeutendsten Juristen Antonin Randa (geb. 1834) und Emil Ott (geb. 1845), die jede Fühlung mit ihrer Zeit verloren hatten, und endiich der selbstgefällige, vielfache Würdenträger Frantisek Josef Studnicka (1836-1903), der sich als vielseitiger Popularisator fremder Forschungen in der Mathematik, Astronomie und Geographie bekannt gemacht hat. Dann wurde im Jahre 1890 durch reiche Stiftungen des bekannten Mäcen Hlavka die >Cechische Akademie für Wissenschaft, Litteratur und Kunst« gegründet, die sich bald als ein festes Bollwerk des wissenschaftlichen Traditionalismus und des gelehrten Konservativismus zeigte; auch in der Litteratur. die hier ebenfalls gepflegt wird, vertritt sie den streng offiziellen und hoch konservativen Standpunkt, so dafs ihr inneres Leben einem neuen Daudet als vorzügliche Unterlage für einen neuen :t Immortel « dienen könnte. Will man also die litterarischen Verhältnisse in Böhmen in - 351 den neunziger Jahren verstelren , so darf man keineswegs die komplizierte Entwicklung der gleichzeitigen ~echischen Kritik und litterarischen Polemik unberücksichtigt lassen. Während in der unmittelbar vorangehenden Zeit der Kritik eine ganz untergeordnete Stellung auIserhalb des dichterischen Schaffens angewiesen worden ist, hat sie sich in dieser Periode die führende Macht ertrotzt, und erkämpft. In den achtziger Jahren machte sich Sv. Cech über die Kritiker in witziger und anmutiger Weise lustig und J. Vrchlicky, trotzdem er selbst kritische Studien veröffentlichte, lieIs fast in jeder seiner Gedichtsammlungen Aussprüche drucken, die dem üblen Goethewort )schlagt ihn tot den Hund, es ist ein Rezensent« an Heftigkeit und Verachtung kaum nachstehen. Jetzt dagegen wurde der führende Dichter J. S. Machar selbst zum Kritiker, und keiner von den Litteraten war so einfluIsreich wie der scharfsinnige Kritiker F. X. Salda. Es wäre wirklich schwer, analoge Beispiele dafür aus der Weltlitteratur anzuführen, daIs des Kritik eine ähnlich wichtige Stelle in der Litteratur zugefallen wäre wie hier; vielleicht nur in der jungdeutschen Periode und in der Sturm- und Drangzeit des russischen Realismus unter B~lin'skij war poetische Produktion mit kritischer Tätigkeit so unzertrennlich verbunden. Als Vorbote der neu zu schaffenden litterarischen meldete sich die philologische Kritik, die einen äuIserst wichtigen wissenschaftlichen Streit auskämpfen sollte. Im Jahre 1886 bewies der bereits angesehene Slawist Jan Gebauer die Unechtheit der Königinhofer und Grünberger Handschrift, dank seiner eingehenden Kenntnis der altböhmischen Sprachperiode und seiner minutiösen philologischen Kritik, wobei er von einer ganzen wissenschaftlichen Schule unterstützt wurde. Die~e auf sicherster wissenschaftlicher Grundlage beruhende Entdeckung wirkte im cechischen öffentlichen Lehen wie ein Torpedo unter einem Schiffe. Konservative Gelehrte und radikale Politiker, schlecht unterrichtete Grammatiker und veraltete Historiker, nai'le Dichter und phrasenhafte Zeitungsschreiber, pedantische Schulmänner und vaterländische Vereine wurden von den Anhängern der Echtheit der heiden fraglichen Denkmäler ins Feld gerufen; die Parteigenossen Gebauers und Masaryks wurden als Verräter der cechischen Nationalsache gebrandmarkt, die moderne wissenschaft" liche Kritik wurde als unseliges Danaergeschenk verurteilt, in - 352 - den führenden Zeitschriften wurde das gefährliche Vorrecht der nützlichen Lüge und des frommen Betrugs schamlos reklamiert. Doch aus diesem Kampfe, der die cechische Nation in zwei feindliche Lager geteilt hat, wurde die moderne cechische Sprachwissenschaft und Litteraturgeschichte geboren. Der Begründer der cechischen Sprachkunde im modernen Sinne, der Prager Universitätsprofessor Ja n G e bau e r (18381907), war kein Jüngling mehr, als ihn die wissenschaftlichen Verhältnisse zum Führer der modernen Gelehrtengeneration machten. Von seiner Jugend an, die noch unter Miklosichs und Steinthais Einflusse stand, beschäftigte sich Gebauer, dessen unermüdliche Arbeitsamkeit vielleicht nur mit dem unheimlichen FleHse eines Tomek zu messen wäre, mit der Geschichte der altböhmischen Sprache und Litteratur, die seit Safafik brach gelegen war. Wie Palacky die politische Vergangenheit Böhmens geschildert hat, so wollte Gebauer die sprachliche Geschichte seines Volkes auf breiter Grundlage und in umfassender Darstellung schildern, wobei ähnlich wie bei Palacky, die älteren Perioden besonders berücksichtigt werden sollten: unzählige Handschriften mu(sten vorgenommen, Tausende und Abertausende von sprachlichen Belegen notiert, untersucht, geprüft, ältere grammatische Resultate streng revidiert werden. So sah sich Gebauer auf einmal genötigt, auch die beiden verdächtigen Handschriften vorzunehmen und was nur eine unwesentliche Episode seiner planmäfsigen Forschung werden sollte, wurde zum Ausgangspunkte einer neuen Anschauung über das Wesen der altböhmischen Sprache und die Anfänge der altböhmischen Litteratur. Aus Gebauers lebenslänglicher Beschäftigung mit der altböhmischen Sprache entstanden seine bei den monumentalen Werke, die leider unvollendet geblieben sind, seine »Historische Grammatik der cechischen Sprache« (1894 -1898, drei Teile) und sein »Altböhmisches Wörterbuch« (1901-1903, etwa eine Hälfte des ganzen Werkes). Mit der treffsicheren Methode der vergleichenden Sprachwissenschaft bewältigt hier Gebauer das gesamte, altböhmische Sprachmaterial, ordnet es mit eiserner Logik, erklärt es mi! scharfsinnigem Sprachverständnis. Diese Werke, die an die beiden monumentalen Schöpfungen Jakob Grimms mahnen, gehören zu den schönsten Früchten des wissenschaftlichen Positivismus, des streng objektiven Realismus, einzig dastehender - 353 - Wahrheitsliebe; in seiner nervösen, hastigen Zeit ist Gebauer immer ein ruhiger Epiker der Tatsachen geblieben. Nach dem grofsen Handschriftenstreite ist Gebauer, der früher auch litterarische Forschungen trieb, nicht mehr dazu' gekommen, die Ergebnisse der neuen wissenschaftlichen Anschauung litterarhistorisch zu verwerten und eine planmäfsige Revision der altböhmischen Litteratur durchzuführen; diese ebenso verlockende als schwierige Aufgabe ist seinem Schüler, dem Universitätsprofessor Ja r os la v V I ~ e k (geb. 1860), zugefallen. Durch seine »Geschichte der cechischen Litterature (seit 1892, bisher unvollendet), wo er sich auf den Standpunkt der vergleichenden Litteraturforschung zu stellen und die gesamten litterarischen Erscheinungen aus den kulturellen Lebensbedingungen zu erklären wufste, hat er eine neue ·Schule begründet. Als glänzender Porträtist und zugleich als Meister der satten Milieuschilderung berührt sich , Vlcek, der sich als ein besonders guter Kenner des slowakischen Schrifttums und der cechischen nationalen Wiedergeburt erwiesen hat, mit Jaroslav Goll; doch dessen feine Ironie, dessen seltenen philosophischen Fernblick und künstlerisch geschliffenen Stil besitzt Vlcek nicht. - Gebauers Werke decken sich ganz mit seiner Persönlichkeit; Gebauers Kampfgenosse Tom a s Gar r i g u e M a s a r y k (geb. 1850) wirkt dagegen immer mehr durch eigenartige Kraft und .originellen Zauber der Individualität als durch seine Bücher. T. G. Masaryk ist eine äufserst komplizierte Erscheinung: seinen slowakischen Ursprung, der sich in seinem ganzen Auftreten kundgibt, hat er nie verleugnen wollen noch können; dazu treten tiefgreifende Einwirkungen der russischen und englischen Kultur und Litteratur hinzu, die er dem vorherrschenden französischen und deutschen Einflufs gegenüber betont; doch sein in der positivistischen Philosophie geübter Geist - als N oetiker empfiehlt T. G. Masaryk die Rückkehr zu Hume, als Soziologe hängt er eng mit Comte zusammen - brachte auch der religiösen Bewegung in der protestantischen Welt ein tiefes Interesse entgegen. . Als philosophischer Schriftsteller und akademischer Lehrer, der seine Zuhörer zu sich als ein geistiger Rattenfänger von Hameln zu locken wufste, pflegte Professor T. G. Masaryk mit ausgesprochener +. •• Vorliebe Ethik und Noetik, Geschichtsphilosophie und Soziologie. Bereits bei seinem ersten Auftreten, dem ganz abenteuerliche Jakubec·Novak, Cecbiscbe Litleratur. 23 354 - Gerüchte vorangingen, brachte der junge Dozent mit den tiefen Augen und mit der weichen slowakiSchen Aussprache die ganze böhmische Welt in Gärung, und sogleich bildete sich eine Partei für ihn, eine andere gegen ihn. Zuerst wurde er als ein überaus glücklicher und anregungsreicher Organisator der wissenschaftlichen Arbeit in Böhmen bekannt und geschätzt: er begründete eine kritische Revue grofsen Stiles; er beteiligte sich an den Vorarbeiten zu der grofsen Enzyklopädie, die seit 1888 in dem rührigen Verlage J. Ottos erscheint; er hat dem Handschriftenstreite, der unter Gebauer nur eine streng wissenschaftliche Fachangelegenheit geblieben wäre, eine allgemein nationale Bedeutung angewiesen; auch der jungcechischen Politik ist er nicht fern geblieben. Seine grofsen Hauptwerke »Grundzüge einer konkreten Logik« (1885, deutsch von H. G. Schauer) und »Die soziale Frage« (1898), die sich eines Weltrufes erfreuen, berechtigten T. G. Masaryk, welcher sich gern als ein Geist gibt, der stets verneint, zu geringschätzender Aburteilung über die cechische Wissenschaft und Philosophie, welche sozialen Fragen und "ethischen Problemen stets schüchtern ausgewichen war. In seinem Innern mächtig von der moralen und religiösen Krisis des materialistischen und indifferenten Zeitalters ergriffen, ist Masaryk als mutiger Vorkämpfer der öffentlichen Sittlichkeit und des ethischen Gewissens aufgetreten, worin er sich mit Carlyle, Björnson und Egidy berührt. Von dies~m Gesichtspunkte aus verurteilt er den Eklektizismus in der Litteratur und den dekadenten Dilletantismus in der Kunst, zu der er übrigens in keinem eigentlichen Verhältnisse steht; weder der französische Naturalismus noch die Romantik konnten dem Verehrer von Tolstoj und Dostojevskij sympathisch sein und der unduldsame Eifer des einseitigen Moralisten konnte sich mit Renan, dessen Geist aus Frankreich in die moderne cechische Litteratur vielfach übergegangen ist, keineswegs vertragen. Eine kritische Revision des nationalen Lebens war für Masaryk mehr als ein lautes Programmwort ; es war für ihn vielmehr ein Teil seiner Lebensaufgabe. In der böhmischen Reformation, vorzugsweise in der Brüdergemeinde , fand seine ausgesprochen protestantische Denkart den eigentlichen Sinn der cechischen Geschichte; ja auch in der nationalen Wiedergeburt, die doch eine fast ausschliefslich romantische Bewegung war, erblickte er philosophisch-religiöse - 355 - Ideen der Reformation, an die er dann die Gegenwart unmittelbar anknüpfen wollte. Diese zuweilen ganz wunderliche Hypothesenkonstruktion stiefs auf allgemeinen Widerspruch der Fachgelehrten; Masaryks anregungsreiche, wenn auch durchaus einseitige Bücher über dieses Thema: )Die cechische Frage« (1895) und ) Karel Havlicekc (1896), förderten jedoch ungemein das Studium der cechischen Wiedergeburt. In der letzten Zeit wird Masaryk, der um sich eine selbständige politische Partei, die sogenannten >Realisten«, versammelt hat, von der politischen Agitation und dem Journalismus zu sehr in Anspruch genommen; er erstarrt immer mehr und mehr und verliert auch allmiihlich jede Fühlung mit dem wissenschaftlichen und litterarischen Leben; auch seine eminent kritische Begabung und sein vorzüglicher sozialpsychologischer Scharfsinn scheiterten an der Klippe eines engherzigen Moralismus und eines gewaltsamen Freidenkerturns. Von Masaryks Schülern stand ihm der frühverstorbene Hubert Gordon Schauer (1863-1892) am nächsten; er hat Masaryks philosophische und soziale Ideen als Kritiker in die schöne Litteratur eingeführt. H. G. Schauer war eine problematische Natur, eine kranke Seele, ein verzweifelter Denker; er wurste selbst nie, ob er sich fUr cechische oder deutsche Nationalität entscheiden sollte; er schwankte fortwährend zwischen Wissenschaft und Journalistik, zwischen Nationalökonomie und Kritik; der ewige Streit der positiven Phil?sophie und des Christentums war für ihn stets eine Herzenssache. Dieser in den erbärmlichsten Verhältnissen lebende, an Schwindsucht hinsiechende Bohemien sehnte sich nach einem bedeutenden Leben, nach einem gesteigerten Dasein und hafste ehrlich die ihn drückende gesellschaftliche Misere des cechischen öffentlichen Treibens. Von der Litteratur verlangte er bedeutenden gedanklichen Inhalt, lebhaftes Interesse für religiöse und sittliche Fragen, für politische und ökonomische Probleme; er hat sein Augenmerk auf die Arbeiterund Frauenfrage gerichtet; er verurteilte mit bitterer Verachtung die Kleinstädterei, die Sentimentalität, den Konventionalismus des gleichzeitigen cechischen Schrifttums. Das gröfste Aufsehen erregten aber seine politisch-philosophischen Aufsätze in der realistischen Zeitschrift >Oas« (>Zeit«), wo er mit düsterer Verzweiflung seine Ansichten über die Nichtigkeit des aussichtslosen 23* - 356 nationalen Kampfes klargelegt hat; man übersah, daLs aus diesen »hochverräterischen« Zeilen ein lebensmüder, kranker Geist sprach, der vom Leben tückisch betrogen war. Immerhin wirkte H. G. Schauer, dessen kritische Aufsätze noch der Sammlung harren, auf die Jugend sehr anregend; obzwar er kein eigentliches Verständnis für die ästhetischen Fragen hatte, befruchtete er die cechische Kritik ungemein. Doch das Verdienst, daLs dieselbe aus einer starr doktrinären Disziplin, welche von engherzigen und pedantischen Krittlern mit schulmeisterlichen Grundsätzen und Manieren oder aber von hausbackenen Moralpredigern beherrscht worden war, zu einer selbständigen Gattung, zu einer autonomen Kunst erhoben wurde, - dieses Verdienst gebührt dem hochbegabten Fra n t i s e k X. S a I da (geb. 1868), dem entschieden bedeutenderen Freunde H. G. Schauers. Dreierlei ist bei F. X. Salda bemerkenswert: sein Stil, seine Methode, seine Persönlichkeit. Ralda hat eine neue kritische Sprache geschaffen, die aus einer eigentümlichen Mischung von Elementen entstanden ist: das poetische Pathos berührt sich hier mit der wissenschaftlichen Terminologie; die lyrische Metapher wechselt mit fach psychologischem Ausdrucke; eine farbenreiche Reihe von andeutenden Analogien paart sich mit streng präzisierender Abgrenzung; geistessprühende Ironie durchsetzt den erhabenen Flufs der Rede. Zu diesem wundervollen Stile, den ich etwa mit Hofmannsthaiseher oder Kassnerscher Prosa vergleichen möchte, hat Salda bereits in seinen älteren, meistens vernichtenden kritischen Referaten, die immer das beurteilte Buch zum Ausgangspunkte allgemeiner Betrachtungen machten, Anläufe getan; später hat er, ein gelehriger EmersonSchüler , die Essayform liebgewonnen und in ihr mit einem ganz eigentümlichen Zauber der Essenz die Kunstprobleme gelöst, welche für ihn zugleich immer Lebensprobleme waren. Sein Essaybuch »Kämpfe um den morgenden Tage (1905) gebört zu den schönsten Proben der cechischen Wortkunst. Saldas kritische Methode ist ein Kunstprodukt, an dem manche Einflüsse mitgearbeitet haben. Zuerst waren es die grofsen französischen Stilkünstler wie Flaubert und die analytischen Kritiker, mit Taine obenan, die Salda gelehrt haben, die Kunst als eine organische, mit den verborgensten Nerven des Nationallebens verbundene Lebensfunktion zu betrachten; dann haben ihm - 357 - die französischen Symbolisten den metaphysischen Sinn der Poesie und die zartesten Geheimnisse der Verstechnik erschlossen. Später ist Ralda in die strenge, puritanische Schule eines Carlyle, eines Ruskin, eines Emerson gegangen, und hier hat er das ethische Pathos, die künstlerische Moralphilosophie, den seherhaften , wuchtigen Predigerton gelernt. Zuletzt endlich empfing er reiche Anregungen von der Kunstkritik, in der er sich auch mit Erfolg versuchte, um vornehmlich die französischen Impressionisten dem cechischen Publikum nahe zu bringen. Salda, der stärkere Eindrücke aus Büchern und Kunstwerken als von Menschen und aus der Natur empfängt, entnahm diesen Vorbildern nur solche Elemente, die seinen eigenen Ideengang befruchten und fördern ~ konnten. Immer betonte er, dars es in der Kunst in erster Reihe auf einen schöpferischen, uno erschrockenen, ja geradezu heldenhaften Charakter ankomme, der seine Intelligenz und seine Technik möglichst fein zu bilden, seine Sinne und Instinkte dagegen möglichst rein zu erhalten habe. Nur ein solcher Künstler, sei es schon in der Poesie oder in den bildenden Künsten, könne die hohen Forderungen erfüllen, die man an die moderne Kunst stellt: nämlich in lebendigen Symbolen das grofse, erhabene Weltdrama vorzuführen, dessen ewige Schauspieler der Gedanke und der Schmerz, die Liebe. und der Tod sind. Um Ralda, den unbarmherzigen Kritiker und gefürchteten Polemiker, gruppiert sich eine ganze kritische Schar, die mutig und siegreich gegen das bequeme Epigonentum ~nd den seichten Konventionalismus kämpft. Dieses streitlustige Heer, dessen Waffen scharf und blank geschliffen sind, hat zwei Flügel. Auf dem einen kämpfen sozial und ethisch gesinnte Kritiker, die sich von der Hebung des litterarischen Niveaus und Geschmackes zugleich einen bedeutenden Fortschritt ihres gesellschaftlichen Ideals versprechen, wobei allerdings, oft nur halbbewufst, das böse Teufelchen der Tendenzlitteratur sein Pfötchen zeigt. Der Vorkämpfer der sozialdemokratischen Weltanschauung, der schwungvolle Litterar- und Musikkritiker Frantisek V. KrejCi (geb. 1867), der in seinem geistreichen Buche über Smetana (1900) auf eine ganz originelle Weise gegen den Wagnerismus Partei ergriffen hat, liebt es in seinen oft ganz rhapsodischen Kulturträumen und Herzensergiefsungen eine glückliche, lebens- 358 - frohe soziale Zukunft auszumalen, welche auch die kühnsten Forderungen der modernen Litteratur und Philosophie verwirklichen werde. Von dem Schriftsteller und dem Künstler überhaupt verlangt KrejCi, dafs sie dieser neuen Renaissance, dieser endgültigen Abkehr von dem christlich-mittelalterlichen Lebensideal, tapfer und eifrig vorarbeiten. Für den trockenen und verbitterten Aktenführer des zeitgenössischen Schrifttums und Theaters, den schonungslosen J i n d f ich V 0 d a k (geb. 1867), liegen die gesellschaftlichen Zukunftsträume in keiner so nebelhaften Ferne. Dieser genaue Philologe und griesgrämige Professor vertritt in der Litteraturkritik vielmehr den ethischen Standpunkt Masaryks, und mit diesem einseitigen, aber strengen Mafse mifst er die gesamte neue Produktion, was ihn ebenso gefürchtet als angesehen macht. Die andere Gruppe der Kritiker will mit der ethisch sozialen Propaganda nicht das geringste gemein haben: es sind im Gegenteil antisoziale Reinkünstler, exklusive Aristokraten, dekadente Geniesser , welche in der Kunst ein gefährliches und zugleich berückendes Spiel der Leidenschaft und der Wollust erblicken und die Wirklichkeit blofs als einen dürftigen Ersatz für die Kunst anerkennen. Nur ausnahmsweise beschäftigen sie sich mit .cl,er einheimischen Produktion; nur mit Verachtung sprechen sie von den älteren Schriftstellern; ihre gekünstelten, meistens schwer verständlichen Essays schreiben sie nur fUr einige Litteraten und Liebhaber oder, wie man es heute zu bezeichnen pflegt, für die Dichter und die Sammler. Der Ältere von ihnen, Jifi Karasek ze Lvovic (geb. 1871), ein auch als Lyriker und Prosaiker bedeutender Künstler, kann heute auf eine mehr als zehnjährige kritische Tätigkeit, deren Anfänge aUzusehr von Ralda abhängig sind, zurückblicken; das Schönste, was Karasek in dieser Zeit geschrieben hat, sind wohl seine äufserst frischen Charakteristiken der jungen Schriftsteller: >Impressionisten und Ironiker« (1903). Später hat dieser typische Dekadent das vorher so fleifsig verwaltete Referentenamt niedergelegt, um als feiner Psychologe, zarter Anempfinder, stechender Ironiker, ausgesuchter Stilist fremde Persönlichkeiten zu analysieren und schwierige Kunstprobleme zu erörtern: das Seltene, das Kranke, das Paradoxe, das Unzeitgemäfse hat für diesen nervösen und manchmal ganz absurden Dialektiker ausschliefsliehe Anziehungs- - 359 kraft. Eng an Karasek schliefst sich der blutjunge Kritiker Milos Marten (eigentlich Milos Sebesta, geb. 1880) an, dessen schwere, hieratische, an englischen Kunstkritikern mit Oscar Wilde an der Spitze und an französichen Dekadenten gebildete Prosa ausschliefslich dem psychologischen Paradoxon und der künstlerischen Ausnahme dient. Marten weHs ebenso glänzend wie widerspruchsvoll über Dichter und Maler, Mystiker und galante Frauen, Bildhauer und Dandies zu schreiben; nur sehr selten beschäftigt er sich jedoch mit cechischem Kulturleben. - Auch der bedeutendste Dichter der neuen Schule, die im Jahre 1895 und 1896 öffentlich mit der älteren Litteratur gebrochen hat, der Lyriker und Satiriker J. S. Mac h a r (geb. 1864) ist im Grunde ein Kritiker,' bei dem die skeptisch analytische Note nie verstummt. In seinen ersten poetischen Büchern, die bei ihrem Erscheinen am Ende der achtziger Jahre grofses Aufsehen erregten, und die der Dichter nachträglich in eine lyrische Trilogie >Confiteon (1900-1902) vereinigte, ist J. S. Machar ein bitterer Kritiker der modernen Liebe. Ein Stiefsohn der Romantik und ein verspäteter Bruder Heines, ironisiert er in seinen knappen, äufserst klaren Gedichten und Liedern, die sich sehr eng mit der modernen Konversationsprosa berühren, die blasierte Erotik der heutigen Weltstadt, die müde Eleganz seiner Prager Umgebung, das flatternde Spiel seiner eigenen verlogenen Erinnerungen, den wehmütigen Pessimismus seines vergifteten Herzens. In diesen tagebuchartigen Büchern, die auch kleine ungemein lebendige Genrebilder und ironisch pointierte Gesellschaftsszenen enthalten und überall einen konsequenten lyrischen Impressionisten verraten, hat Machar seine lange und abenteuerliche Irrfahrt in dem zaubervollen und gefährlichen Venusgärtlein geschildert, bis er endlich versöhnliche, ergebene und trauliche Töne für seinen Ehefrühling fand. Diese intime Liebeslyrik wird von vier Bänden >Sonetten4: (1891-1893) vervollständigt, welche in kleinen impressionistischen Skizzen ein Jahr der Seele vorführen. Doch bereits neben ihr meldete sich bei Machar beifsende , spöttische Gesellschaftskritik, trotzige und aburteilende Verachtung des seichten öffentlichen Lebens in Böhmen, gallige Spottlust, die sich die erbärmliche damalige cechische Politik zur Zielscheibe wählt. - 360 - Und so erschien im Jahre 1893, wo bereits Masaryk und H. G. Schauer ähnliche Töne angeschlagen haben, Machars stürmisches, leidenschaftliches Buch »T ristium Vindobona«, dessen Muse HaIs und Verzweiflung war. Der seither in Wien lebende Poet nimmt hier Stellung zu dem Problem der Nationalität, das er vorerst aus dem erstickendem Qualme patriotischer Deklamation, aus der ungesunden Atmosphäre des starren Historismus loslösen muLs: er singt hier von zorn erfülltem Schmerze über die nichtige Gegenwart, von endloser Verzweiflung über den sklavischen Charakter seines Volkes, von den Erniedrigungen der einst so glorreichen Nation durch fremde Bedrücker, aber auch von erlösender Hoffnung an bessere Lebensmöglichkeiten, von krampfhaft sich anklammerndem Glauben an das RassenbewuLstsein des Volkes. Mit dieser politischen Lyrik, wo anstatt salbungsvoller Begeisterung und optimistischen Idealismus der alten patriotischen Schule bitterer Ernst, verblutende Verzweiflung, strenger Skeptizismus das Wort führen, hat Machar den jüngeren Dichtern neue Wege gewiesen. Sein bedeutendster Jünger auf diesem Gebiete, der geheimnisvolle pseudonyme Pet r Be z ru c, der wie ein wilder Rhapsode mit Walt Whitmanscher Wucht das verzweifelte Elend seines aussterbenden aus Tagelöhnern und Berghauern zusammengesetzten schlesischen Stammes in grell aufflammende Verse zu bannen wuLste, erschütterte durch seine an Zahl ganz spärlichen Gedichte die ganze Nation. Später stürzte sich Machars politisches Lied, zu dem sich auch sein groteskes satirisches Epos über die jungcechische Politik »Die Streiter Gottes» (1897) gesellt, in die sozialistische Propaganda und den politischen Parteikampf , wo er treu und überzeugt an Masaryks Seite steht; seine Poesie wurde dabei leidenschaftlicher, positiver, aktueller, jedoch auch einseitiger, persönlicher, ungerechter sowie trockener und farbloser. In der gleichen Zeit, da Machar als politischer Lyriker auf· getreten ist, offenbarte er sich auch als Gesellschaftskritiker. Den alten Feministen, den ewigen Erotiker aus der Heineschen Schule verriet der Hang zur Frauenfrage, in welcher Machar aber keineswegs den schroffen männerfeindlichen Standpunkt seiner Freundin, der begeisterten Frauenrechtlerin Frau Bozena Vikova Kuneticka, einnimmt, sondern das heutige Weib in seinem sozialen Elend, in seinem geistigen Schmerze, in seiner Verlassen- 361 heit mitleidig und verständnisvoll aufsucht und für sein Recht auf Liebe, auf Mutterschaft, auf Arbeit eintritt. So malt er in dem poetischen Buche .Hier sollten Rosen blühen« (1894), das von Jakobsen mehr als sein Motto empfangen hat, mit weicher Pastelltechnik feine, nervöse Frauenbildnisse aus der Gegenwart, denen der Schmerz eine Heiligenglorie verleiht. So erzählt er in seinem satirischen Versepos :tMagdalena« (1894, deutsch von Fux-Jelensky, Wien 1904) die tragische Geschichte eines Prager Freudenmädchens, das lieber zum Laster zurückkehrt als in der heuchlerischen kleinstädtischen Gesellschaft zu leben, die ihr das Recht der sittlichen Wiedergeburt nie zuerkennen wird. Nachdem Machars intime Schmerzen ausgetobt waren, nachdem cr das zersetzende Scheidewasser seiner Kritik und seiner Ironie ausgeschüttet hatte, zeigte er auch sein ruhigeres, objektive~, goethisch geklärtes Gesicht. Er hat in einem herrlichen gereimten Versebuch seinen »Ausflug auf die Krim« (1900) beschrieben, wo er den barbarischen Süden in den frischesten Farben und in breitem Sonnenlichte erglänzen lieIs. Er hat zwei Versbücher über die Antike, :t Im Strahl hellenischer Sonne« und >Das Gift aus Judäac (beides 1907 deutsch von Boos Waldeck) veröffentlicht, wo er sich entschieden von der kraft- und mutlosen Gegenwart und von dem asketischen, mittelalterlichen Christentum abwendet, um seine klare, schwungvolle, oft geradezu skulpturale Verskunst in den Dienst der Hellas, des Imperium Romanum, des lebensfrohen Heidentums und der. stoischen Philosophie zu stellen. Griechenland liegt diesem scharfen Logiker, diesem aufgeklärten Poeten allerdings etwas fern, und es kann darüber kein Zweifel walten, dafs der sinnliche Heide Vrchlicky ein viel besserer Hellene ist als Machar, der etwa im 18. Jahrhundert seine Gesinnungsgenossen finden dürfte. Ganz vortrefflich ist dagegen alles, was Machar aus dem .römischen Altertum dar~estellt hat. seien es die tief intuitiven Charakteristiken aus der römischen Kaiserzeit, deren Reihe bereits in seinem fragmentarischen Buche :t1893-1896c (1896) durch einige Gedichte eröffnet wurde, seien es die gedrungenen äuIserst lebendigen Geschichten aus der römischen Republik, seien es endlich seine impetuösen Feuilletons :tRomc (1907, deutsch von E. Saudek). Doch die höchste Wirkung erzielt Machar, sobald er sich in die widerspruchsreiche Periode des werdenden Christentums vertieft: er haIst das - 362 - Gift aus Judäa mit so überzeugtem Ernst, wie es ein philosophisch gebildeter Civis Romanus aus der Kaiserzeit oder zumal ein römischer Imperator, beispielsweise Diokletian, gehafst haben mag; er sieht in dem Christerrtum eine Gefahr für die grofse Lebenskultur und den erhabenen Staatsgedanken des Imperium; er verachtet das kriechende Plebejertum, das unsaubere Sektenwesen, die heuchlerische Askese, hinter der sich nur unedle Gelüste verbergen. Mit einer grofsartigen Geschichtsphilosophie, die besonders in dem tiefsinnigen Titelgedichte seines Buches ~Golgatha4: (1899) erschütternd wirkt, betrachtet er die Lehre Christi, welche erst dann gedeihen durfte, nachdem sie Satan selbst umgemodelt hatte - man mufs an die geniale Grorsinquisitorszene bei Dostojevskij denken -, und in diesem Sinne führt er die Geschichte des Christentums in den ersten Jahrhunderten vor. An diesen Gestalten von Heiligen, Päpsten und Bischöfen, an seinen Geschichten aus den verschiedensten Diözesen und Klöstern würde ein Voltaire sein Gefallen finden. obzwar sonderbarerweise ebendiese Gedichte von den christlich gesinnten Parteigenossen Machars verherrlicht werden. Dieses allerletzte Stadium der Macharschen Poesie, das jedoch seinen Anhängern als ein ganz zufälliges Intermezzo erscheint, ist von einer grorsen kulturpsychologischen Bedeutung und einer entschiedenen Wichtigkeit für die weitere künstlerische Entwicklung der cechischen Poesie. In der Zeit, da sich jede lyrische Anarchie, jede subjektive Gesetzlosigkeit, jeder verworrene Gefühlsdusel unter das Banner der Neuromantik flüchtet, bekennt sich Machar, wie die besten der zeitgenössischen Franzosen, zu antiker Harmonie, zu objektiver Gesetzmäfsigkeit, zu klarem Rationalismus; in der Zeit, wo der verlockende Wahlspruch der gotisch-christlichen Wiedergeburt jeden schleichenden Obskurantismus, jeden siechen Aberglauben, jede dekadente Willensschwäche beschützen murs, entscheidet sich Machar für das antike Heidentum, die Religion der schaffenden Kraft, des entwicklungsfröhlichen Lebens, des tätigen Willens. Es ist keine litterarische Mode, was Machar zu dieser neuen Entwicklungsphase gebracht hat; er selbst murste den nervösen Pessimismus seiner Jugend, seine schmerzhafte Erotik, seinen sozialen und politischen Nihilismus überwinden; er hat all dieses überwunden, er hat sich menschlich wie poetisch geklärt. Und der Weg, den er der neuen cechischen DichtQ.ng - 363 - mit dieser neuen Poesie ~wiesen hat, ist eben auch der Weg einer menschlichen und künstlerischen Klärung. Einen totalen Gegensatz zu J. S. Machar, dem klaren und scharfen Verstandesmenschen, 'bildet der verträumte und weiche Gemütsmensch Antonfn Sova (geb. 1864), sein gleichaltriger Antipode. Sensitiv und zart wie kaum ein anderer, geht er den süfsen Geheimnissen der einsamen Natur nach, betrachtet sehnsuchtsvoll, wie der weiche, blaue Nebel auf die ruhige Herbstlandschaft sinkt, wie das erste Morgenlicht die schlanken Äste der rauschenden Birken umwebt, wie der duftige Glanz des melancholischen Mondes die blühenden Wiesen und die schweigenden Friedhöfe verhüllt, wie die eisbedeckten Bergspitzen ernst und erhaben mit den Wolken 'sprechen. Aber dieser mit Jakobsen und Schlaf befreundete Impressionist, der die zartesten Schwingungen der Naturseele in seine berauschenden Verse zu bannen weHs, dieser Träumer, der die Wirklichkeit gern mit phantastischen und märchenhaften Zügen ausstattet, dieser sensitive Lyriker, dessen schmachtendes Herz von seinen Wunden nur in der stillen Einsamkeit genesen kann, fUhlt sich leidenschaftlich in das moderne Lebensgewirre hineingezogen; sehnt sich immer von neuem nach Bitternissen der krankhaften Gesellschaft; kehrt immer wieder in die modeme, schwer atmende Grofsstadt zurück. Als Sova im Jahre 1890 mit seinen »Realistischen Strophen« und seinen "Blüten der intimen Stimmungen« debütierte, malte er das moderne GrofsstadtJeben mit einem peinlichen Realismus geduldig, genrehaft und sentimental ab. Bald aber verliefs er unbefriedigt diese banal-faden Szenen, diese kleinlichen Figürchen, diese gereimten Anekdoten, die auf seine damaligen poetischen Mitbewerber - ich nenne nur den ungemein fruchtbaren, aber ziemlich belanglosen Coppee-Schüler An ton in K las t e r 5 k Y (geb. 1866), welchen die konservativen Kritiker und Litteraten gern gegen die moderne cechische Lyrik ausspielen - noch heute eine grofse Anziehungskraft ausüben. Schon sein viertes Gedichtbuch, das den bezeichnenden Titel »Mitleid und Trotz« (1894) führt, eröffnet, wenn auch noch nicht sicher und zielbewufst, eine neue Epoche in Sovas Schaffen. Während er bisher das Leben und Streben seiner Mitmenschen scheu und süfslich bemitleidete, will er es jetzt rügen und richten. Sein lyrisches Monodrama )Eine geknickte Seele« (1896) ist ein bedeutender Beitrag zur - 364 - Psychologie des modernen Individuums, das mit seiner Zeit, seiner Umgebung, seiner Nation gebrochen hat, ohne eine neue, ihm hinreichende Lebensform gefunden zu haben, und das deshalb verzweifelt zugrunde geht. Die Jugend von damals begrüIste dieses äuIserlich formlose Werk als das Bekenntnisbuch ihrer Sturm- und Drangzeit. Der Dichter, der, alle Fesseln des epigonenhaften Akademismus wegwerfend, in dem freien Verse eine neue poetische Ausdrucksform gefunden und sich offen in die erste Reihe der jungen, flir moderne Ideale streitenden Generation gestellt hatte, begnügte sich jedoch nicht damit, einfach zu protestieren; sein Werk wurde alsbald zur philosophischpoetischen Kritik der Gegenwart und ihrer Lebenswerte. Mit leidenschaftlichem Ernste und herber Wahrheitsliebe, mit pathetisch scherzhafter Geste zerschmettert der zürnende Poet in seinen »Ausgetobten Schmerzen< (1897), die immer noch sein Hauptwerk bleiben, alle angebeteten Götzen der modernen Menschheit. Schonungslos prüft er deren Glauben, Hoffnung und Moral und findet überall nur Lebenslügen. Aber der Poet, dessen analytischer Geist sich durch keinen schönen Wahn bestechen läIst, fragt zuletzt doch, ob diese schreckliche Götter- und Götzendämmerung der Anfang oder das Ende der modernen Gesellschaft sei. Und schon auf den letzten Seiten dieses schmerzhaften Buches schimmert die Ahnung einer höheren Zukunft, einer edleren Moral, einer besseren Menschheit durch. Diese scheuen Zukunftsträume finden dann in dem wundervollen Zyklus »Das Tal des neuen Reiches< (in dem Buche »Einmal kehren wir noch wieder«, 1900) sowie in der vollendeten Sammlung »Die Abenteuer der kühnen Seelee (1906) ihre Erfüllung. Mit dem siegestrunkenen Enthusiasmus eines modernen sozialen Chiliasten , mit der edelsten Symbolik, in pathetischer, erhabener Sprache preist da Sova ein freies Königtum der Zukunft, deren vollendete Menschheit in neuen Lebensformen ihr Glück finden wird. In diesen letzten Schöpfungen, in denen allerdings der alte bittere Beigeschmack der ätzenden Ironie, der zersetzenden Gesellschaftskritik noch immer zu spüren ist, verarbeitete Sova auf eine eigenartige und kühne Weise die besten Ideen einer sozialen Wiedergeburt, wie sie die neue Generation in Böhmen formuliert hat. Doch auch seine lyrische Kraft versiegt auch in der allerletzten 365 - Zeit nicht. In seinem letzten Buche, l>Lebens- und Liebeslyrik« (1907) , spricht wieder zugleich der verbitterte Ironiker und der feine Impressionist, der herbe Satiriker und der subtile und intime Erotiker; auch den Pamphletisten Sova, der seinerzeit (1897) wuchtig und beredt gegen den chauvinistischen Brutalismus eines Mommsen polemisierte, darf man nicht vergessen. Ein Kapitel fUr sich bilden Sovas Prosadichtungen , die nebst einem Buche von kurzen, lebenssprühenden Skizzen und Novellen auch zwei gro{se Romane, »Ivos Roman« (1902) und »Kreuzzüge der Armen« (1903), umfassen, welche neben den echtesten lyrischen Schilderungen auch manche Härte in der Komposition, manchen unausgeglichenen Bruch in der Psychologie aufweisen. Sovas erhabene in freiem Rhythmus hinrollende Offenbarungen und Visionen einer neuen seligen und verklärten Zukunft berUhren sich in mehr als einer Hinsicht mit der hymnischen Poesie des grofsen Visionärs Otakar Bfezina (eigentlich Vac1av jebavy, geb. 1868), der gleichwertig neben dem Realisten Machar und neben dem Impressionisten und Träumer Sova als poetischer Sprecher jungböhmens steht. Otakar Btezina ist wohl der einzige unter den jüngeren cechischen Lyrikern, dem der Rang eines metaphysischen Poeten, eines schöpferischen Synthetikers, eines ideologischen Symbolikers gebührt. Die Welt der Erscheinungen verschwindet bei Bfezina in der Welt der Ideen; der philosophische Gedanke modelt bei ihm immer die Realität um; aus den vergänglichen Elementen der mit einer äufserst genauen und klaren Anschauung und Empfindung erforschten und erlebten Aufsenwelt schafft Bfezina einen neuen transzendenten kosmischen Bau. In seinem ersten Buche, »Geheimnisvolle Fernen« (1895), über dem dUstere Wolken jugendlicher Melancholie lagern, sang der Dichter noch über die trauervolle Schönheit dieser Erde, über die verschwiegene Tragik einer scheuen verträumten Erotik, über die schmerzhafte Nichtigkeit einer ungelebten jugend, tiber die dunkeln Geheimnisse der Vererbung und der Rasseneinheit in entzückend musikalischen und dabei verschwenderisch farbenreichen Versen. Aber schon in seiner zweiten Sammlung, dem prächtigen Übergangsbuche »Die Morgendämmerung im Westen< (1896), verläfst Bfezina die analytische Stimmungslyrik, ja, das diesseitige Bereich der individuellen Erlebnisse, der irdischen Existenz, um sich ausschliefslieh der metaphysischen Konzeption, - 366 - dem mystischen Symbolismus, der synthetischen Kunst zuzuwenden. Von den riesenhaften Adlersflügeln der dichterischen Vision getragen, von dem mystischen Windeswirbel der Ekstase getrieben, stürzt der Dichter zu dem kosmischen Mittelpunkt des Weltalls. Doch seine streng wissenschaftliche Erkenntnis und seine einwandfreie konstruktive Logik läCst ihn bei seinem schwindeligen Fluge in die luftigen Gegenden der Abstraktion das Gleichgewicht nicht verlieren, so daCs es Bfezina bereits gelungen ist, ein neues ganz gesetzmäCsiges System der Mystik zu schaffen, welches der exakten Denkart und dem leidenschaftlichen Pulsschlag der modernen Zeit durchaus entspricht. In dieser Mystik, die neben dem Neuplatonismus und der christlichen Geheimlehre auch naturwissenschaftliche, der positiven Forschung entnommene Ideenelemente mit einem Maeterlinckschen Gedankenpathos verarbeitet, kehrt ein grandioser Gedanke immer wieder: das gesamte Weltall ist in endloser Evolution, ist in ewiger Entwicklung begriffen, an der alles Denken und Geschehen, sämtliche Individuen und Völker, Pflanzen uud Tiere, Bergmassen und Gewässer mitarbeiten müssen, und die zum mystischen Urprinzip, zum geheimnisvollen göttlichen Willen hingravitiert. Diese mit groCser Mannigfaltigkeit variierte und paraphrasierte Idee ist bei Bfezina jedoch kein lebloses philosophisches Schema, keine trockene Abstraktion, er verleiht ihr eine wundervolle poetische Schönheit, eine hohepriesterliche Weihe, einen berückenden künstlerischen Zauber. Auf BI'ezinas erwähnte Sammlungen folgen noch ~Die Passatwinde« (1897), ~Die Tempelerbauen (1899) und ~Hände( (1901); von Buch zu Buch wird seine Verskunst kraftvoller und satter; grofsartige Farbenvisionen und symphonische Rhythmengebilde strömen von Licht, Leben und Freude über; kühne, ganz eigenartige Metaphern gewinnen immer mehr an Schönheit, Plastik und innerer Bedeutung, so dafs sie gleichzeitig die Sinne bezaubern und den Gedankenflug fördern; immer enger schlieCst sich Bfezinas prophetenhafter und litterarischer Stil, den ich mit dem erhabenen Pathos eines Stephan George vergleichen möchte, an seinen philosophischen Gedankengang, an seine ideelle Konstruktion an. Der Dichter hebt in transzendenter Synthese die Widersprüche und Antithesen des menschlichen Daseins auf; über das soziale Elend triumphiert sein unerschütterlicher Glaube an die 367 allmähliche moralische Entwicklung der Menschheit; die Schmerzen und Sünden des Individuums gehen in der kosmischen Harmonie auf. Nur wenige Leser können ihm in die mystischen Sphären folgen, wo es keine Leidenschaft, kein Lachen, kein Weinen gibt, und so steht Bfezina, ein menschenscheuer, in einem weltverlorenen mährischen Städtchen lebender Einsiedler, in der cechischen Poesie ganz vereinsamt da; nur einzelne junge Dichter, die ihn geradezu vergöttern und jeder seiner Offenbarungen über Kunst und Leben andächtig lauschen, haben von ihm tiefgreifende Ant-egungen empfangen. Die beiden befreundeten Illusionisten Otokar Theer und Jan z Wojkowicz, die sich ähnlich wie Bfezina von der Wirklichkeit zu philosophischen Träumen abwenden, verbinden in ihren formvollendeten lyrischen Gedichten eine ungemein feine Sensibilität mit einem nach Weltgeheimnissen lechzenden Intellekt. Otakar T h e e r (geb. 1880) ist der entschieden kräftigere von beiden ; in seiner grausam wollüstigen Seele sehnt er sich nach kühnen Experimenten mit Ideen, Sensationen und raffinierten Erlebnissen und gelangt nach all diesen, manchmal recht schme.rzvollen )Heerfahrten nach dem Ich« (1900), deren Erlebnisse er mit südlich üppiger Farbenpracht und sehr origineller Verskunst beschrieben hat, endlich zu der düsteren, gespensterhaften Burg der ewigen Illusion. Sein Freund Ja n z Wo j k 0 w i c z (geb. 1880), ein knabenhafter, mimosenartiger und schmachtender Melancholiker, der besonders die reichen Halbtöne und die 'zarten Nuancen der Frühlingslandschaft und der Herbstnatur zu treffen weifs, hat sich, in den Spuren des ihm wahlverwandten Novalis wandelnd, eine ganz seltsame pantheistische Kosmologie, eine naive und zugleich doktrinäre Metaphysik geschaffen, die besonders in seinen melodischen )Meditationen» (1905) an den Tag tritt. Diese Epigonen Btezinas sind nicht weit entfernt von der scharf ausgeprägten Dichtergruppe der cechischen Dekadenten, welche sich um die )Moderne Revue« schart, von dem herausfordernd exotischen Kritiker und geschmackvollen Übersetzer Arnost Prochazka (geb. 1869) im Jahre 1894 gegründet. Ihr typischer Vertreter ist der bereits als Kritiker erwähnte Dichter Jiti Karasek ze Lvovic, der, eigenartig und kühn in seiner Vers- und Prosa lyrik , die reichen Anregun~en von Baudelaire und Verlaine, Huysmanns und Maeterlinck, Przybyszewski und 368 - Wilde, den Lieblingen der cechischen Dekadenten, verarbeitet hat. Jifi Karasek ze L vovic, der stolze Sprosse eines altertümlichen, jedoch verschollenen böhmischen Adelsgeschlechtes , treibt das Paradoxe der poetischen Dekadence und des unzeitgemälsen Aristokratismus bis auf die Spitze. In seiner Frühzeit wollte er die dunkelsten Abgründe des Lebens erforschen, wo Verfall und Vernichtung gähnen; wollte aus allen giftigen Bechern der Sinneslust , von der Krankheit und dem Tode gemischt, gierig trinken; wollte an dem gespensterhaften Karneval perverser und absurder Erotik teilnehmen; wollte den Genuls bis zu der Grenze des verachtenden Ekels ergründen. In seinen 1> Unterhaltungen mit dem TodeSexus necansSodomaAbsurdes Lieben« (1905) bietet Karasek in fast orientalischen Farben und dumpf sinnlicher Sprache eine perverse Erotik, die absichtlich mit der Idee des Sadismus und der Knabenliebe spielt und das Verhältnis zwischen Mann und Weib als ein grausames Drama der gegenseitigen Verachtung und Verabscheuung darstellt. In der letzten Zeit vertieft Karasek sein Grundthema und lälst seine dekadenten, entnervten Helden, die oft suggestiv in die elegische Umgebung Alt-Prags hineingepalst sind, nicht nur an eitler Sinneslust und bitter schmeckendem Genusse, sondern vielmehr am Scheitern ihrer illusionistischen Träume, ihrer spätromanischen Ideen in einem konsequenten Nihilismus zugrundegehen. Einer der jungen Nachfolger Karaseks, der feine Lyriker Karel Hlavacek (1872-1898), setzte diese absurden Grundsätze der Cechischen Dekadence in Wirklichkeit um. Nachdem er dekadente Stimmungen und aristokratische Neigungen, die für diesen armen Arbeitersohn aus dem Prager Proletarierviertel nur angelernte Allüren sein konnten, in fast lückenloser Vollständig~ keit in einem dünnen Gedichtheftchen klargelegt hatte, traten Krankheit und Tod in schrecklicher Gestalt an ihn heran und zwangen ihn, seine aparte poetische Maske wegzuwerfen. So besingt der - 369 - verhungernde, schwindsüchtige Poet aufrichtig und wahrhaftig die gespensterhaften Greuel des herannahenden Todes, der absoluten Vernichtung in seiner »Rachsüchtigen Kantiläne~ (1897), wo er die balladische Einkleidung eines verzweifelt kämpfenden Geusen aus dem 17. Jahrhundert mit holzschnittartiger Originalität k(;msequent durchführt. Der bittere Ironiker und spöttische Satiriker Vi k tor D y k (geb. 1877) rechnet sich selbst zu der Gruppe der rechischen Dekadenten, obzwar" er den schroffsten Gegensatz zu dem hymnischen Symbolismus eines Btezina oder zu der krankhaften Gothik eines Karasek bildet. Dyks lyrisches Erstlingswerk ist ein unverhülltes, äuiserst aufrichtiges Bekenntnisbuch einer bis in ihre Wurzeln vergifteten ,modernen Seele, welche vor ihren eigenen dunkeln Instinkten, bösen Zweifeln, dämonischen Neigungen erschreckt. Dann offenbarte Dyk in seinen besten lyrischen Sammlungen ~Die Lebenskraft« (1898) und »Eitles Streben« (1900) einen ganz eigentümlichen Zwiespalt seiner Natur, in der konsequenten Ironie seines inneren \Vesens begründet. Er kann nicht lieben, noch leiden, nicht sich sehnen noch träumen, nicht anbeten noch trauern, ohne gleichzeitig sich selbst genau und scharf zu beobachten, zu zerwühlen, zu zersetzen und zu verachten. Bei jeder Gefühlsregung, bei jeder Stimmungsschwingung , bei jeder Sinnesseligkeit und jedem Liebestraum meldet sich bei Dyk der alte Mephistopheles mit seinem eisigen Lächeln, seinem trockenen Spotte, seinen sarkastischen Anmerkungen, seinen spitzen, epigrammatischen Pointen. Durch diesen interessaqten psychologischen Prozefs, in welchem sich der Dichter selbst aufreibt, wird dem Leser ein tiefer Pessimismus, ein verzweifelter Agnostizismus enthüllt. Dieser führt jedoch Dyk nicht zu müdem LebensüberdruIs, sondern stürzt den Poeten vielmehr noch tiefer in den wildesten Strudel des öffentlichen Lebens, in die ewige Tragikomödie der Menschheit; häufig findet er Gelegenheit, manche unbequeme Wahrheit zu sagen, mit litterarischer und politischer Satire aufzustacheln. Was in Dyks Lyrik rein persönliche und intime Ironie war, das wird zur sozialen und politischen Kritik in seinen beiden grofsen Zeitromanen aus der Geschichte der neunziger Jahre »Hackenschmieds Ende« (1905) und »Dezember« (1907), die bei aB ihren Jakubec·Novik, Cecbilcbe Litteratur. 24 - 370 - interessanten psychologischen Einzelheiten arg unt~r ihrer journalistischen Chronikform zu leiden haben. - Es hat eine geraume Zeit gebraucht, bevor sich auch die ~echische belfetristische Prosa zu einer ähnlichen künstlerischen Höhe, wie sie die neue Lyrik unter Machar, Sova und Bfezina erreicht hatte, erhoben hat, ja in der stürmischen Periode der neuböhmischen Litteraturbewegung der neunziger Jahre trug es die Kritik schmerzlich, dafs die von ihr beschützte und propagierte Gruppe der jungen SchriftsteÜer kein ebenbürtiges prosaisches Talent aufzuweisen hatte. Mit der teils ganz äufserlichen, teils psychologisch unbeholfenen realistischen Romantechnik , wie sie die von der russischen Litteratur beeinflufsten Schriftsteller der achtziger Jahre ausgearbeitet haben, wollte sich die neue Generation nicht begnügen, utld da sie auch an keine älteren einheimischen Vorbilder anknüpfen wollte, suchte sie abermals ihre Anregungen im Ausland. Der russische Gesellschaftsroman wirkte zwar noch immer tief und heilsam, aber bald wurde er durch den nachhaltigen Einflufs des französischen Realismus und Naturalismus verdrängt. Die kosmopolitische Schule der siebziger und achtziger Jahre hat es versäumt, die grofsen Romandichter der französischen Litteratur wie Balzac, Stendhal und Flaubert in das ~echische Schrifttum einzufUhren. Noch jetzt, dicht vor der Jahrhundertwende, erschien die grandiose Gesellschaftmalerei eines Balzac, die kalt analytische Romanpsychologie eines Stendhal, die unpersönliche realistische Epik eines Flaubert, welche erst jetzt übersetzt wurden, als litterarische Neuheiten. Dagegen verdrängte bei den kühnsten Neuerern der vorlaute Naturalismus der Zolaschen Schule mit all ihren psychologischen Unvollkommenheiten, stilistischen Geschmacklosigkeiten, plebejischen Manieren diese drei Klassiker des französischen Romans, für welche besonders der umsichtige Kritiker F. X. Salda systematisch geworben hatte. Zola selbst, der bei den patriotischen Litteraten der alten Schule in Böhmen verfehmt und verachtet war, hat in der neuen cechischen Prosa tiefe Spuren hinterlassen: es sind dies der Hang zur breiten hymnusartigen Beschreibung, die ausführliche Milieuschilderung, das sensualistische Pathos in der Darstellung der seelischen Vorgänge. Die weit feineren naturalistischen Künstler traten dagegen in den Hintergrund; weder die nervösen Impressionisten - 371 - Edmond und Jules de Goncourt, noch der ironische Meister der kurzen Erzählung Maupassanthaben Schüler in der neuböhmischen Litteratur gefunden, obgleich sie allefdings flei.csig gelesen und übersetzt wurden. Zum französischen gesellt sich auch der skandjnavische Einflufs, der nach Böhmen über Deutschland gekommen war; die nordische Prosa in Böhmen hatte übrigens mehr Glück als das nordische Theater mit lbsen an der Spitze. Im Jahre 1890 wurde eine vorzügliche Sammlung unter dem nicht ganz zutreffenden Namen )Bildungsbibliothekc: gegründet, die neben französischen und englischen philosophischen Werken auch moderne skandinavische Belletrie brachte; diese fand in dem rührigen Hugo Kosterka ihren fleiIsigen un'd liebevollen Vermittler. So lernten die cechischen Schriftsteller die scharfe Gesellschaftskritik eines Kielland , den naturphilosollhischen Trotz eines Strindberg, den schonungslosen, beinahe brutalen Impressionismus eines Garborg, die dämonische Psychologie des grofsen Lyrikers Hamsun, den feinen, zaubervollen Intimismus Jakobsens kennen. Die nordischen, in Böhmen mit einer allgemeinen Begeisterung begrüfsten Lehrmeister boten manches, was man bei den französischen Naturalisten schmerzlich vermHst hatte: komplizierte Psychologie, scharf angreifende gesellschaftliche Kritik, liebevolles, ja mystisches Versinken in das geheime Naturweben, intimen poetischen Stil. Besonders Jakobsens Einflufs hat trotz der äufserst mangelhaften Übersetzungen tiefe Spuren ~graben; noch heute liebt man es, in stimmungsvoller Kleinmalerei melancholische, krankhaft sensible Träumerseelen darzustellen, wie sie die schmerzhafte Tragik des Desillusionismus erleben. Als begeisterter Vorkämpfer des russischen Realismus und des französischen Naturalismus hat sich der temperamentvolle Vilem MrHik (geb. 1863), der seinerzeit als ein enfant terrible der jungböhmischen Litteratur galt, einen Ruf erworben; seinen bedenklichen Mangel an Geschmack und an selbständigen Gedanken hat man bei seinem ersten leidenschaftlichen Auftreten übersehen. Vilem Mrstik ist ein entschiedenes Maleringenium ; sein gelungenstes Werk bleiben seine »Bildchenc: (1894), farbensatte, stimmungsvolle Landschaftsportraits und Naturschilderungen aus Südmähren, die eben durch das Verzichten auf jede Handlung einheitlich und lebendig wirken. Auch in seinen beiden grofsen 24* - 372 - Romanen, in welchen er sich als kundiger Psychologe der jugendtrunkenen, kraftüberströmenden Seele zeigt, bietet Mrstik auf dem oben erwähnten Gebiete sein Bestes. Immer bleibt er ein treuer Zolaschüler: in seinem duftigen >Maimärchen« (1897), dem etwas faden Liebesidyll eines mährischen Studenten, besingt er in farbenreicher Prosa die blühenden, rauschenden mährischen Forste ähnlich wie sein Meister die üppige Gartennatur von Paradou in seinem »Abbe Mouret«. In dem schmerzvollen, beinahe tragischen Studentenroman >Santa Lucia« (1893), in welchem die Handlung ganz hinter die grofsstädtische Milieuschilderung, hinter die hymnische Beschreibung des altertümlichen Prag zurücktritt, nähert sich Mrstik den berühmten Zolaschen Pariser Stadtbildern. Wo sich Mrstik von dieser ganz unepischen Manier zugunsten einer lebhaften Handlung und einer individuellen Charakteristik losmachen will, scheitert er gänzlich.. Auch begrüfste man seine litterarischen Anfänge mit allzu kühnen Erwartungen, als dafs er sie mit seiner etwas einseitigen Begabung hätte erfüllen können. Die Synthese der breiten naturalistischen Beschreibungsmanier, welche ein endloses Verzeichnis aller Naturschönheiten einer bestimmten Gegend gibt, wie es Vilem Mrstik liebt, und der schwerfällig materialistischen psychologischen Analyse in der Art von M. A. Simacek bietet der mährische Separatist J 0 s e f Me r hau t (1863-1907) in seinen umfangreichen Romanen, >Die Engelsonatee (1899) und >Vranov« (1906), welche alle Mängel der naturalistischen Romankunst und des bösen, phrasenhaften Journalstils aufweisen; viel besser und natürlicher sind Merhauts düstere, pessimistisch untermalte Bilder aus dem Brünner Grofsstadtleben, besonders diejenigen, die der. Sammelband >Schwarze Felder« (1897) vereinigt. Ein äufserst origineller Naturalist ist der pessimistische Visionär Josef K. Slejhar (geb. 1864), der etwa Dostojevskij mit Huysmanns verbindet, allerdings ohne die geniale Psychologie des ersten und ohne die raffinierte Kultur des anderen. Endloses Mitleid ist bei diesem abstrusen Barbaren mit der tiefsten Verachtung gepaart. Mit mitleidiger Liebe umfafst er alle leidenden Wesen, geqUälte Tiere wie verhungernde Vagabunden, sterbende Pferde wie kranke Kinder, verzweifelte Fabrikarbeiter wie verblutende Wöchnerinnen. Doch derselbe Dichter schleudert - 373 - der lei~enschaftlich gehalsten Gesellschaft die wildesten Vorwürfe ins Gesicht, er verabscheut die reichen Fabrikanten, die vermögenden . Bauern , die in ihrer bequemen Ordnung glücklichen Bürger, die liebesseligen Eheleute; die moderne kapitalistische Gesellschaft erscheint ihm als eine grälsliche alttestamentarische Vision von Laster, Elend, Abscheu und Niederträchtigkeit. Wo er kleine Naturskizzen oder kürzere Erzählungen bietet - die gelungensten sind in den Sammlungen »Eindrücke au~ Natur und Gesellschaft« (1894) und »Stillebenc (1898) vereinigt, und in einer guten deutschen Auswahl »Erzählungen und Skizzen« (1907) von Zd. Hostinska zugänglich - erschüttert er seine Leser durch stürmische Kraft; dagegen wirken seine formlosen ermüdenden Romane, welche gewöhnlich eine ganz spärliche Alltagshandlung auf mehreren hundert Seiten unglaublich schleppend erzählen und sie mit nichtssagenden Episoden und überfüllten Milieuschilderungen unterbrechen, nur abschreckend und abstolsend; das gilt besonders von seiner ganz unverdaulichen »Hölle« (1905), einem halb mystischen, halb naturalistischen Fabrikromane. N ur in ihren künstlerischen Anfängen hing Frau R 11 zen a Svobodova (geb. 1868) mit dem Naturalismus zusammen. Mit ungemein scharfer, sich bis in das Mark der Dinge verbohrender Beobachtungskunst studierte sie die erbärmliche, nichtige Alltäglichkeit, welche sie dann oft in verzerrender Karikatur und satirischer Groteske wiederzugeben liebte. Mit einer der naturalistischen Schule eigenen Gründlichkeit, einer geradezu wissenschaftlichen Genauigkeit erwarb sie tiefe Kenntnis der verschiedenen Gesellschaftsmilieus und Lebenskreise , in denen si~ ihre Erzählungen sich abspielen liefs. Es verrät den seltenen Mut der naturalistischen Sozialkritiker , dals sie sich mit den verschiedensten moralischen Gebrechen. mit angefaulten Institutionen, schlimmen Lebenslügen ihrer Umgebung bekannt gemacht hat. Doch mit dieser naturalistischen Methode gewann sie nur den Hintergrund für ihre ersten Bücher, von denen wenigstens ihr Erstlingswerk, der Roman »Zerschellte (1896), und die feine psychologische Porträtstudie »Die überschwere Ähre« (1896) Erwähnung verdienen. Das psychologische Hauptthema dieser nervösen, krankhaft empfindsamen Bücher bildet die fast typische Lebenstragik des neuen Weibes: ein feines, in den er- 374 - lesensten Träumen und in der zartesten Sehnsucht lebendes Frauenwesen , das jedoch über seine eigentliche Schicksalsbestimmung, über seine Lebensaufgabe im unklaren bleibt, scheitert an der trostlosen Wirklichkeit, an den rohen Tatsachen, an der bindenden Macht der niedrigen Lebensverhältnisse. Etwas Lyrisches, ja man kann vielleicht sagen Autobiographisches ist diesen Büchern eigen; die Autorin identifiziert sich ganz entschieden mit den so unbarmherzig geknickten Frauenseelen, deren Leiden und Lieben, Sehnen und Fühlen sie in begeisterter, verschwenderischer Pracht der Sprache schildert, was einen ganz eigentümlichen, manchmal befremdenden Gegensatz zu der ironisch persiflierenden Wiedergabe der Realität bildet. . Aber schon in ihrem dritten Romane > Verwirrte Fäden~ (1900) zeigt sich ein innerer Ausgleich, eine künstlerische Klärung. Was bisher rein persönliches Erlebnis war, wird hier zum typischen Schicksale; das grausame Spiel des Zufalls wird nun zu einer gesetzmäIsigen Notwendigkeit; die Dichterjn zeigt zwar noch immer, wie das komplizierte innere Wesen des Weibes in der stillosen, alltäglichen Existenz zugrunde geht, aber dieser Weg des Schmerzes ist nun zugleich ein Weg zur inneren Vervollkommnung, zum höheren Lebensstil. In die Romane und Erzählungen der Frau Svobodova »Liebchen« (Roman 1901), »Auf den Pfaden des Herzens« (Erzählungen 1902), »Flammen und Flämmchen« (Erzählungen 1905) treten von nun an neben die Liebe, die als ein veredelnder, verklärender Faktor geschildert wird, auch neue Lebensmächte : das erhabene Heldentum des Schönheitskultus, der kühne Heroismus der Persönlichkeit, das stolze Bewufstsein der Pflicht gegen die Menschheit. Nicht immer erklingen bei ihr diese siegreichen Töne; manchmal, so in ihrer letzten Sammlung von Erzählungen »Vergebenes Lieben« (1907), zeigt sie auch die Kehrseite der moderne Liebe, ihren verbitterten Pessimismus, ihre verzweifelte Ironie, ihre tiefe Verachtung; ein wehmütiger Mystizismus der ewigen Vernichtung lagert wie eine dUstere Wolke über ihren letzten Arbeiten. Auch als Künstlerin hat sich Frau Svobodova von ihrer ersten Phase ungemein weit entfernt; diese Entfernung bedeutet zugleich ein allmähliches Reifen. In ihrer letzten Schaffensperiode stilisiert Ruzena Svobodova, der grofsen deutschen Dichterin Ricarda Huch nicht unähnlich, ihre Erzählungen gern als - 375 - Märchen oder modeme Legenden; dabei wird sie von ihrer ästhetischen Vorliebe für schöne und ausgesuchte Kunstgegenstände, von ihrem feingebildeten Verständnis fUr die bildende Kunst, von ihrer Neigung zur exotischen Eleganz unterstützt. In dieser kunstvollen Isolierung, in dieser abkürzenden Zeichnungsmethode ist der rohe, tatsächliche Naturalismus überwunden, in welchem der rohe Stoff sein Recht dem Dichter gegenüber behauptet. Ihre Stilmethode zeigt der cechischen Prosa unleugbar neue Bahnen. Die Zeit ist wahrscheinlich nicht fern, wo man ihre Nachahmer als eine förmliche Schule von Prosaikern bezeichnen wird. Von den Schriftstellern, w~lche diese oder jene Seite ihrer KU,nst erfassen oder nachbilden, seien hier nur zwei genannt: der elegante Impressionist Karel Sezima (geb, 1876), der sich in seinem aparten Romane :tPassiflora« (1904) als kundiger Psychologe der labilen Frauenseele gezeigt hat und dann die ehemalige Liederdichterin aus der Heydukschen Schule R 11 ~ e n a Je sen s k a (geb. 1863), welche in ihren späteren Arbeiten, vornehmlich in dem sinnigen :tRomane eines Kindes« (1906), an die Liebesmystik von Rdzena Svobodova anknüpft. Die Kritiker, die Lyriker, die Prosaiker, welche hier zuletzt in rasch folgender Übersicht vorgeführt und gedeutet wurden, sind wohl nicht nur als repräsentative Vertreter der heutigen l!echischen Litteratur, sondern auch als Sprecher der cechischen Wortkunst von Morgen aufzufassen. In ihrem Lebenswerke, wenn auch dasselbe noch nicht abgeschlossen ist, leben die bedeutendsten Ideen wieder auf, die seit Neruda und Hälek die modeme cechische Litteratu.r beherrschen, und so wird die neueste ~echische Litteratur zu dem abgekürzten Ebenbilde des Geisteslebens der letzten fünfzig Jahre. Ein einsichtiger Kosmopolitismus, der mit dem westeuropäischen Schrifttum nie die Fühlung verlor, verbindet sich hier mit einem warmen, ja leidenschaftlichen Interesse für die nationale Eigenart; fremde Einflüsse berühren sich mit dem angstvollen Bestreben das einheimische, ursprüngliche Gepräge zu wahren; Kritiker, Philosophen, Litteraten studieren die geschichtlichen Bedingungen des nationalen Lebens, um an der nationalen 376 - Zukunft desto zielbewufster und planmäfsiger arbeiten zu können; alte, gute litterarische Tradition bildet stets den Gegenstand kritischer und wissenschaftlicher Untersuchung, ohne jedoch als entmutigende Last empfunden zu werden. In diese,rn höheren Sinne ist das moderne cechische Schrifttum, das noch immer unbeachtet vor dem Tore der Weltlitteratur steht, eine ausgeprägt nationale Litteratur. Von dem Augenblicke an, wo das litterarische Europa geneigt sein wird, sich auch für die zwischen dem Riesengebirge, dem Böhmerwalde und dem Tatragebirge entstandene Litteratur zu interessieren, wird es bald einsehen und anerkennen, dafs die besten cechischen Dichter nur so weit kosmopolitisch sind, um auch im Auslande zugänglich und verständlich zu sein, aber dabei insofern national, um den fremden Lesern auch etwas Eigenes, Selbständiges, Urwüchsiges bieten zu können. Namenregister. Adämek, B. 325. Adelung 112. Adler 318. Aeneas Sylvius 51, 67. Aischylos 2:!0. Akron Albin 70. Alan 24. Albert 2.tO, 273, 295, 296, 318. Albertus Bohemus 8. Albertus Magnus 30. Alexis, G. 281. Andersen 298, 324. Andreae 94. Anonymus 23. Arbes 337 f. Ariosto 316. Aristophanes 139, 220. Arndt 152. Auerbach 246, 281. Augier 286, 287. Augusta 72 f., 80. Augustin 30, 174. Bacon von Verulam 97. Bajza 130. Balbin lOOf., 110, 117, 118, 120. Balzac 345, 370. Bartos, Fr. 329 f. Banville 315, 316, 320. Basedow 104. Baudelaire 311, 315, 323, 367. Bauer 281. Bavorovsky 74. Beckovsky 101. BiHinskij 341, 351. Benedikti von Nudozerin 94. Benes von Hofovice 38. Beranger 261, 278. Bernard 30. Bernoläk 130, 223. Bezru~ 360. Bidpaj 70. Bilejovsky 73. Bilek, J. 72. Bittnerovä 346. Björnson 344, 354. Blahoslav 78ff. Blumauer 127 Bodinus 95. Bodmer 136. Bolzano 170 f., 182, 243. Bonaventura, 8,!,. 27, 30. Boos-Waldeck .:519, 361. Borecky 323, 324. Börne 271. Botto 227, 228. Bourget 346. Bozdikh 287 f., 289. Brandt 70 Brauner 237 Brentano,Klemens3, 144,145,189. Brentano, Bettina 145, 244. Bret·Harte 263. Bfezan 84. Bfezina, üt. 365 H., 369, 370. BroZik 294. Büdinger 151. Budovec von Budov 85 f. Bürger 136, 195. Byron 138, 140, 157, 213, 216, 218, 219, 225, 234, 261, 263, 264, 265, 276, 277, 283, 289, 293, 296, 317. Calderon 220, 317. Camoens 317. Cannizzaro 316. Carducci 316. Carlyle 354, 357 Celtes 35. Chalupka 227. Chateaubriand 136, 145, 149, 154. Chaucer 34. Chel~icky 56 H., 64, 171, 213. Chmelensky 177. Chocholousek 208ff., 211, 292. Chretien de Ttoies 12. Comenius siehe KomenskY. 378 - Comte 353. Coppee 363. Cornova 91, 110. Czajkowski 228, 229. Cech Sv. 212, 266, 267, 275, 276, '" 278, 292 ff., 307, 308, 351. l.iejka 245, 249, 279. Celakovskj 140, 166 168, 170, 171 H., 191, 192, 203, 205, 210, 214, 21~, 220, 221, 232, 234, ",244,247,254,267,298,299,310. uermäk 292. Cernfnovä 87. Cerny 76. Cervenka 79. Dai!ickY 78, 87. Dalimil 14 ff., 17, 117, 122, 170. Dante 316. Darwin 309. Daudet 350. David der Barfüfsler 30. Dobner 74, l06f., 110, 113. Dobrovskj 109 ff., 119. 121, 126, 127,135,140,141,'143,146, 150, 151, 155, 164, 166, 183, I 184, 218, 334. Dolezal 131. Dörf1264. Dostojevskij 341, 342,354,362,372. Dubravius 35. Dumas der Jüng. 287. Durdik, Tos. 288f., 309. 350. Durdik, l>aul 341. Durych 110, 120, 155, 166. Dvohtk, Ant. 325. Dvoräk, X., 323 f. Dyk 369f. Ebert, K. E. 3, 184, 189, 203. Ew.dy 354. Etlhard von Oberge 21. Emerson 356, 357. Erasmus von Rotterdam 67, 69. Erben 191 f., 227, 244, 247, 254, 261, 264, 267, 270, 291, 328. Ernst von Pardubice 19, 27, 28. Fejfalik 151. Fenelon 128. Fibich 310, 325, 326. Filfpek 211. Flaubert 303, 345, 356, 370. Florian, de 128. Fouque 145. Franz, Probst von Prag 17. I Fredro 199. I Freher 106. Freiligrath 241, 277. I Frii! 239, 244, 262, 287. Friedrich von Sunburg 11. Fulda 112. Fux-Jelenskj 298, 361. Garborg 371. Gautier (Gualter) de Chatillon 13. Gebauer 151,330,350,351, 352f. GelIert 136. George, St. 366. Gerson, J oh. 48. Gervinus 220. Gefsner 128, 179. Gleim 127, 136. Goethe 105, 115, 116, 137, 140, 145, 147, 154, 159, 161, 171, 172, 174, 175, 177, 179, 181, 184, 185, 193, 195, 201, 277, 298, 317, 351. Gogol 232, 340, 351. Goll 151, 308, 309, 350, 353. Goncourt 371. Gontscharow 340, 341. Gottfried von Strafsburg 12, 21. GottheIf 246, 330. Gray 136. Gregorius 30. Gregorovius 300. Gregory 294. Gregr 270. Grillparzer 3, 189,201, 202, 205. Grimm 114, 115, 192, 220, 352. Grün, Edm. 318. Grünberger Handschrift 2, 146, 148 f., 349. Günther 277. Gzel 80. Hagedorn 136. Ha~emann 122. Hä)ek von HodHin 66. Häjek von Liboi!any 7Sf., 101,106, 107, 122, 124, 143, 144, 149, 198, 205. Häjek Tadeas 76. Hajnis 211. Hälek 209, 261 H., 269, 270, 273, 274, 275, 276, 278, 279, 283, 286, 287, 288, 289, 293, 305, 308, 327, 340, 375. Hamerling 295, 317. Hamsun 371. Hanka 143, 146 i., 149, 150, 166, 172, 179. 187, 241. Hanke 117. Hanus, J. Ig. 243. Harant 8ö 86. Harmuth-Loukota 313. HartmannJ Mor. 189, 190, 241. Hattala 300. Havlasa 298. Havlirek 179, 206, 214, 230ff.. 244, 255, 260, 298, 340, 355. Hebbel 284. Hegel 220, 222, 243, 305. Heine 219, 228, 232, 261, 263, 264, 265, 266, 274, 359) 360. Heinrich von Freiberg 12, 21. Heinrich von Neuenstadt 24. Heller, Servo 308. Hensler 122, 123. Herbart 289, 309. Herben 331. , Herder 2, 3, 105, 136, 137, 145, 146, 148, 154, 155", 157, 158, 164,172",174,178, 1~3,195,220. Herites 3,j9. Herlossohn 208. Hernnann, Ifnat 339 f. Herwegh 24 . Heyduk 275 ff., 305, 375. Hieronymus von Prag 48, 52, 53. Hilarius von Leitmeritz 61. Hilbert 348. Hladfk 344 f., 348. Hlavarek 368 f. Hlävka 350. Hn~vkovsky 127f., 141. Hodi!jovsky 70 f. Hoffmann von Fallersleben 227. Holel!ek 209, 335 f. Hollar 100. Holly 130, 162 f., 221, 223, 306. Hölty 171. Hölzer, A. 273. Homer 163. Hormayer 115, 150. Horn 'Uffo 189, 202. Hostinskä, Zd. 373. Hostinskj 308, 309 f., 350. Hruby, Jaromfr 341. Hruby, Rehor 69. Hruby" Zikm. 69. Huch ;:574. Hugo a St. Victore 30. Hugo, V. 261,31(>,316,317,319, 320,323. Humboldt, A. 184. Humboldt, W. 154. Hume 104, 353. Hurban, ]. M. 224, 230. Hurban Vajansky 305 f. Ius 42ff., 51, 59)... 65, 75, 81, 88, 171, 196, 213, ~94. hysmans 367, 372. IVlezdoslav 305, 306. Ibsen 346, 348, 371. Ickelsamer 80. Iffland 122, 203. Illovj 240. Jablonskj 182. J acobus de V oragine 12, 27. ]affet 79. ]agic 115. lahn, L. 139, 152, 183. Jakob de Cessolis 30. Jakobsen 361, 363, 371. Jakubek von Mies 49, 52, 55, 60, 61. Jan von Rabstejn 67. Jaroslav, Edelknappe 62. Jerabek, Fr. 287, 288. ]esenska 375. ]iräsek 295, 301 ff., 307, 335, 347, 348. ]irel!ek, J. 300. ]ohann von Neumarkt 67., Johann von Vlasim 19. lost von Rosenberg 62. ]ungmann 129, 134ff., 155, 156, 167 L, 183, 184, 185, 186, 187, 190, 218. i ]urenka 282. I KadlinskY 100. Kaiz1350. KalinM.k 228 f. Kalvin 59, 73. Kamaryt 173, 177. Kant 105, 183. Kantor 79. Kapper 209, 216. Karamzin 149. Karäsek, Jiff 358 L, 367 L, 369. Kad IV., 18 H. Karpinski 127. Kassner, R. 366. Keller, G. 241, 272. Key 284. Kielland 371. Kinskj 117. Kir~jevskij 296. Klacel 222, 243. Klastersky 363. Klaudyan 76 Kleist, Ew. Chr. 137. - 380 - Kleist, H. 347. Klicpera 198 ff. , 201, 202, 203, 205, 210. Klopstock 136, 137, 140, 145. Klostermann 332 f. Kniaznin 127. Kocin 83. Kolar, Fr. 286. Kolar, J. J. 286, 287. Kolcov 298. Koldin 74. Kolinskt 71. Kollar 139, 140, 151 H., 164, 168, 170, 171, 178, 181, 182, 183, 190, 218, 221, 223, 226, 231, 234, 244, 259, 296, 305. Komensky (Comel,1ius) 92 H., 102, 116, 170, 187, 213. KonM 69,77. KoniäS 99. Königinhofer Handschrift 3, 146, 147 f., 349. Konstahtin (Cyrill) 3, 4, 5. Kopitar 114, J15, 145, 146, 151. Koranda der A. 56. Koranda der J. 61. Kosmas 5, 7, 17. Kosmak 330. Kossuth 229. Kosterka 371. Kotzebue 122, 169, 199, 203. Koubek 234 f., 244. Koutek 297. Krabice 19. Kral, J anko 227 f., 306. Kral. Jos. 350. Kramerius 125 f., 129, 131, 135. Krasicki 127. Krasnohorska 209, 292, 298 f. Krasonicky 65. Krej~i, Fr. V. 357 f. Kiist'an von Prachatice 76. Kubani 305. Kuku~in 305, 306. Kuthen 73. K vapil, J. 323, 324. K vapilova, H. 346. Kvi~la 350. Labiche 287. Lachmann 146, 220. Lafontaine 127. Laichter 343, 344. Langer 179f., 191, 210, 234. Lauterbeck 83. Leconte de Lisle 315, 316. Leger, K. 339. Leibniz 99, 131. Lenau 213, 219, 222, 234, 241, 261, 263, 265, 294. Leopardi 316, 318. Lepaf, B. 302. Lermontov 218, 232, 292. Lessing 105, 107, 178,231. Lier 345. Linda 150. Linde, S. B. 115, 156, 168. Lingg 317. Lobkovic, Bohuslav 67. I Lobkovic, J an 75. Lomnickv 77 Lorenz 288. Luden, H. 139, 153, 154, 183. Ludewig 106. Ludwig von Medlitz 11. Lukas 65ff.. 76. Luther 43,48, 71, 72, 73, 130, 152. Macha 177, 213 ff., 222, 228,231, 232, 234, 260, 261, 265, 293. Machä~ek 200, 201 f. Machar 351, 359 ff., 365, 370. Macpherson 145, 14i. Maeterlinck 366, 367. Ma1ybrock-Stieler 313. Mandeville 38. Manes, J. 254, 261, 291, 328. Marek, Ant. 137, 142, 1561 168. Marek, J. J. 206 ff, 210, 244. Marignola 19. Manni de Grationopoli 62. Marten 359. Martial 178, Masaryk 151,350,351, 353ff, 358, 360. Matllj von Janov 40, 51, 54, 58, 59, 213. Matthioli 76. Matthisson 171. Maupassant 371. Maxer, Rud. 277, 288, 289. Mel1hac 287. Meifsner, Alfr. 189i 190, 294. Meifsner, Aug. G. 04. Melanchthon 97. Melantrich 82. Mencken 106. Merhaut 372. Method 3,4 5 Meyer, K. F. 303, 317. Michel Angelo 316. Mickiewicz 158, 195, 219, 222, 223,229, 234, 317. Miklosich 352. Mikovec 48, 262, 287. MikuläS von Pilgram 56. 381 MililS 29, 32, 39, 40, 42. Milton 136. MiHnsky 66. Mommsen 365. Montesjuieu 104, 127. M08en, . 222. Mosig von Aehrenfels 166. Mosna 346. MrStik, Al. 331, 347. Mrstik, V 341, 347, 371 f. Müller, J. 72. Müller, K. 216. Münster, Seb. 75. Murko 152. Musäus 3. Nebeskj 219 f., 244, 245. Nejedlj, Jan 128 f., 132, 143, 178. Nejedly, V. 128. N~mcovä 242, 244, 245 ff., 260, 265, 279, 327, 328. Neplach 19. Neruda 261, 266ff., 278, 279, 283, 286, 287, 288, 293, 296, 308, 310, 327, 339, 340, 375. Nestor 196. Notker, Balbulus 9. Noväkovä, T. 335, 336 f. Novalis 214, 367 Ohnet 346. OndI'ej von Dubä 35. Optät 80. Ossian 145, 149, 154, 174. Ott, E. 350. Palacky 138 ff., 147, 151, 156, 183 ff., 190, 192, 202, 208, 218, 237, 238, 244, 290, 291, 294, 299, 300 352. PalkovilS 129, 131 f., 135, 143, 156, 223. Paprockj 83. Parini 316. Patera 115. Paul, Jean 154, 271. Pauliny T 6th 305. Pawikowski 272. Pelzel 85, 9~, 110, 12CHÖ 128, 188. Pesina von Cechorod 1 O. Peter d'Ailli 39, 48. Peter von Zittau 17. Petöfi 228, 261, 278. Petrarca 67, 140, 154, 155, 178. Petrus Lombardus 45. Pez, Hier. 106. Pfleger Moravskj 283f., 286,287, I' 288, 327, 338. Philomates 80. Picek 177. Pinkas 237. Pippich 348. Pisar Bartos 72. Piseckj 69. Platen 219, 222. Plautus 220. Pleier 21. Podlipskä 279, 284. Poe 317, 320. Poelitz 142. Pohl, W. 100, 111. Pokorny 305. Poläk 137f., 141, 171. Polo Marko 38. Pope 136. Potocki 164. Pravda 246 f., 265, 335. Prefät 75. Preissova 331, 347. Presl 142. ProchAzka, Arn. 367. Prochäzka, Fr. F. 107, 110, 119f. Prochäzka, Fr. S. 298, 299. Prokop der Grofse 55. Przybyszewski 367. Pseudokallisthenes 37. Puchmajer 126, 129, 133, 168,214. Pulkava 19. Puskin" 218, 223, 226, 232, 234, 283, 293. Quido de Columna 37. Quis 298. Raimund 203. Rais 333ff. Rakowiecki 164. Rambausek 216. Randa 350. Ranke 299, 369. Rankiiv (Ranconis) 19, 29, 32. Ratke (Ratichiusl 97. Raupach 201, 203. Reinmar von Zweter 11, 12. Renan 354. Rezek 350. Rhases 76. Rhesa 173. Richard a St. Victore 30. Rieger, Fr. 237, 290, 291. Riehl, W. H. 302. Rokycana 59 H., 64, 65. Rosenplut 79. Rottek 183, 236. Rousseau 105, 113, 154, 155, 157. 382 - Rubes 210 f., 244. Rückert 276. RuHk 118. Ruskin 357. Rvaoovsky 77. Rzewuski 229. Sabina 219; 222, 262, 338. Salicetti 76. Sand George 249, 279, 281. Sandei 74. Sardou 287. Saudek 343, 348. Schauer 354, 355 f., 360. Schefer, L. 182. Schikaneder 122, 123. Schiller 137, 139, 154),. 170, 183, 201, 286, 287, 295, ;:517. Schlat 363. Schlegel, W. und Fr. 145, 154,220. Schlegel, Dorothea und Karoline 244. Schlözer 113, 115. 164. Schulz 284. Scott, W. 174, 205, 207, 208, 278, 302. Scribe 286, 287 Sedlä(jek 300. Seibt 103. Seidel, Fr. 84. Seydler 350. Sezima 375. Shakespeare 145, 245, 263, 286, 287, 310. Shelley 317. Sienkiewicz 302. SigeMr 11, 13. Sixt von Ottersdorf 72. Skäla 91. • Sklenäfovä-Malä 286. Slädek 299, 308, 310 f. Slädkovif 225 f., 304, 306. Sladkovsky 270, 290, 291. Slavata 91 f. Smetana, Aug. 243. Smetana, B. 261, 270, 310, 325. Smil Flaska 33 ff., 69, 182. Smital 251, 27J. Sova 363 ff., 370. Spee, Fried. 100. Spera 313. Spielhagen 283. Spiers 124. Stael 154. Stanislav von Znaim 47. Stasek 332, 335. Steinhövel 70. Steinthai 352. Stendhal 370. Sternberg, Franz und Kaspar 114, 183f. Steyer (Styr) 101. Stifter 253. Sträneckä 330 f. Stränsky 90. Strinberg 371. Strobach 237. Stroupeznicky 347 f. Studnifka 350. Stuna 123, 125. Sully Prudhomme 315, 316. Surowiecki 164. Susil 191, 328 329. SvHlä 261, 2i9ff., 284, 327, 335, 336. Svoboda, Fr. X. 341 f., 344, 348. Svoboda, V. A. 150. Svobodovä 373 H. Szymanowski 127. Safafik 138 ff., 150, 151, 154, 156, 159, 163ff., 170, 183,186, 187, x 218, 221, 238, 239, 334, 352. oalda 351, 356f., 358, 370. Sasek 62. I Sedivy 123, 124. Sembera 151. Simä(jek 342 L, 344, 348, 372. Skroup 210. Slejhar 372. Smilovsky 284 f. Sole 277 L, 292. Stech 339, 348. Stllpän von Pälef 47 Stllpänek 197 f. SUtny 30 H., 34, 39, 56, 196. Stolba 348. Stulc 183. Stur 222 fL, 229 f., 244. Sturm 81. Subert 325. Tablic 131, 156. Täborsky, Jan 66, 79. Taine 356. Tanhllser 11. Tasso 316, 317. Terentius 220. Tetze1, G. 62. Thäm, K. H. 118. Thäm, V. 123, 126, 198, 202. Theer 367. Thomson 137. Tluljhor 340. - 3i3- - .Tofstoj 59'-303, :3"41, 354 .. Tomek mf" 302,'~Q9, 350, 352. Tovat!ovsky 62, 68. TowiaDski 296.' Uanovskj 79. Uebizskj 295 390 f., 334. Tur~eniew 263, 305, 340, 342. Turlnger, Jak. 38. TurinskY 200, 202, !44. Tycho de Brahe 76. .~ Tyl 202 H., 210, 233, 244, 246, 334. .•. • Tyd 309, 310. "Uhland 189.' Ulrich von Eschenbach lli 12, 13. Ulrich von dem TUrlin 1 . Ungar, K. 110. Up rka J. 331. Vacano 342. Vacek-Kamenickj 177. Vaäek 151. Vavfinec von Bfezovä 38, 55. Veleslavin 82 f., 87, 125. Verdaguer 317. Vergil 163. Verlaine ~15, 323, 367. Vigny 315. Vikovä-Kunl!tickä 343 f., 360. Vinafickj 163, 182. Vincentius 8, 10. Villek, Jar. 353. Villek, V. 284, 287, 288. Villek von Cenov 66. Vocel 190, 244. Vodäk 358. Vohryzek 241. Voigt 110. Voltaire 104, 105, 128, 155., 232, 362 Vrati;\av von Mitrovice 84, 120. Vrchlickj 266, 267, 275 278, 294, 2,98, 308, 310, 314ff., 326, 351, 361. Vsehrd